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Offener Brief an Nutzer*innen öffentlicher Toiletten

Lasst uns in Ruhe pinkeln!

Wer nicht so aussieht, wie Stereotype es vorschreiben, wird auf öffentlichen Toiletten mit Glück nur angegafft, oft belästigt oder beleidigt oder gar mit körperlicher Gewalt hinausgeworfen. Das muss aufhören!


Wir müssen Toiletten entwickeln, in denen sich alle Individuen und Geschlechter sicher fühlen (Bild: @nontirakigle)

Liebe Nutzer*innen öffentlicher Toiletten,

habt ihr jemals darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, aus Angst vor Belästigungen lieber nicht auf ein öffentliches Klo zu gehen? Fragt meine Mitbewohnerin.

Meine Mitbewohnerin ist lesbisch. Sie ist 1,93 m groß und hat kurze Haare. Sie trägt weder Highheels noch Make-up. Ihre Lieblingsfarbe ist blau – sie hasst pinke und girly Dinge. Ihre Kleidung kommt aus der Herrenabteilung. Ihr vermutet es wohl schon: Sie entspricht nicht den Geschlechterstereotypen unserer oft engstirnigen Gesellschaft.

Lasst mich euch erzählen, was auf öffentlichen Toiletten passiert, wenn ihr nicht so ausseht, wie Stereotype es vorschreiben. Mit Glück werdet ihr nur angegafft. Die Chancen sind jedoch recht hoch, dass ihr belästigt oder beleidigt werdet. Körperliche Übergriffe sind auch nicht unüblich.

Was macht ihr in einer Welt, in der gut durchdachte Unisextoiletten noch nicht die Norm sind, wenn ihr euch gerade nicht stark genug fühlt, euch mit noch mehr übergriffigen Personen auseinanderzusetzen? Ihr hört auf, aufs Klo zu gehen. Ihr trinkt nichts, damit ihr durch den Tag kommt und dann zu Hause eure eigene Toilette benutzen könnt. Weil es ein sicherer Ort ist.

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Die Toilette ist kein sicherer Ort

Als ich meine Mitbewohnerin kennengelernt habe, war ich überrascht, wie wenig sie trinkt. Ich dachte, sie hat eine Art Superkraft: Die Frau brauchte einfach kein Wasser. Ich lag falsch. Sie hat sich nur eine Strategie angeeignet, um mit der menschlichen Dummheit umzugehen.

Wir waren auf Sizilien, als ich das erste Mal in einer solchen Situation dabei war. Wir sind auf die Damentoilette gegangen. Meine Mitbewohnerin zuerst – dann ich. Neben der Eingangstüre wartete ein Mann auf jemanden. Als meine Mitbewohnerin die Tür öffnete, brüllte der Typ hinter ihr her: "Moment mal! Was glaubst du, dass du da machst?".

Sie ging weiter, ohne ihn zu beachten. Der Mann rastete aus und beschimpfte sie hysterisch (aber es hat niemand gefragt, ob er gerade seine Tage hat). Ich drehte mich um, rollte mit den Augen und sagte: "Lass sie in Ruhe! Sie ist eine Frau."

Der Mann fühlte sich offensichtlich in der Situation nicht wohl, aber er entschuldigte sich auch nicht. Stattdessen schaute er etwas peinlich berührt und lächelte mich an; vermutlich sollte das charmant wirken. Diese Situation ist Jahre her – aber fragt lieber nicht, wie oft sich diese Geschichte seitdem wiederholt hat.

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Die Täter sind auch Frauen

Am 1. Oktober 2021 öffneten die Clubs in Bayern wieder. Nach dem langen Corona-Lockdown freute sich meine Mitbewohnerin, wieder feiern gehen zu können. Drei Tage in Folge ging sie in Clubs und ratet mal, was passiert ist? Die Toilettenbelästigung wiederholte sich an jedem Abend. Eines dieser Event war sogar eine queere Party. Also ja, Diskriminierung auf den Toiletten passiert auch innerhalb unserer LGBTI-Community. Der andere Punkt ist: Die Täter sind auch Frauen. An dem Samstag stellte sich eine Frau in den Türrahmen, um damit den Einlass zu verhindern. Eine andere versuchte meiner Mitbewohnerin an die Brüste zu fassen, um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich eine Frau ist. Die dabei benutzten Beleidigungen möchte ich nicht wiederholen.


(Bild: @nontirakigle)

Diese Erfahrung hat einen bitteren Beigeschmack bei meiner Mitbewohnerin hinterlassen und machte mich rasend vor Wut. So fragte ich sie, was helfen würde. Wir fingen an, nach Lösungen zu suchen. Wir haben versucht, uns genderinklusive öffentliche Toiletten vorzustellen. Wir haben gerätselt, wie wir Sicherheit für alle, die nicht ins Schema passen, bieten können, ohne eine Gefahr für andere Frauen zu schaffen.

Systematischer Sexismus

Wir haben über den systematischen Sexismus, der sich hinter langen Warteschlangen vor den Damentoiletten verbirgt, gesprochen: Herren- und Damentoiletten haben nach wie vor die selbe Größe, obwohl erwiesen ist, dass Frauen öfters und länger dort sind als Männer. Und nein! Es liegt nicht daran, dass wir uns auf den Toiletten ständig schminken und tratschen. Wir pinkeln im Sitzen, was mehr Raum benötigt, während Urinale die Kapazität von Herrenklos verdoppeln. Dazu kommt, dass manche Frauen ihre Tage bekommen, schwanger werden (und daher öfters auf die Toilette müssen), stillen und Kinder haben (die mit uns das Klo nutzen) – nicht zu vergessen die sogenannte Frauenkleidung, die mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Herrentoiletten sind aus den gleichen Gründen ebenfalls ein Problem für trans Männer. Dort gibt es nicht mal Mülleimer in den Kabinen und man läuft ständig Gefahr sich versehentlich zu outen, wenn man die Tampons entsorgen will. Das ist je nach Location ziemlich gefährlich. Anderes Problem: In Herrentoiletten gibt es keine Wickeltische. Väter, egal ob trans oder cis, müssen in Damentoiletten gehen um ihre Kinder zu wickeln…

Wir haben keine Lösung gefunden. Wir haben nichts gefunden, das jetzt den Toilettengang zu einer sicheren Sache für meine Mitbewohnerin machen würde. Ihre Freundin wird sie also wohl weiterhin aufs Klo begleiten müssen, um sie beim nächsten körperlichen oder verbalen Übergriff zu unterstützen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es sich für eine Frau Mitte dreißig anfühlt, jedes Mal aufs Klo eskortiert zu werden?

Einfach die Klappe halten

Gesellschaftspolitische Veränderungen brauchen Zeit – besonders wenn sie von grauhaarigen cis-hetero Männern, die sich überhaupt nicht für unsere Probleme interessieren, kommen sollen. Unser eigenes Verhalten zu ändern, das geht hingegen in Sekunden. Also Leute! Wir müssen uns zusammenreißen.

Bis wir Toiletten entwickeln, in denen sich alle Geschlechter sicher fühlen (und es ist höchste Zeit), müssen wir dringend unsere Ideen, wie Männer und Frauen aussehen sollten, dekonstruieren. Eigentlich sollten wir Genderbinarität dekonstruieren.

Also das nächste Mal, wenn ihr einen Menschen in einer öffentlichen Toilette antrefft, der überhaupt keinen Stress macht, aber eben nicht in euer Geschlechterbild passt, wisst ihr, was zu tun ist: einfach die Klappe halten.

Wenn meine Mitbewohnerin mit euch sprechen könnte, würde sie fragen: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die falsche Toilette benutzt? Wie wahrscheinlich ist es, dass ich die ganzen anderen Frauen um mich herum nicht bemerkt habe?" Sie würde euch sagen, dass ihr zwei Mal nachdenken solltet, bevor ihr ausrastet. Sie würde auch sagen: "Hinterfragt euch erstmal selbst, bevor ihr meine Anwesenheit hinterfragt." Und sie hätte vollkommen recht.

Meine Mitbewohnerin und die Menschen, die auf öffentlichen Toiletten Probleme haben, wollen nicht die Welt. Sie wünschen sich nur, mit Würde aufs Klo gehen zu können. Also lasst sie in Ruhe!

Queere Grüße
Élie Chevillet

PS: Auch ein Punkt, wenn ihr meine 1,93 m große Mitbewohnerin seht: Bitte erzählt ihr nicht, dass sie groß ist. Sie weiß schon Bescheid.

-w-

#1 LothiAnonym
  • 26.03.2022, 07:57h
  • Hey Elisabeth.
    Überhaupt über so ein normalerweise belangloses Thema berichten zu müssen um Dich hier zu erklären um darüber zu berichten finde ich echt unfassbar.
    Als schwuler Mann bin ich nur einmal im Leben angegriffen worden auf einer öffentlichen Toilette von einem Typen, der meinte Schwule seien das ideale Opfer. Zu meiner eigenen Verwunderung habe ich binnen Sekunden selbst zugeschlagen, bevor der Arsch mich verprügeltes konnte. Ich habe voll zugeschlagen und es floss Blut. Eine andere Schwester kam aus der Nachbar Kabine und sagte mir noch mitten im Kampf: der hat mich auch blöde angemacht u.verschwand ganz schnell. Ich hatte mich total in Rage gebracht und schrie dabei den Typ an: lass dich nie wieder hier blicken. Danach hatte ich dieses merkwürdige Machtgefühl als ich ihn mit seiner blutiger Nase stehen ließ und ging.
    Wie muß das Gefühl erst sein Opfer von solch Arschlöchern zu sein? Nicht auszudenken. Deine Geschichte berührt mich sehr.
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#2 MinuschAnonym
  • 26.03.2022, 08:40h
  • Danke für diesen Aufruf, Élie!

    Mir gefällt, dass Du so anschaulich zeigst, dass sogenannte "Minderheitenprobleme" immer mehr Menschen betreffen, als deren Gegener behaupten. Diese versuchen ja sogar oft noch, verschiedene Minderheiten gegeneinander auszuspielen, um jegliche Bewegung hin hin zu mehr Teilhabe und Gerechtigkeit zu verhindern.

    Vor dem Hintergrund finde ich es super passend, dass in deinem Aufruf mit keiner Silbe erwähnt wird, ob die Mitbewohnerin, cis, trans oder nicht-binär ist. Es für ihre erlebte Diskriminierung ja auch nicht relevant!

    Diese Perspektive, dass immer auch Menschen von Diskriminisierung betroffen sind, die eigentlich nicht zur "Zielgruppe" der Täter gehören, wird leider oft vergessen (oder bewusst ignoriert).

    Das sollte uns alle doch hinterfragen lassen, welche Rollen wir in diesem System spielen. Und uns zeigen, dass wir uns alle zusammen gegen Diskriminisierung jeglicher Art einsetzen sollten.
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#3 polly1975
  • 26.03.2022, 11:25hBerlin
  • Danke für diesen Artikel!

    Auch ich kenne dieses "Phänomen" sehr gut und finde es mega toll, dass Du den Artikel als Beobachterin dieser wiederkehrenden Alltagsherausfordreungen beschreibst, denn damit wird total deutlich, was sich die Personen, die das einmal als Fragende*r erleben nicht vorstellen können: es ist verdammt belastend ständig von anderen auf so dumme Art ´zurechtgewiesen´zu werden, ohne dass es dafür irgendeinen Grund gibt. Ich frage mich immer wieder, wenn ich diese Situation als Betroffene erlebe, ob sich die aufregenden Menschen BEVOR sie den Mund öffnen nicht mal fragen, ob ich Analphabetin oder blind bin?
    Ja, ich kann lesen und sehe, welches *Genderzeichen* da an der Tür ist. Ich weiß also sehr genau, WELCHE Räumlichkeiten ich für mein "Geschäft" nutze.

    Das Schlimmste, was ich empfinde ist die Täter-Opfer-Umkehr, nach dem Motto, dass die Person, die so blöde fragt/ eine Grenze überschreitet ja "nichts falsch gemacht hat" (Doch! Sehr viel sogar!)! Und daraus dann für sich die Schlussfolgerung zieht: hab ja nur einen HInweis gegeben, dafür muss sich ja niemand entschuldigen. (Doch! genau dafür!) . Diese Ignoranz der damit einhergehenden Grenzüberschreitung der körperlichen, geschlchtlichen Identität macht mich immer mal wieder sehr wütend, denn es spricht den eine Toilette aufsuchenden Personen ab, dass sie nicht wüssten wo sie ihre Dringlichkeit loswerden und auch wer sie sind.

    Was ich mich immer wieder frage ist auch:
    Ist das eine Diskriminierung?
    Ist das anzeigen-würdig, weil grenzüberschreitend, diskriminierend, verletzend?
    Wenn sich jmd. entschuldigt, dann denke ich: ok. Lektion gelernt.
    Wenn nicht und womöglich auch noch pöbelnd, verbal verletzend wird, dann würde ich so einer Person gerne mal "eine Lehre" erteilen (ja ich weiß Aug und Aug, Zahn um Zahn ist nicht gerade diplomatisch, aber in solch einer dringlichen Situation hab ich keinen Nerv auf Diplomatie ;-)) , aber....
    Weiß die Polizei dann überhaupt damit umzugehen?
    und nein, es IST KEINE LAPALLIE!

    Wie sich diese Übergriffigkeit lösen lässt?
    Gute Frage. Mehr Vertrauen in andere Menschen?
    Weniger Kontrolletti?
    All-Gender-KLOs...?
    Wahrschenlich von allem etwas.

    PS: Ich kenne das ganze seit meiner Kindheit, es hat nie aufgehört und am Schlimmsten empfinde ich es, wenn die Menschen nicht merken, wie sie in das Wohlbefinden der anderen Person mit ihrem "Spruch" eingreifen, übrigens total Alters- Geschlechts- etc.unabhängig.

    PPS: Übrigens passiert mir das nie, dass ich angepöbelt werde, wenn ich BEWUSST auf eine Männertoilette gehe, weil es so dringlich ist, z.B. und mal weniger zu wenige KLOs für Frauen* vorhanden sind. Da pöbelt niemand, da macht mich niemand an, sondern ich kann in Ruhe meinen Druck loswerden. Das finde ich dann immer echt ziemlich entspannend; im doppelten Sinne!
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