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Von der Schmuddelinsel zum Gesamtkunstwerk

So wurde Lanzarote zum queeren Weltkulturerbe

Der spanische Künstler, Architekt und Umweltschützer César Manrique verwandelte Lanzarote in ein Juwel. Unterstützt wurde er von Francos Tourismusminister, der davon überzeugt war: Schwule haben Fähigkeiten, die Heteros nicht haben.


César Manrique (1919-1992) vor dem Haus seiner Familie im Jahr 1944 (Bild: Archivo Fundación César Manrique)

Im New York der Swinging Sixties nahm sein Leben eine schicksalhafte Wende. Vor Ankunft in den USA war César Manrique noch am Boden zerstört, erstarrt in unbewältigter Trauer um seine im Jahr zuvor verstorbene Geliebte Pepi Gómez, mit der er 18 Jahre lang eine Beziehung hatte. Um aus seiner Schaffenskrise als Künstler in Madrid herauszufinden, nutzte er den Kontakt zu lateinamerikanischen Freund*­innen in New York, erhielt schließlich ein Stipendium am International Institute of Art Education und fand eine Galerie in Manhattan, die ihn erfolgreich unter ihre Fittiche nahm.

Der Big Apple wurde sein Rettungsanker. Es muss eine rauschhafte Zeit für Manrique gewesen sein: Begegnungen mit Robert Rauschenberg, dem Wegbereiter der Pop Art, der Schauspielerin Rita Hayworth und dem Tenor Alfredo Kraus; eine Freundschaft mit Andy Warhol; ekstatische Partys beim Tycoon Nelson Rockefeller und drei Einzelausstellungen, die ihm gewidmet waren. Vier Jahre – von 1964 bis 1968 – verbrachte er in der Stadt, die zu dieser Zeit zudem vom Freiheitsdrang der Beat Generation erschüttert wurde. Eine Ahnung von Stonewall lag bereits in der Luft. Schwule Bars waren illegal, die Polizei musste in regelmäßigen Abständen geschmiert werden – aber der Andrang in den einschlägigen Kneipen war enorm, und die Zahl der Polizeirazzien nahm zu.

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Coming-out mit über 40

Manrique, der 1919 auf der Vulkaninsel Lanzarote in eine relativ wohlhabende Familie geboren wurde, erlebt nun fernab von seiner Heimat einen inneren Gefühlsausbruch, der sich in zwei Eruptionen entlädt. Zum einen wird ihm spontan klar, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Als er zum allerersten Mal in seinem Leben schwulen Sex erlebt, ist er bereits jenseits der 40. Für ihn eine natürliche Erfahrung, die er fortan nicht mehr missen und auch nicht verheimlichen möchte. Später schwärmt er seiner Assistentin Carmensa de la Hoz in Spanien von dem Erlebnis vor: "Ich habe mich einfach hingegeben. Ich war neugierig darauf. Und ich liebe es."


César Manrique (ganz links) in einer nicht sehr heterosexuellen Pose (Bild: Archivo Ramón Saldias)

Die andere Leidenschaft, die während seiner Zeit in New York aus ihm herausbricht, ist eine verschütt gegangene Sehnsucht nach seiner Heimat Lanzarote. Es wird ihm klar, dass er sich für den Rest seines Lebens mit Leib und Seele für die Insel engagieren wird. Das mag paradox klingen: Lange drängte es ihn von dort weg. Er war er begierig darauf, als Künstler durchzustarten. Und wer etwas aus sich machen wollte, musste fort, zumindest auf eine andere kanarische Insel, wie Gran Canaria oder Teneriffa. Lanzarote war in den Sechzigerjahren das Stiefkind der Inselgruppe, nicht mehr als ein graues, ödes, provinzielles Schmuddel-Eiland.

In Madrid war Manrique künstlerisch ausgebildet worden. Er hatte sich kreativ in viele Richtungen ausprobiert, litt am Ende jedoch unter einer Blockade. New York inspiriert ihn von neuem, hier hat er zu sich selbst gefunden. Gleichwohl erschien ihm die Megastadt am Ende wie ein Moloch. "Ich glaube letztlich, dass der Mensch in New York wie eine Laborratte umherirrt. Wir wurden nicht für so eine künstliche Umwelt geschaffen. Ich muss wieder mit der Natur in Einklang kommen. Ich fühle es, rieche es." Das teilte er seinem Freund Pepe Dámaso in einem Brief mit. Zu diesem Sinneswandel mag auch dazu beigetragen haben, dass New York während seiner Anwesenheit wiederholt von einer nie da gewesenen Smog-Katastrophe gebeutelt wurde, die bei gut zehn Prozent der Bevölkerung zu schweren Vergiftungserscheinungen führte. Als die Stadt ein entsprechendes Gesetz zur Luftreinhaltung verabschiedete, war Manrique jedoch längst auf dem Sprung – nach Lanzarote.

Neues Zuhause auf einem erstarrten Lavastrom


Lavablasen als Wohnräume in Manriques Haus auf Lanzarote (Bild: wikipedia)

Auf seiner Heimatinsel findet er ein Grundstück in Tahiche, auf einem erstarrten Lavastrom. Das Besondere daran sind fünf unterirdische Höhlen – vulkanische Luftblasen -, die er untereinander mit Tunneln verbindet, zu Wohnräumen ausbaut und nach oben öffnet. Das aus der Oberfläche ragende Obergeschoss erhält große Fenster. In der Art der Gestaltung offenbart Manrique, wie geerdet und gleichwohl entrückt seine Ideen sind: Die Architektur fügt sich perfekt in die karge Landschaft ein und lässt dennoch Räume wie aus einer anderen Welt entstehen. Zählte Manrique in seinem Schaffen bislang eher zur zweiten Liga, so steigt er nun endgültig zur künstlerischen Avantgarde auf.

Zwanzig Jahre wird er in dem Haus leben, arbeiten und legendäre Partys feiern. Die New Yorker Kultur-Bohème schaut vorbei, viele Hollywood-Stars besuchen ihn, genauso wie die Architektur-Avantgarde aus der ganzen Welt. Auch sein Freund Pedro Almodóvar ist ein gern gesehener Gast. Jahrzehnte später wird er den Film "Zerrissene Umarmung" drehen – eine Hommage an Manrique und dessen Insel, die beide immer mehr miteinander verschmelzen.

Ökologische Pionierarbeit

Neben seinem Künstlerdasein leistet Manrique nach seiner Rückkehr 1968 ökologische Pionierarbeit, indem er für Lanzarote einen Blick auf das Wesentliche entwickelt: die Schönheit der Vulkanlandschaft und ihre Entstehungsgeschichte, das einfache Leben der Bauern und Fischer, ihre Alltagskultur und ihre Architektur. Manrique wird zu einem der ersten Umweltaktivisten und warnt vor einer ökologischen Katastrophe – noch bevor der Club of Rome mit seinem Bericht zur Weltlage die Menschheit aufzurütteln versucht. Immerhin in seiner Heimat stößt Manrique dabei auf offene Ohren. Seine Erfolge sind bemerkenswert.


Manrique mit seinem Hund Taro in seinem Haus in Tahiche (Bild: Archivo Fundación César Manrique)

Auf den Nachbarinseln Fuerteventura und Gran Canaria machen sich zu dieser Zeit bereits die ersten Auswirkungen des Massentourismus bemerkbar. Manrique gelingt es, auf Lanzarote mit einem nachhaltigen Konzept gegenzusteuern, den Neubau stark zu begrenzen und ganze Landstriche davon freizuhalten. Er verhindert Reklametafeln und setzt durch, dass die Identität der Inselarchitektur erhalten bleibt: Mit wenigen Ausnahmen wird auf Lanzarote nicht höher als zwei Stockwerke gebaut, und die Fassaden sind nahezu einhellig weiß getüncht. Eine zweihundert Meter lange Grotte im Norden, bislang eine wilde Mülldeponie, verwandelt Manrique in eine unvergleichliche Kunst- und Kulturstätte. Weitere Projekte folgen.

Vor allem Manriques Engagement ist zu verdanken, dass die Unesco Lanzarote 1993 als erste Insel zum Biosphärenreservat erklärt- und ein landwirtschaftlich genutzter Teil im Süden zum Weltkulturerbe, "La Gería" genannt: Aufgrund ihrer speziellen Form des Weinanbaus gleicht die Kulturlandschaft mit ihren hunderten von ringförmigen Mulden einer außerirdischen Kulisse.

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Verbandelt mit der Franco-Diktatur


César Manrique am Strand von Famara im Jahr 1945 (Bild: Archivo Fundación César Manrique)

Es ist keine Frage: Lanzarote ist ein durchgestyltes Gesamtkunstwerk. Wie kann es sein, dass die ganze Insel so stark mit dem Leben und Wirken eines einzigen Mannes verknüpft ist? Woraus schöpfte Manrique seine Kreativität, wie lässt sich sein Charisma erklären? Und wie konnte er sich mit seinen Ideen durchsetzen, zumal Spanien bis in die 1970er Jahre noch eine Diktatur war und Ökologie gewiss kein Thema?

Unterstützung fand er einerseits bei dem damaligen Inselpräsidenten José Ramírez, mit dem ihn eine Freundschaft aus Kindertagen verband. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpften sie gemeinsam an der Seite Francos, über dessen Politik Manrique nach seiner Heimkehr angeblich nie wieder ein Wort verlor. Seine Uniform soll er verbrannt und sich selbst zum Pazifisten geläutert haben. Die Freundschaft zu Ramírez blieb ein Leben lang erhalten, viele Projekte setzten sie gemeinsam durch.

Mindestens genauso wichtig war allerdings das Wohlwollen von Francos Tourismusminister Manuel Fraga, der die Ideen und Ansichten Manriques bewunderte und gar mit dessen sexueller Orientierung in Verbindung brachte. Freimütig gab Fraga zu Protokoll: "Homo­sexuelle haben eine Sensibilität und künstlerische Fähigkeit, die Heterosexuelle nicht haben. Sie sind sehr originell und kreativ." Und das, obwohl Homosexualität unter Franco als Verbrechen galt.

Für die "Neue Revue" war Manrique hetero


Fantasie-Berichterstattung der "Neuen Revue" in den 1970er Jahren

Wenngleich Manrique es sich erlauben konnte, mit seinem Schwulsein offen umzugehen, wollten viele Medien das nicht wahrhaben. Die westdeutsche Illustrierte "Neue Revue" etwa inszenierte in den 1970er-Jahren einen aus der Luft gegriffenen Artikel und titelte: "Der Millionär und die nackten Mädchen". Mit einem "Picknick auf dem Vulkan" locke Manrique "die Damen für ein heißes Wochenende nach Lanzarote zum Lieben und Sonnen wie im Paradies." Und weiter: "Der entzückte Schrei aus dem kostbaren Badezimmer kommt von Viviane. Aus der Rundbadewanne sieht sie durch dicke Fensterscheiben direkte in die exotische Mondlandschaft. Adam und Eva konnten sich im Paradies nicht wohler fühlen. Denn der Künstler Manrique weiß, was verwöhnte Zeitgenossinnen zum Träumen bringt."

Zumindest ist der Text ein eindrückliches und unterhaltsames Dokument für heterosexuelle Projektionen aus dieser Zeit, für die Geschichte der Presse und ihren Umgang mit Homosexualität.

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#1 NickAnonym
#2 Elfolf
  • 20.03.2022, 10:18hHamburg
  • Ich bin immer wieder begeistert, hier von Aspekten schwulen Lebens lesen zu können. Man taucht ein, in eine andere Zeit und andere Lebensumstände, mit denen wir heute nicht mehr in dem Maße konfrontiert sind. Dankeschön dafür.
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#3 LarsAnonym
  • 20.03.2022, 17:30h
  • Seine Werke auf Lanzarote sind wirklich sehr schön; die gesamte Insel ist von ihm bis heute geprägt.
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