Wird es in Zukunft immer schwieriger, via Gaydar die an Frauen interessierten Frauen von ihren heterosexuellen Geschlechtsgenossinnen zu unterscheiden? Zumindest, wenn es nach dem traditionsreichen, US-amerikanischen Magazin für Frauenmode "Harper's Bazaar" geht, reicht allein der Blick auf die Kleidung längst nicht mehr aus, eine Lesbe auch als solche zu erkennen.
Unter dem Titel "Sapphic Style Is Going Mainstream" beschreibt die Bazaar-Autorin Jill Gutowitz, dass der Style queerer Frauen in den vergangenen Jahren immer mehr seine Nische verlassen und weitere Kreise davon überzeugt hat, dass Frauenmode ihren Zweck auch effizient und komfortabel erfüllen kann. Der Ausdruck "Sapphic" bezieht sich dabei auf die klassisch-griechische Lyrikerin Sappho von Lesbos und gilt als Chiffre für das Lesbischsein.
Sexy und mächtig
Tatsächlich haben Dr.-Martens-Schuhe, Leder-Trenchcoats, Jeans mit weitem Bein, Anzüge, Trekkingsandalen und sogar Crocs, wie Gutowitz einige Beispiele aufzählt, nicht nur die Straßen, sondern teilweise auch die Laufstege der Welt erobert.
Doch wie es so oft ist bei Beobachtungen und Behauptungen über Mode: Wer zustimmen oder widersprechen will, muss vor allem sein Gefühl befragen. So ist auch Gutwitz' Text keine trockene Abhandlung, sondern eine Feier queerer Frauenmode und ihrer eigenen Erfahrung, in einem Anzug auf eine Hetenhochzeit gegangen zu sein.
Den Thesen der Modezeitschriften-Autorin konnte sich letztlich sogar die konservative Boulevardzeitung "New York Post" nicht entziehen und verkündete in etwas weiter aufgedrehtem Sound: "'Dressing like a lesbian' is the sexy and 'powerful' new fashion trend" – zu Deutsch: "Sich wie eine Lesbe anziehen" sei der sexy und mächtige, neue Modetrend.
Der zum Text zugehörige Tweet jedoch, inklusive Bebilderung durch die Schauspielerinnen Zendaya und Daisy Edgar Jones sowie das Model Bella Hadid, erntete in seiner Zuspitzung viel Widerspruch – zumal die mit ausgelieferten Bildbeispiele eher nicht zu überzeugen wussten. Über 16.500 Mal verbreiteten Nutzer*innen den Tweet mitsamt eines eigenen Kommentars an ihre eigene Twitterbubble weiter. Und der fiel zumeist eher gehässig aus.
Allerdings waren sich die wütenden Kommentator*innen nicht ganz einig, ob die "New York Post" gerade diskriminierende Stereotype über Lesben postulierte, verfehlte, wie ein authentischer Lesbenstil in Wahrheit aussieht, diskriminierende Stereotype über Heterofrauen verbreitete, der Vielfalt des lesbischen Ausdrucks durch Reduktion auf Androgynität nicht gerecht wurde oder vielleicht die sexuelle Identität von Lesben zugunsten eines Hetera-Modetrends enteignete, ja, kolonisierte.
Kurzum schien alles, was man über Veränderungen bei heterosexuellen und homosexuellen Modetrends überhaupt sagen konnte, mindestens verdächtig zu sein. Doch die Grundlagen der jeweiligen Vorwürfe wiederum widersprachen sich teils eklatant.
Dass die ursprüngliche Beobachtung von einer lesbischen Autorin stammte, interessierte die Twitter-Kommentierenden dann auch, augenscheinlich, weniger, als das gute Gefühl, ein konservatives Blatt mal wieder auf frischer Tat beim Diskriminieren ertappt zu haben.
Natürlich gibt es eine lesbische Mode
Dabei ist die These, dass Lesben in Abgrenzung von einer heterosexuellen Weise, sich auf eine auf männliche Aufmerksamkeit, Bestätigung und Erlaubnis ausgerichtete Art zu kleiden, eigene Moden und Codes entwickelt haben, banal. Das selbe gilt für die Beobachtung, dass diese Stile Einfluss auf die weitere Mode und Kultur aller Frauen und auch von Nichtbinären hatten und haben – oder für die Einsicht, dass nicht jedes Outfit einer Heterofrau gleich dazu da ist, die Beachtung von Männern zu erhaschen.
Immerhin ist auch der Siegeszug des liberalen Feminismus aufs Engste mit der lesbischen Geschichte seit 1968 und darüber hinaus verknüpft. Wie eine Frauen- oder Lesbenmode abseits der Bespielung des "male gaze" aussehen könnte, haben also seit Langem schon lesbische Frauen und Teenagerinnen erprobt. Alleine schon, um einander erkennen zu können.
So weiß die "Harper's Bazaar"-Journalistin auch mit besseren Beispielen veränderter weiblicher Mode und verwischter Übergänge von Hetero- und Homomode zu überzeugen als die "Post". Eine ihrer Kronzeuginnen: die lesbische, durch die kitschig-heterosexuellen "Twilight"-Filme als Heldin von Mädchen aller sexuellen Orientierungen bekannt gewordene Schauspielerin Kristen Stewart.
Die weiß bei ihren Sichtungen abseits der Filmsets nicht nur regelmäßig mit androgynen oder geschickt Feminines und Maskulines kombinierenden Looks zu überzeugen. In "Spencer" spielt sie auch noch niemand geringeres als Prinzessin Diana und könnte für ihre Leistungen dabei Ende März einen Oscar abräumen.
Schließlich meldete sich auch Gutowitz in der entstandenen Kontroverse selbst zu Wort und distanzierte sich von der Vereinnahmung durch die "New York Post". Die habe ihren etwas ironisch gemeinten Text in etwas eindimensionales und verletzendes verwandelt, das sie von ganzem Herzen ablehne.
Das machte den Eindruck, als habe sie sich dem entstandenen, gewaltigen Backlash gegen die Behauptung eines lesbischen Styles nicht wirklich entgegenstellen können – dabei hatte sie selber die Existenz eines solchen behauptet. Doch auch an diejenigen Queers, die Gutowitz über die "New York Post" hinaus ebenfalls attackiert oder ihr unterstellt hatten, als vermeintliche Hete lesbische Kultur zu enteignen, hatte die Autorin eine Botschaft: Gegenüber allen, die ihr wütende Nachrichten oder Tweets gesandt hätten, in denen sie eine Heterosexuelle genannt worden sei, die den Lesbianismus enteigne, verweise sie auf ihre komplette Karriere.
Man kann es also aus Gründen der Diskriminierungssensibilität vorziehen, lieber nichts über gar nichts auszusagen, weil doch jeder alles und das auf jede erdenkliche Weise sein könne oder es für jede Tendenz Gegenbeispiele gibt. Dann wird man feine Veränderungen in der Kultur, ihre Bedeutung für die Geschlechterbeziehungen und die queere Emanzipation allerdings nicht mehr registrieren.
Gutowitz' Voraussage für den kommenden Sommertrend lautet übrigens: schwarze Baggy-T-Shirts und Crocs. In ein paar Wochen gibt es also noch ein mal die Möglichkeit, die modische Beobachtungsgabe der lesbischen Autorin zu überprüfen.