Eine Reform der niederländischen Verfassung zum audrücklichen Diskriminierungsschutz für Homo- und Bisexuelle steht kurz vor ihrem Abschluss. Am Dienstag stimmte die Zweite Kammer des Parlaments erneut für eine entsprechende Verfassungsänderung, die nun noch vom Senat endgültig bestätigt werden muss.
Artikel 1 des "Grondwet" verbietet bislang Diskriminierung aufgrund Religion, Weltanschauung, politischer Zugehörigkeit, Rasse und Geschlecht. Mit dem angenommenen Gesetzentwurf würden die Merkmale sexuelle Orientierung ("seksuele gerichtheid") und Behinderung ("handicap") hinzugefügt.
123 Parlamentarier stimmten für den Entwurf der linksliberalen Partei D66, der grünen Partei GroenLinks und der sozialdemokratischen PvdA, der bereits aus dem Jahr 2010 stammt. Bei nur 24 Gegenstimmen erreichte der Antrag dabei die bei der zweiten Gesetzgebungsrunde notwendige Zweidrittelmehrheit. Wenn der Senat, voraussichtlich im Herbst, dem Entwurf ebenfalls mit dieser Mehrheit zustimmt, wird die Verfassung geändert. Bereits im ersten Durchgang in der letzten Legislaturperiode hatte der Senat im Februar 2021 mit 58 zu 21 Stimmen und das Abgeordnetenhaus im Juni 2020 mit 124 zu 26 Stimmen für die Verfassungsänderung gestimmt (queer.de berichtete). Die Verfassung sieht zu Änderungen vor, dass nach erfolgreichen Abstimmungen in der ersten Runde eine Parlamentswahl zu erfolgen hat, so dass die Bürger*innen noch indirekt Einfluss darauf nehmen können.
COC: notwendige Garantie für die Zukunft
"Das sind großartige Neuigkeiten", kommentierte Astrid Oosenbrug, die Vorsitzende der queeren Organisation COC, die erneute Zustimmung der Abgeordnetenkammer. Das gelte "gerade in diesen düsteren Zeiten, in denen wir sehen, wie verletzlich Demokratie und Menschenrechte sind und wie wichtig es ist, sie zu schätzen." Die Verankerung in der Verfassung biete "die Garantie, dass wir unsere hart erkämpften Rechte auch in fünfzig oder hundert Jahren noch genießen können", so Oosenbrug. "Dass wir auch in Zukunft heiraten, Kinder großziehen und vor Diskriminierung geschützt sein können. Auch wenn der politische oder gesellschaftliche Wind sich unerwartet zuungunsten der Regenbogen-Community drehen sollte."
Die Niederlande gelten gegenüber LGBTI als eines der fortschrittlichsten Länder, 2001 öffnete man dort als erstes Land die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Für die Verfassungsänderung habe sich COC rund 20 Jahre eingesetzt, so Oosenbrug. Mit der Aufnahme in der Verfassung sehe sie die Politik in der Pflicht, etwa deutlich gegen queerfeindliches Mobbing an Schulen vorzugehen. Laut COC habe die Organisation darauf hingewirkt, dass das Parlament bei der Debatte mehrfach ausdrücklich betonte, dass das in der Verfassung bereits erwähnte Merkmal "Geschlecht" auch Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität, des Ausdrucks von Geschlecht und der Geschlechtsmerkmale beinhalte.
Auch in Deutschland wird seit Jahrzehnten eine ausdrückliche Aufnahme queerer Menschen in den Diskriminierungsschutz des Grundgesetzes gefordert. Der im letzten November beschlossene Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hält fest, dass man den entsprechenden Artikel 3 "um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen" will (queer.de berichtete). Die Initiative "Grundgesetz für alle" hatte zuvor gefordert, sich zudem nicht auf das bestehende Merkmal "Geschlecht" zu verlassen, sondern auch das Merkmal "geschlechtliche Identität" ausdrücklich in der Verfassung zu verankern (queer.de berichtete). (nb)