Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat zu einer großen Hilfswelle gegenüber den flüchtenden Menschen und den im Land verbliebenen Menschen geführt. Auch die queere Szene in Deutschland hilft geflüchteten LGBTI und ihren Familien sowie den Angeboten der LGBTI-Vereine vor Ort und in Nachbarländern. Ein (unvollständiger) Überblick.
Vor allem in Berlin und München ist aktuell der Bedarf für Unterkünfte für queere Flüchtende riesig, berichtet Alfonso Pantisano, der diesen Aspekt der Hilfsarbeit für das Bündnis "Queere Nothilfe Ukraine" ehrenamtlich koordiniert (Webseite). Speziell trans Personen und lesbische Frauen oft mit Kindern kämen an den Bahnhöfen an, bräuchten oft samt Haustieren eine schnelle Unterkunft. Danach stellten sich Fragen nach einer langfristigen Bleibe und Unterstützung und der gegebenenfalls freiwilligen Verteilung in andere Regionen des Landes. Berlin prüfe die Einrichtung einer gesonderten Unterkunft. Noch ist die rechtliche Lage für die Behörden nd die Menschen abseits des Asylverfahrens unklar. Unter den vielen queeren Flüchtenden seien auch LGBTI, die einst in die Ukraine geflüchtet seien, etwa aus Russland samt Tschetschenien oder Georgien, so Pantisano.
Der Verein für russischsprachige Queers in Deutschland, Quarteera, bemüht sich – nicht nur in Berlin – um die Vermittlung von Schlafplätzen, um dringende materielle Hilfe, um Beratung und praktische Unterstützung.
Auch die Schwulenberatung Berlin kümmert sich um die Unterstützung von queeren Flüchtenden durch die Vermittlung von Unterkünften und einer Anlaufstelle für Beratung und Vernetzung.
Die Berliner Aids-Hilfe veröffentlichte derweil spezielle Materialien auf Ungarisch.
Die Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft plant eine Benefiz-Drag-Show am 14. März und zwei Tage später einen Vernetzungsabend. Diese Liste von Unterstützungsangeboten und -aktionen aus der Hauptstadt ist nicht vollständig, so spendeten viele Vereine und Szeneorganisationen aus ihren Mitteln oder sammelten Spenden, engagierten sich einzelne LGBTI. Radio Queerlive, Queeramnasty u.a. organisierten eine Hilfslieferung in die Ukraine und planen weitere. Mehr Infos, auch zu einer Sendung am Sonntagnachmittag zum Thema, auf der Facebookseite von QueerLive.
Auch in anderen Städten engagiert sich die Szene für LGBTI aus der Ukraine (bitte ggf. die Auftritte der lokalen Vereine in sozialen Netzwerken checken). Die Vernetzungsgruppe Munich Kyiv Queer ist etwa mit den Freund*innen in der Ukraine in Kontakt und organisierte neben Unterstützungsangeboten ein InstaLive. Für Dienstag und Mittwoch plant sie die Talks "LGBTIQ* in der Ukraine – Wie wir jetzt helfen können" und "Krieg in der Ukraine – LGBTIQ in Gefahr?" in der Pasinger Fabrik bzw. im Amerikahaus. Die Initiative sprach auch vor wenigen Tagen mit dem queeren Podcast des BR.
Spendenaufrufe und Petition
Dutzende Vereine und Verbände aus Deutschland haben sich im Bündnis Queere Nothilfe Ukraine zusammengeschlossen, das Hilfsangebote koordiniert und gemeinsam zur Unterzeichnung einer Petition an die Bundesregierung und zu (absetzbaren) Spenden aufruft. Die Mittel werden für die Hilfsaktionen von queeren Vereinen in der Ukraine verwendet, für Hilfslieferungen und Online-Sprechstunden für LGBTI vor Ort. Auch Shelter in den umliegenden Ländern werden unterstützt.
Ähnliche Unterstützungsangebote bis hin zu Sheltern bieten queere Verbände in praktisch allen europäischen Ländern, etwa in Polen (in Warschau wurde ein spezielles Ankunfts- und Unterstützungszentrum eingerichtet), in Ungarn, der Slowakei oder in Armenien – um nur einige beispielhaft zu nennen.
In der Ukraine arbeiten die queeren Verbände und Aktivist*innen soweit wie möglich weiter, bieten Beratung, Nothilfe inklusive Shelter und Hilfe bei der Flucht. Der CSD in Kiew sammelt bei Facebook Informationen und hat dort etwa aktuell eine Übersicht der Arbeit der wichtigsten Organisationen – und ihrer Spendenkonten – veröffentlicht.
Diese queeren Vereine informieren in sozialen Netzwerken auch über die aktuelle Lage von LGBTI vor Ort und sind vergleichsweise sichere Quellen. Zuletzt verbreiteten sich auch mehrere falsche oder ungesicherte Meldungen – so gibt es etwa keine Hinweise, ein bei Kämpfen getöteter tschetschenischer "Warlord" sei wie vielerorts berichtet tatsächlich in der Heimat maßgebend an der antiqueeren Verfolgung beteiligt gewesen.
Um die Flucht tschetschenischer LGBTI ins Ausland hatte sich bislang das russische LGBT Network gekümmert, dessen Arbeit durch zunehmende Restriktionen und durch Sanktionen erschwert wird. Berliner Aktivist*innen rechnen mit einer Zunahme von flüchtenden Queers auch aus Russland, die es schon in den letzten Jahren vermehrt in die Hauptstadt zog. Allgemein wird aus den russischen Metropolen von vielen Menschen berichtet, die das Land verlassen. Neben einer massiven Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und Perspektivlosigkeit wird eine Verschärfung der Repression befürchtet: während die letzten unabhängigen Medien blockiert wurden oder ihre Arbeit einstellten, könnten Menschenrechtsarbeit und Aktivismus noch stärker mit Verboten, Bußgeldern und Haft sanktioniert werden, während Unterstützung aus dem Ausland unmöglich wird. Trotz der zunehmend totalitären Lage unterzeichneten über 150 queere Vereine und Aktivist*innen aus Russland einen Aufruf gegen den Krieg und zur Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine – die Liste der Unterzeichnenden wurde inzwischen allerdings aus Sorge vor Verfolgung entfernt. (nb)