Kyrill I. hat in einer Predigt am Sonntag in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau zum Krieg in der Ukraine Stellung genommen, ohne diesen als solchen näher zu benennen oder zu verurteilen. Vielmehr sprach das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche von der Notwendigkeit, den christlichen Glauben zu verteidigen, und nutze dabei angeblich vom Westen aufgezwungene Gay Prides als quasi Rechtfertigung für kriegerische Handlungen.
Der Beginn des Frühlings werde überschattet von "schwerwiegenden Ereignissen im Zusammenhang mit der Verschlechterung der politischen Situation im Donbass, praktisch dem Ausbruch von Feindseligkeiten", so der 75-Jährige in Bezug auf das seit 2014 teilweise von prorussischen Separatist*innen beherrschte Gebiet in der Ukraine – die russische Politik und Propaganda verkauft den umfassenden Angriffskrieg auf die Ukraine als "militärische Spezialoperation im Donbass" zu ihrer Unterstützung. "Seit acht Jahren gibt es Versuche, das zu zerstören, was im Donbass existiert", so Kyrill. "Und im Donbass gibt es eine Ablehnung, eine grundsätzliche Ablehnung der sogenannten Werte, die heute von denen angeboten werden, die die Weltmacht beanspruchen."
Laut dem Kirchenoberhaupt gebe es "einen Test der Loyalität gegenüber dieser Macht", der Zutritt gewähre "in diese 'glückliche' Welt, eine Welt des übermäßigen Konsums, eine Welt der scheinbaren 'Freiheit'". Bei diesem "erschreckenden" Test handle es sich um CSDs: "Die Forderung vieler, eine Gay-Pride-Parade zu veranstalten, ist ein Test der Loyalität zu dieser sehr mächtigen Welt; und wir wissen, dass Menschen oder Länder, die diese Forderungen ablehnen, nicht Teil dieser Welt werden, sie werden zu Fremden in dieser Welt."
Wer Sünde benenne, werde "gewaltsam unterdrückt"
"Wir wissen, was diese Sünde ist", die durch CSDs gefördert würden, so Kyrill weiter. Sie werde von Gott im alten und neuen Testament verurteilt. "Und wenn Gott die Sünde verurteilt, verurteilt er nicht den Sünder. Er ruft ihn nur zur Umkehr auf – aber nicht, um die Sünde zu einer Lebensnorm, zu einer Variante des menschlichen Verhaltens, zu machen, die respektiert und akzeptiert wird".
Wenn die Menschheit annehme, dass Sünde kein Verstoß gegen Gottes Gesetz sei, werde die menschliche Zivilisation enden, so Kyrill. Gay-Prides sollten Sünde als eine Variation des menschlichen Verhaltens zeigen, und Länder müssten zur Aufnahme in die internationale Gemeinschaft diese abhalten. "Wir wissen, wie sich Menschen gegen diese Forderungen wehren und wie dieser Widerstand gewaltsam unterdrückt wird." Letztlich gehe es darum, "den Menschen mit Gewalt die Sünde, die durch das Gesetz Gottes verurteilt wird, und also die Leugnung Gottes und seiner Wahrheit aufzuzwingen".
Was im Bereich der internationalen Beziehungen geschehe, habe daher nicht nur politische Bedeutung, sondern es gehe um die "Errettung der Menschen": "Alles, was mit der von der Bibel verurteilten Rechtfertigung der Sünde zusammenhängt, ist heute eine Prüfung für unsere Treue zum Herrn, für unsere Fähigkeit, den Glauben an unseren Retter zu bekennen." Das sei nicht nur theoretisch: "Um dieses Thema gibt es heute einen regelrechten Krieg. Wer greift heute die Ukraine an, wo die Unterdrückung und Vernichtung von Menschen im Donbass seit acht Jahren andauert? Acht Jahre Leiden und die ganze Welt schweigt". Dabei wisse man, "dass unsere Brüder und Schwestern wirklich leiden", auch wegen der Treue zu ihrer Kirche.
Letztlich befinde man sich in einem Kampf mit metaphysischer Bedeutung, so Kyrill, bei dem man vergeben könne (das eigentliche, nur zum Ende hin angesprochene und hier nun eingekürzte Thema der Predigt ist der "Sonntag der Vergebung"). Dabei müsse man aber "auf der Seite der Wahrheit Gottes" stehen, da "Vergebung ohne Gerechtigkeit" eine "Kapitulation und Schwäche" sei: "Wir werden dem Wort Gottes treu sein, wir werden seinem Gesetz treu sein, wir werden dem Gesetz der Liebe und der Gerechtigkeit treu sein, und wenn wir Verstöße gegen dieses Gesetz sehen, werden wir niemals diejenigen dulden, die dieses Gesetz zerstören, die die Grenze zwischen Heiligkeit und Sünde verwischen, und vor allem diejenigen, die die Sünde als Modell oder als Vorbild für menschliches Verhalten befürworten."
Man müsse dafür beten, dass die Menschen im Donbass den orthodoxen Glauben bewahrten – und auch "dass so bald wie möglich Frieden einkehrt, dass das Blut unserer Brüder und Schwestern aufhört zu fließen, dass der Herr dem leidgeprüften Land Donbass, das seit acht Jahren den traurigen Stempel der menschlichen Sünde und des Hasses trägt, seine Gnade schenkt", so Kyrill.
Auf Seiten Putins gegen das "Böse"
Bereits vergangenen Sonntag hatte Kyrill die Gegner der russischen Armee in der Ukraine als "Kräfte des Bösen" bezeichnet und dabei vom "einheitlichen Raum der russisch-orthodoxen Kirche" gesprochen, womit Russland, Belarus und die Ukraine gemeint sind. Die beiden orthoxen Kirchen der Ukraine hatten hingegen von Putin ein Ende des Krieges und von Kyrill einen entsprechenden Einsatz gefordert.
Twitter / mjluxmoore | Ohne Unterstützung der Kirche gingen in Russland am Sonntag erneut in dutzenden Städten zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg zu demonstrieren. Medienangaben zufolge gab es zwischen 3.500 und 4.500 Festnahmen
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Kyrill gilt als Mitverantwortlicher der anti-queeren Politik Russlands. 2017 verglich er die Ehe für alle mit Nazigesetzen (queer.de berichtete). Bereits 2013 hatte er davor gewarnt, dass die Ehe für alle zum Weltuntergang führen könne (queer.de berichtete). Zudem macht er LGBTI-Aktivisten für viele Übel der Welt verantwortlich: So sei der Terrorismus des "Islamischen Staates" die Antwort auf eine gottlose Gesellschaft mit CSDs (queer.de berichtete). Das Oberhaupt von über 150 Millionen russisch-orthodoxen Christen setzte sich für das Gesetz des Putin-Regimes gegen Homo-"Propaganda" ein und begrüßte öffentlich das Verbot von CSD-Demonstrationen in Moskau, die er als "eine aufdringliche Zurschaustellung von Unzucht" bezeichnete. (nb)