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Debatte um Wehrfähigkeit
"Freiheit wird nicht am Tamponbehälter im Männerklo verteidigt!"
Der Krieg in der Ukraine ist keine Woche alt, schon haben wir uns eine ausgewachsene Debatte um Wehrfähigkeit und Männlichkeit mit schrillen, queerfeindlichen Tönen eingehandelt. Auch das noch!

markusspiske / pixabay) Ist hier noch Platz für einen Tamponbehälter, oder nur für echte Kerle? (Symbolbild) (Bild:
2. März 2022, 16:41h 15 Min. Von
In der Ukraine tobt nach einer zweiten russischen Invasion ein offener Krieg. In Deutschland und anderen westlichen Staaten fragen sich daher nun viele: Wie konnte das passieren? Und was müssen wir tun, um weitere Überfälle des Putinregimes zu verhindern?
Das sind berechtigte Fragen. Einige Diskursteilnehmer*innen jedoch scheinen in den schrecklichen Fernsehbildern eher die nächste günstige Gelegenheit gekommen zu sehen, sich endlich nerviger Forderungen nach queeren Rechten zu entledigen – und mit ihnen der Veruneindeutigung und Verwischung früher doch so überschaubarer Geschlechtergrenzen.
Denn noch bevor Kanzler Olaf Scholz am Sonntag einen unvorstellbaren Geldregen von 100 Milliarden Euro sowie die Übererfüllung der NATO-Forderung nach Rüstungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes verkündete, wurde sich in deutschen Feuilletons bereits offen nach alter Wehr- und Mannhaftigkeit zurückgesehnt.
Haupttenor: Putins "Stärke" liegt in unserer "Schwäche" begründet. Und Schwäche, wie kann es anders sein, verkörpert sich in all dem Weiberkram, der in den vergangenen Jahren ins Männliche eingesickert ist: in Tamponschachteln auf Männertoiletten, in Glottisschlägen im Sprachfluss, in Gendergaga in der Armee.
Freiheit und Tamponschachteln
Die Rauchschwaden der ersten Luftschläge hatten sich noch nicht richtig verzogen, da wartete "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt bereits mit steilen Thesen zur deutschen Schwäche auf, die Putins Angriff erst ermöglicht habe. Schwäche aber erkannte er nicht vornehmlich im Militärischen. Stattdessen hatte er es auf die "kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Debatten der vergangenen Jahre" abgesehen. Die nämlich waren seiner Meinung nach "Ausdruck einer geradezu liebenswerten Naivität und Entrücktheit".
Es gäbe wohl kaum eine Gesellschaft, so Poschardt in seinem Meinungsbeitrag, die "in ihrer Selbstverliebtheit und moralischen Gewissheit weniger auf einen solchen Krieg vorbereitet ist als die deutsche". Das wiederum habe Putin – er spricht ja Deutsch – gewiss wahrgenommen, vermutet der "Welt"-Chef. Darum werde er sich auch "sein Urteil darüber gemacht" haben, "ob aus diesem für den freien Westen so wichtigen Land irgendeine Form von Widerstand gegen seine Aggression zu erwarten sei." Poschardts Antwort: "Natürlich nicht."
Dabei sind es, natürlich, Medien wie Poschardts eigene Zeitung gewesen, die in den vergangenen Jahren immer schriller auf die Rechte queerer Menschen und ihre Kultur eingeschlagen haben. Sie selber waren es, die davor warnten, dass bald jeder im Westen transgeschlechtlich und damit, klare Sache, praktisch wehrunfähig wäre.
Dabei unterschied sich die Obsession mit queeren und Geschlechterthemen in Springer-Blättern und anderen rechten deutschen Medien inhaltlich kaum von den Botschaften der russischen Propagandaschleudern wie Russia Today, die nun verboten werden.
Poschardt schreibt dann, und darin spitzt sich die anvisierte Konkurrenz von "echter Männlichkeit" und transgeschlechtlichen Menschen besonders zu: "Die Freiheit wird nicht am Tampon-Behälter in der Männertoilette verteidigt, eher am Hindukusch und ganz konkret bei unseren Freunden in der Ukraine, in Kiew, in der Ostukraine und im ganzen Land." Dagegen dürfte man, mit einem etwas anderen Verständnis von "Freiheit", in russischen, staatlich gelenkten Medien nicht viel einzuwenden haben.
Der "Welt"-Chef fordert eine Veränderung des hiesigen Menschenbildes und explizit auch des "Männerbildes". Die seien nämlich "Ausdruck feigen Appeasements gegenüber dem Zeitgeist". Doch wer ist dieser Zeitgeist und kann man vielleicht auf ihn schießen? Und wie ließe sich feiges Appeasement gegenüber dem Zeitgeist vermeiden, wenn Poschardt sich durchgesetzt hätte, also Männer endlich ausnahmslos wehrhafte, richtige Kerle geworden sind? Das ergibt alles so recht keinen Sinn. Nur "feige", das ist klar, darf es nicht zugehen.
Man möge sich, meint Poschardt dann noch, "das Amüsement über die Idee einer feministischen Außenpolitik vorstellen, während im Kreml die Invasion in die Ukraine minutiös geplant wird". Poschardt indes lacht mit – und übersieht, dass er dann der selben Illusion wie der Herrscher im Kreml aufgesessen sein dürfte.
Denn Außenministerin Annalena Baerbock etwa hat schon früh betont, dass eine Diplomatie, die auf dem Ausblenden von Konflikten beruht, nicht funktioniert. Sie hat sich für ein Zusammenspiel von Dialog und Härte ausgesprochen – und dafür, dass sich deutsche Außenpolitik an Menschenrechten orientieren und das Recht des Stärkeren zurückweisen müsse.
Wer es vorzieht, stets demonstrativ über die feministische Bewegung zu lachen, darüber aber seine tiefsitzende Angst vor ihr zu verleugnen, kann solche Töne natürlich nicht wahrnehmen. Baerbock jedenfalls, die gegenwärtige Spitze "feministischer Außenpolitik" in Deutschland, verdient sich gerade lagerübergreifend Anerkennung dafür, gerade nicht "schwach" und "luschig", als Außenministerin einer "Bundesclownsrepublik" oder eines "Mainzelmännchen-Deutschlands", aufzutreten – Attributionen, die Poschardt in seinem Meinungsbeitrag ebenfalls bemüht.

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit / wikipedia) Redet immer gern und viel von Freiheit: Ulf Poschardt 2013 bei der Friedrich-Naumann-Stiftung (Bild:
Das Lachen über Frauen und Feminismus gehört natürlich dazu. Beim Männerbild aber versteht Poschardt keinen Spaß, weil "Krieg bislang vor allem Sache kämpfender Männer ist". Er favorisiert einen Westen, in dem man deshalb "in der Erziehung, in der Bildung, in der Wirtschaft, in der Kultur, in den Medien" dafür sorgt, dass der Nachwuchs "wehrhaft" sei.
Das liest sich nicht zufällig wie das bekannte Zitat des AfD-Flügelführers Bernd Höcke, der 2015 in Erfurt auf einer Kundgebung sagte: "Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken, denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft, und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft und wir müssen wehrhaft werden."
Ring frei für den Anti-Genderismus
Mit Poschardts unsäglichem Artikel war augenscheinlich der Ring freigegeben für weiteres queerfeindliches Getöse. So sprach Alice Weidel von der AfD in der Bundestagssitzung anlässlich der Invasion in die Ukraine am Sonntag ebenfalls davon, dass Deutschland nicht ernst genommen würde, weil es sich nicht mit "realen Problemen", vielmehr jedoch mit "Gender-Gaga" und "ideologischen Experimenten" beschäftige.
Der in rechten Kreisen gern gelesene Blogger Boris Reitschuster hatte tags zuvor schon Putins Sinn für Taktik und seine Überlegenheit gegenüber deutschen Politiker*innen gelobt, die neben ihm "wie Kinder" wirkten. Davor, im nuklearen Wettrüsten ins Hintertreffen zu geraten, warnte er auch noch, doch das sei "im Westen ein Tabuthema". Warum? "Hier stehen andere Themen im Fokus, wie Gendertoiletten und Diversität. Politische Realitäten stören da nur. "
Die Berichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über den russisch-deutschen Verein Quarteera und seine Fluchthilfe für LGBTI-Ukrainer*innen nahm auch der frühere AfD-NRW-Vorsitzende Marcus Pretzell zum Anlass, seine Weltsicht bestätigt zu sehen. Ironisch kommentierte er die Bemühungen des Vereins: "Im Wesentlichen ist der Krieg in der Ukraine ein Gender-Problem." Zu transgeschlechtlichen Frauen, die wegen der Generalmobilmachung und der Ausreisesperre für als "männlich" registrierte Ukrainer*innen nicht fliehen dürfen, ließ Pretzell die Ukrainer*innen wohlwollend wissen: "Eigentlich sollten da andere Ausschlussgründe greifen. Ich will niemanden an der Waffe sehen, der nicht stabil ist." So klingt robuste Unterstützung für die Ukraine aus Deutschland.
Einen kräftigen Stoß ins Horn ließ sich auch der ehemalige "Welt"-Chef und SVP-Abgeordnete im Schweizer Nationalrat, Roger Köppel, nicht nehmen. In der "Weltwoche" schrieb er, man habe in der Vergangenheit "einer linksgrün inspirierten Politik der steten militärischen Selbstentwaffnung" gefrönt.
Putin nennt er metaphorisch einen "Bären", und die darin steckende Bewunderung für maskuline Kraft, Wildheit und die Fähigkeit, zu töten, wird im Grunde gar nicht mehr versteckt. Es sei gefährlich, "einen Bären zu reizen". Ihn aber "ungeschützt zu reizen", das sei "selbstmörderisch".
Ganz anders nimmt Köppel entsprechend die Europäische Union wahr, die dem "Bären" nicht gewachsen sei. Die werde nämlich von "Neulingen" regiert – und einem "feingliedrigen Franzosen". Vor dem Hintergrund der in den vergangenen Monaten gegen Frankreichs Präsidenten Macron und seiner Ehefrau geführten Lügenkampagne, wonach Brigitte Macron transgeschlechtlich, der Präsident also, na klar, "schwul" sein soll (queer.de berichtete), kann der auf die Männlichkeit des Franzosen zielende Kommentar kaum ein Zufall sein.
Köppels Ratschlag für die Europäische Union und die NATO lautet: "Der Westen muss wieder über Panzer, Energie und Wirtschaft sprechen statt über Windräder und Gendertoiletten. " Why not both, Roger? Übrigens ganz vorn mit dabei bei der Verbreitung der Verschwörungstheorie von der transgeschlechtlichen Brigitte Macron: Russia Today.
Doch in Köppels Partei, der Regierungspartei SVP, sah man eine Vereinbarkeit von "Gendertoiletten" und Panzern ebenfalls nicht. Über den Twitter-Account der Schweizerischen Volkspartei ließ man am Abend des 25. Februar wissen: "Der Russland-Ukraine-Konflikt ist hoffentlich ein Weckruf für die linken Armee-Abschaffer – die Schweiz braucht keinen Gender-Gaga, sondern eine starke Armee!"
Queerfeindlichkeit als Verschwörungstheorie
Auf die Wehrfähigkeit der Bundeswehr abgesehen hatte es auch die ehemalige, langjährige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach. Die postete auf Twitter ein Foto eines Workshops zu sexueller Orientierung und Identität bei der Bundeswehr und schrieb dazu: "Ideell, personell und finanziell wurde unsere Bundeswehr zielgerichtet ruiniert." Mit Verteidigungsfähigkeit könne darum erst in einem Jahrzehnt gerechnet werden.

Auch Erika Steinbach hatte der entbrannten Debatte um Wehrfähigkeit konstruktives hinzuzufügen (Screenshot: Twitter)
Wohlgemerkt: Die Sensibiliserung der Bundeswehr für Differenzen unter Soldat*innen wird hier nicht so dargestellt, als habe sie ungewollt, als Nebenprodukt, die Ruinierung der Truppe mit sich gebracht. Vielmehr glaubt Steinbach an eine Verschwörung: Sensibilisierung der Bundeswehr für sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zu einem Zweck – nämlich, um die Truppe zu ruinieren.
Inzwischen hatte die Debatte in den großen deutschen Zeitungen um Wehrhaftigkeit, Männlichkeit und das "heroische" beziehungsweise "postheroische Gesellschaftsmodell" an Fahrt aufgenommen. In der "Zeit" erschien etwa der Beitrag "Gendersterne, Schweiß und Tränen" der Bundeswehr-Uni-Professorin Hedwig Richter.
Ihren Versuch, die persönliche, demokratische oder auch queere Freiheit im Innern mit der Notwendigkeit der militärischen Verteidigung im Außen zu versöhnen, stieß jedoch nicht nur auf Gegenliebe. So kommentierte "Bild"-Redakteurin Judith Sevinç Basad, dass Richters Ansatz "falsch" sei. Begründung: die "Ideologie der Schneeflocken und Gender-Sternchen" fuße "auf genau der postmarxistischen Ideologie, die damals in der Sowjetunion ihren Anfang nahm".
Anders ausgedrückt: Der militärische Feind, die Sowjetunion beziehungsweise Russland, hat die Abweichung von der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit überhaupt erst erfunden, um damit subversiv die westlichen Staaten zu unterlaufen. Transgeschlechtliche Menschen sozusagen als Speerspitze des jüdischen Bolschewismus.
Praktisch steht so ein Ansatz kurz vor Verbotsforderungen gegenüber queerem Aktivismus, feministischer Sprachkritik und gelebter Transgeschlechtlichkeit wegen Wehrkraftzersetzung. Teile eines solchen politischen Programms werden in Basads journalistischem Umfeld jedenfalls bereits verfolgt.
Die ganze ideologische Nähe, die die queerfeindliche Sehnsucht nach alter Männlichkeit und "Stärke" zum Feind selber, zu Putin, hat, ließe sich jedoch auch mit einem einfachen Blick in die USA überprüfen.
Dort hat der Krieg in der Ukraine nämlich ebenfalls schrille Bekundungen gegen "Gender" provoziert. Nur handelte es sich dabei nicht um kulturelle Rüstung zu größerer Wehrkraft gegenüber Putin, sondern, Überraschung, zu dessen Gunsten. Noch kurz vor den ersten Schüssen auf Kiew tauschten sich der Gründer der US-amerikanischen Söldner*innentruppe Blackwater, Erik Prince, und der Alt-Right-Ideologe Steve Bannon in dessen Podcast "War Room" über die vermeintlich geschlechtlichen Aspekte der Konfrontation in Osteuropa aus.
So betonte Bannon, dass Putin nicht "woke", sondern vielmehr "anti-woke" sei. Prince entgegnete, dass das russische Volk immerhin noch wisse, welche Toilette zu benutzen sei. Das provozierte Bannons rhetorische Rückfrage: "Wie viele Geschlechter gibt es denn in Russland?", um die von ihm erwartete Antwort des Chefs der immer wieder mit schwersten Menschenrechtsverletzungen auffallenden Söldner*innen zu erhalten: "Zwei."
Man habe in Russland keine Regenbogenfahnen und keine "Jungs", die in Mädchen-Schwimmwettbewerben mitschwimmen, plätscherte das transphobe Geplauder erwartbar weiter, um dann in Bannons Witzelei zu enden: "Wie rückwärtsgewandt. Wie finster. Wie mittelalterlich."
In die selbe Kerbe schlug übrigens J. D. Vance, der gefeierte Autor der "Hillbilly elegy", persönlichen Memoiren aus einem Aufwachsen in der als "White Trash" bezeichneten, deklassierten weißen US-Bevölkerung. Sein Werk hatte 2016 noch als Anti-Trump-Buch und Erklärung für dessen Erfolg gegolten. Inzwischen ist Vance selber Trump-Anhänger, kandidiert als Republikaner für den Senat – und fand jüngst auch, dass man in der Ukraine nur deswegen gegen Putin kämpfe, weil der "nicht an Trans-Rechte glaubt". Dafür jedoch habe man "nicht im Marine-Corps gedient".
Neuer Stern am Männerhimmel: Wolodymyr Selenskyj
Doch Hoffnung für die bedrängte Männlichkeit naht. Eine weitere Strömung des gegenwärtigen Feuilleton-Diskurses fühlt sich offenbar von der Popularität des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angelockt. Der macht zweifellos einen tollen Job. Doch die Unterschiede zwischen dem gealterten Putin auf der einen, dem jungen, agilen und gutaussehenden Selenskij auf der anderen Seite, regten in einigen Kommentator*innen auch wieder Phantasien des Ringens um die echte Männlichkeit an.
Putin ist hier nicht mehr der starke Bär, der oberkörperfrei in der russischen Wildnis reitet, sondern ein ergrauter, von Botox oder Steroiden aufgedunsener Greis. Ganz anders der Social-Media-Liebling Selenskyj.
Dem schrieb Peter Huth am Montag in der "Welt" ins Stammbuch, er spreche die "Sprache eines Kriegers." Er sei "Furchtlos, voller Mut. Unerbittlich und klar." und sage "Sätze wie 'Der Kampf ist hier. Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit'."
Selenskyjs dramatisches Talent wird, wohl nicht zu Unrecht, von Huth auf seinen Hintergrund als Schauspieler zurückgeführt, der ihn von Militärangehörigen abgrenze. Es seien Drehbuch-Worte, wie sie in Hollywood "von ganzen writer's rooms erdacht werden", Sätze "aus Filmen wie 'Apocalypse Now' oder 'Rambo'", wie der Journalist und ebenfalls frühere Chef der "Welt"-Redaktion meint.
Doch das ist eine interessante Interpretation nicht nur der Rolle von Selenskyj, sondern auch des Anti-Kriegs-Films "Apocalypse Now". Dessen Sprechrollen und Szenen sind nämlich gerade auf denjenigen Punkt zugespitzt, an dem sie erkennbar ins Absurde kippen. So sind sie in der Lage, die ganze ziel- und planlose Brutalität des Krieges und der in ihm agierenden Männer bloßzustellen, die von Mördern nicht mehr zu unterscheiden sind.
Die Hauptfigur des Films aber, Captain Benjamin Willard, ist ein vom Vietnam-Krieg traumatisierter, in Worten und seinem gesamten Gesichtsausdruck völlig passiver Soldat. Statt zu reden, stellt er eher Fragen an das absurde, um ihn herum pompös untergehende, US-amerikanische Unterfangen in Vietnam. Zumeist schweigt er jedoch im Angesicht der sich vor ihm ausbreitenden, dunklen Natur des Krieges und der Menschheit.
"Apocalypse Now" wird von vielen als einer der einflussreichsten und besten Filme des vergangenen Jahrhunderts gezählt. Die mitunter pornographisch auf die Entfesselung der Brutalität schauende Kameraführung des Films sparte nicht am bombastischen Bildern – ganz wie die nie dagewesenen Tonnen an über Vietnam abgeworfenen Kampfmitteln.
Es ist bezeichnend, dass sich im Angesicht der gefeierten, anderen Männlichkeit eines Wolodymyr Selenskyj an die Bombastik von Sprechrollen und Bildsprache ausgerechnet dieses Films erinnert, darüber jedoch vergessen wird, dass es sich um ein bewusst mit ironischer Überzeichnung arbeitendes Werk gegen den Krieg und seine Männer handelt. Anscheinend gilt die Devise: Wenn es nur laut genug Wumms macht und die Granaten von "unseren" Jungs abgefeuert worden sind, muss es irgendwie "männlich" gewesen sein.
Ist Putin vielleicht doch der männlichere Typ?
Dabei böte Putin selbst auch genügend Identifikationspotential in Sachen Männlichkeit und Retraditionalisierung von Geschlecht. Der von den linken Zeitungen "taz" und "jungle world" 2015 als Türkei-Korrespondent in der WeltN24-Gruppe angeheuerte Deniz Yücel verwies am Dienstag ebenfalls in der "Welt" darauf, dass man dem starken Mann aus dem Kreml auch mal zuhören könnte, wenn der eine Kriegserklärung abgebe.
Immerhin würde man so dessen Motive besser entschlüsseln können. Demnach hat Putin den Gang zu den Waffen auch mit seiner queerfeindlichen Verschwörungsangst begründet – ein Aspekt, über den tatsächlich bisher noch nicht in deutschen Medien berichtet worden ist.
Yücel zitierte Putins Rede da wie folgt: "In der Tat haben die Versuche, uns für ihre [gemeint ist die NATO, Anm.] Interessen zu missbrauchen, unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns ihre Pseudowerte aufzuzwingen, die uns, unser Volk, von innen heraus zersetzen würden, nicht aufgehört, jene Haltungen, die sie bereits aggressiv in ihren Ländern durchsetzen und die direkt zu Degradierung und Entartung führen, da sie gegen die menschliche Natur selbst gerichtet sind."
Anders ausgedrückt: Queerness als subversive, von außen eingeschleuste Waffe zur Zersetzung von Volk und Wehrhaftigkeit. Doch Moment mal, hatten wir bei der "Bild"-Kollegin Basad nicht gelernt, dass Queerness in der Sowjetunion, also quasi in Moskau erfunden worden ist, um uns zu zersetzen und nicht andersherum?
Verwirrt sind nicht nur die frischgebackenen, mit Staats-Milliarden beschenkten, neuen Krieger*innen in deutschen Zeitungsredaktionen. Auch für deutsche Nazis hat die politische Realität, durch die keiner mehr durchsteigt, fatale Konsequenzen – und Sorge um unsere Nazis zählt in diesem Land schließlich zu einer Disziplin öffentlicher Moral, der ich mich an dieser Stelle nicht verweigern möchte.
Die NPD hält weiter zu Russland, doch die Nazi-Partei "Der 3. Weg" hat sich auf die Seite der Ukrainer*innen geschlagen. Klar: In Moskau saß ja damals schon der Feind Europas, mögen die einen denken. Die anderen hingegen sind von Putins autokratischem Stil und seiner nationalistisch-diktatorischen Politik mit all seinen Implikationen für Minderheiten natürlich angetan.

Das Sharepic eines Info-Posts im Telegram-Kanal des "III. Weg" verweist auf das Dilemma: "Reconquista", also "Zurückeroberung", klar – aber von was und durch wen?
Und während man im Westen noch darüber streitet, wie sich das Puzzleteil "Gender" in die durch die kommende Aufrüstung erhoffte Retraditionalisierung von Männlichkeit am besten einfügen lässt, ist man bei den offenen Nazis schon einen Schritt, beziehungsweise einige hundert Kilometer, weiter.
Auf Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Martina Renner antwortete das Bundesinnenministerium jüngst, dass Erkenntnisse über "Aufenthalte deutscher Rechtsextremisten in der Ukraine oder Russland" vorliegen. Die Bundespolizei solle auch darum Reisetätigkeit von Rechtsextremist*innen gen Osten im Blick haben und "bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen Ausreisen" untersagen.
Selbst in den offenen Kommunikationskanälen der Rechten wird bereits fleißig für eine Teilnahme an der Schlacht gegen Russland geworben. Kontaktmöglichkeiten und praktische Informationen gibt es obendrein. Der "3. Weg" veröffentlichte zudem einen Podcast mit einem Mann, der angeblich bereits in der Ukraine sei, wie am Montag das "nd" berichtete.
Doch vor einem Jahr erklärte die Bundesregierung auch schon, dass Informationen über eine Personenzahl im unteren zweistelligen Bereich vorlägen, die in der Ostukraine kämpfen – da allerdings für die pro-russischen Seperatist*innen in Donezk und Luhansk. Deren Truppen sind vergangene Woche ebenfalls in das restliche Land eingerückt.
Unterm Hakenkreuz wartet man den Ausgang der Debatte um die gute alte Männlichkeit und die dabei störenden Queers also nicht erst ab. Unmöglich ist es also nicht, dass sich deutsche Nazis in der Ukraine auf dem Schlachtfeld wiederfinden – dummerweise nur unter unterschiedlichen Feldpostnummern, wie eine traditionelle Redewendung der Szene besagt. Das Motto, augenscheinlich, auch hier: Am Ende muss es beeindruckend wehrhaft und männlich gewesen sein. Der Rest ist dann egal.
