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Hamburg
Nach Suizid von trans Frau: Gefängnisreform angekündigt
Nach dem Suizid einer 52-jährigen trans Frau in einem Hamburger Männerknast kündigt die Justizsenatorin im queer.de-Interview an, künftig die Rechte trans- und intergeschlechtlicher Gefangener besser zu wahren.

Jenny Paul / wikipedia) Die Grünen-Politikerin Anna Galina ist seit 2020 Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in Hamburg (Bild:
22. März 2022, 06:38h 6 Min. Von
Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass sich eine transgeschlechtliche Frau, die im Hamburger Männergefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert gewesen war, bereits im Februar das Leben genommen hat. Laut der Berichterstattung der "Bild"-Zeitung durfte die 52-Jährige im Gefängnisalltag weibliche Kleidung tragen. Sie sei jedoch massivem Mobbing durch Mitinsassen ausgesetzt gewesen (queer.de berichtete).
Kritik gab es damals auch an Justizsenatorin Anna Galina und der Informationspolitik ihres Hauses. Im Interview klärt die Grünen-Politikerin die Lage weiter auf und kündigt eine Reform des Vollzugs an.
Die "Bild" berichtete am 8. März, dass sich im Männergefängnis in Fuhlsbüttel eine transgeschlechtliche Frau das Leben genommen hat. Sie dürfen sich zu persönlichen Details nicht äußern, allerdings handelt es sich hier ja schlicht um das Geschlecht der Verstorbenen. Können Sie bestätigen, dass die Tote transgeschlechtlich war?
Ja, die Verstorbene war transgeschlechtlich. Uns wurde vorgeworfen, wir würden das bewusst verschweigen. So ist es aber nicht. Wir haben ein transparentes, aber auch sensibles Verfahren, weil es hier auch um den Persönlichkeitsschutz der Verstorbenen geht.
Nach einem Suizid informieren wir die Angehörigen und die zuständigen Abgeordneten im Landesparlament. Jeder Suizid wird unter Beteiligung von externen Fachleuten aufgearbeitet, wir betrachten die Umstände akribisch und analysieren, welche Konsequenzen wir gegebenenfalls für die Abläufe im Justizvollzug ziehen müssen und setzen sie dann um.
Im Justizausschuss gibt es einen Austausch über den Fall. Wir müssen immer sorgfältig abwägen, welche Informationen wir wann weitergeben können. Das befriedigt nicht immer das ad-hoc-Informationsbedürfnis der Medien und der Öffentlichkeit. Ich halte den Schutz von Persönlichkeitsrechten aber für ein hohes Gut.
Wie teilweise über diesen Fall berichtet wurde, hat sich gezeigt, dass es längst nicht allen um die Interessen und Bedürfnisse von trans Personen im Vollzug ging. Ich hab mich in der Vergangenheit sehr klar dazu geäußert, dass das unsägliche Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz abgelöst werden muss.
Das hat vielen nicht gefallen und manch einer witterte im Zusammenhang mit diesem Suizid dann die Chance zur Skandalisierung aufgrund der Unterstellung, wir würden trans Personen im Vollzug nicht unterstützen. Im Übrigen kommt sowas dann genau aus dem Lager, das weit entfernt ist von der politischen Unterstützung von Trans-Rechten.
Welche Rolle spielt das Geschlecht in Hamburg bei der Zuweisung zu Gefängnissen gegenwärtig laut Gesetz? Und wie wird das in der Praxis gehandhabt?
Die allermeisten Strafvollzugsgesetze, auch die in Hamburg, unterscheiden aktuell lediglich zwischen den Geschlechtern "Mann" und "Frau". Diese sind in getrennten Anstalten oder Abteilungen unterzubringen. Hier gibt es beim Umgang mit trans- und intergeschlechtlichen sowie nichtbinären Personen bundesweit immer noch Regelungsbedarf.
Wir werden in Hamburg eine rechtssichere Grundlage für den Vollzugsalltag schaffen. Deshalb arbeiten wir an der Anpassung der Landesvollzugsgesetze und wollen die Gesetzesänderungen noch im Frühjahr oder Sommer dieses Jahres auf den Weg bringen.
Hier fließen sowohl Erfahrungen aus den Justizvollzugsanstalten als auch externer Sachverstand mit ein. Das heißt aber nicht, dass wir nur noch schematisch vorgehen. Das verbietet sich. Und das möchte ich auch noch einmal ausdrücklich betonen: Schon jetzt spielt die individuelle Vorgeschichte jeder einzelnen Person im Justizvollzug eine große Rolle. Die Fachleute sprechen sich ab, und die inhaftierte Person wird engmaschig begleitet. Es geht darum, mit der inhaftierten Person gemeinsam eine gute Lösung zu finden.
Schon mit Beginn des Transitionsprozesses ist eine Verlegung in die jeweils andere Vollzugsart möglich. Der Prozess wird dann durch die Anstalten eng begleitet. Es gibt eine fachkundige Beratung aus Sozialarbeit, Medizin, Psychiatrie und Seelsorge und eine organisatorische Unterstützung, etwa bei der Beantragung einer Änderung des Personenstandes oder Verwendung spezieller Kleidung. Die beteiligten Personen kümmern sich da wirklich engagiert.
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In Berlin ist es seit vergangenem Jahr möglich, Gefangene bei der Zuweisung zu einem Gefängnis anzuhören (queer.de berichtete). Nicht nur der standesamtliche Personenstand entscheidet dann, sondern auch das tatsächliche Geschlecht einer Person. Am Ende bleibt es dort jedoch auch eine Ermessensentscheidung, es gibt keinen Rechtsanspruch. Ein Modell für Hamburg?
Wir schauen uns natürlich ganz genau an, wie die Prozesse im Berliner Justizvollzug laufen. Mir ist wichtig, dass wir die nötigen Anpassungen im Vollzug grundlegend erarbeiten und in den Vollzugsgesetzen und der alltäglichen Arbeit im Justizvollzug weiter implementieren. Wir wollen eine gute Regelung.
Aber noch mal: Schon jetzt werden auch in Hamburg bei der Aufnahme und Unterbringung der inhaftierten Personen individuelle Gespräche geführt. Inwieweit wir aus Berlin noch weitere Punkte übernehmen können, ist ebenfalls Gegenstand einer Arbeitsgruppe meines Hauses. Ziel ist ein Handlungsleitfaden für die Aufnahme von Transgender-Personen in Haft, der auch für den weiteren Haftverlauf unterstützende und schützende Maßnahmen festlegt, Prozesse und Zuständigkeiten definiert, das Fortbildungsprogramm für Mitarbeitende weiter ausbaut und Kooperationen mit externen Beratungsstellen vorsieht.
Dabei werden die bisherigen Erfahrungen der Anstalten berücksichtigt und interdisziplinärer Sachverstand von außen einbezogen. Im Hamburger Justizvollzug gibt es zum Beispiel spezifische Fortbildungen durch das Magnus-Hirschfeld-Centrum.
Welchen Spielraum für eine Veränderung sehen Sie in Hamburg, um die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, inklusive trans- und intergeschlechtlicher Gefangener, besser abzuwägen und zu gewährleisten?
Sicherheit ist bei allen Erwägungen im Justizvollzug selbstverständlich ein wichtiger Punkt. Wir müssen unsere inhaftierten Personen unterstützen und beschützen. Dazu trägt auch die in den Bereichen Fort- und Weiterbildung geleistete Aufklärungsarbeit rund um das Thema Diversity, Geschlecht und sexuelle Orientierung viel bei.
Aber die Würde des Menschen setzt hier klare Grenzen. Eine absolute Sicherheit kann es auch innerhalb des Vollzuges nicht geben, weil das nicht hinnehmbare Einschränkungen der Rechte jeder einzelnen Person mit sich bringen würde. Konkret: Wir dürfen, können und wollen nicht jede Person lückenlos überwachen.
Wir haben in Hamburg ein sehr fortschrittliches Resozialisierungsgesetz. Es geht hier um die Wiedereingliederung des Individuums in die Gesellschaft und es geht um Betreuung und Unterstützung. Das knüpft an das an, was ich vorhin gesagt habe: Individuelle Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen, sobald eine Person in den Justizvollzug aufgenommen wird.
Die individuelle Ausrichtung des Justizvollzugs auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Person von der ersten Minute an ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Wiedereingliederung. Jeder Mensch verdient den gleichen Respekt. Dies wird auch weiterhin Maßgabe unserer Anstrengungen sein. Gleichzeitig schauen wir natürlich permanent, wo wir uns in diesen Bereichen im Justizvollzug noch verbessern können.
Eine generelle Notfall-Seelsorge für Menschen mit Suizidgedanken ist unter der kostenlosen Nummer 0800 111 0 111 zu erreichen (für Kinder und Jugendliche gibt es auch die kostenlose "Nummer gegen Kummer" unter 116 111).
Für trans Personen gibt es in Deutschland ein großes Netzwerk aus Treff-, Unterstützungs- und Beratungsangeboten. So bietet etwa die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mehrere Beratungsstellen. Weitere lokale Angebote lassen sich oft über Suchmaschinen finden.
