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Roman

Immer noch wilder Sex in Sofia

Garth Greenwells neues Werk "Reinheit" schließt an seinen Erfolg "Was zu dir gehört" an: Ein schwuler Englischlehrer lebt und liebt im bulgarischen Sofia. Der Roman punktet mit beeindruckenden Sexszenen.


Symbolbild: Szene vom Sofia Pride 2019 (Bild: Glas Foundation)

Der Westen ist auf dem östlichen Auge blind. Das zeigt sich gerade ganz frappierend im Ukraine-Krieg, galt aber auch schon zuvor. Umso erstaunlicher war es, dass der US-Schriftsteller Garth Greenwell 2018 mit "Was zu dir gehört" einen schwulen Roman herausbrachte, der nicht in New York, London oder Berlin spielt, sondern in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Dass dazugeschrieben werden muss, in welchem EU-Land diese Stadt liegt, sagt ja alles. Weil gerade Streckenvergleiche wieder in sind, um Nähe zu verdeutlichen: Sofia ist näher an Berlin als Mallorca.

Auch sein zweites Werk, "Reinheit" (Amazon-Affiliate-Link ), handelt dort. Wieder geht es um einen schwulen amerikanischen Englischlehrer. In neun in sich abgeschlossenen Geschichten trifft er einen seiner Schüler, der ihm davon erzählt, in einen Mitschüler verliebt zu sein, geht mit einer Schülerin auf eine Demonstration, bangt mit seinem Freund um die Zukunft der Beziehung oder hat hemmungslosen, ekstatischen Sex. "Reinheit" ist Erzählband und Roman zugleich.

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Beeindruckende Sex-Geschichten


"Reinheit" ist als Hardcover und als E-Book im Claasen Verlag erschienen

Vor allem die Sex-Geschichten haben es in sich. Mit dem Zitat des Autors, er wollte "hundert Prozent Pornographie und hundert Prozent hohe Kunst schaffen", betitelt der Verlag das Werk auf seiner Internetseite. Zurecht. Denn es ist tatsächlich ein Spagat, der Greenwell meisterhaft gelingt: Er schreibt über den Sex seines Protagonisten so authentisch und eindrucksvoll, dass es an Erotik unübertroffen ist, zugleich aber auch ein höchst ästhetisches und intellektuell anspruchsvolles Vergnügen bereitet.

Der Sex ist ehrlich, er ist wild und tabulos, aber teilweise auch schmerzhaft und grenz­überschreitend. Die Gedanken des namenlosen Protagonisten dazu zeugen von großer Reflexion. Das ist beeindruckend, nicht zuletzt dank Daniel Schreibers großartiger Übersetzung.

Greenwell stellt dem andere Geschichten gegenüber, die das genaue Gegenteil sind. Sie dienen als Kontrastfolie, was dramaturgisch sinnvoll ist. Inhaltlich überzeugen viele der Erzählungen aber kaum. Wie der Lehrer seinem schwulen Schüler zuhört, als der ihm das Herz ausschüttet, ist noch berührend. Auch wenn der Schüler wie alle Protagonist*­innen nur einen Buchstaben als Namen tragen, was sie nicht gerade plastischer macht. Wie er aber mit einer Schülerin Teil einer Demonstration gegen die Regierung ist, ist dagegen erstaunlich langatmig, uninteressant – und belanglos.

Das Bild der Stadt ist veraltet


Garth Greenwell wurde 1978 in Louisville, Kentucky geboren (Bild: Max Freeman)

Denn es handelt sich nicht etwa um die aktuellen Proteste gegen die bulgarische Regierung. "Reinheit" spielt Anfang der 2010er, die beschriebenen Demos waren 2013. Nur dass Greenwell sein Werk nicht zeitlich verortet. Wer es nicht besser weiß, könnte meinen, die Erzählungen sind erst kürzlich entstanden und zeigen ein zeitgemäßes Bild der bulgarischen Hauptstadt und seiner Gesellschaft.

Der Rezensent der Welt hält den Erzählband deshalb für ein "Statement, weil immer wieder angedeutet wird, wie schwierig es in Bulgarien ist, sich als LGBTI zu outen." Die Handlung sei zwar knapp zehn Jahre alt, "geändert aber hat sich dort diesbezüglich wenig".

"Reinheit" hinterlässt ein ambivalentes Gefühl

Was für ein Trugschluss, dem nur erliegen kann, wer die Stadt nicht kennt. Zur Pride-Parade gibt es – im Gegensatz zu der Zeit, in der Greenwells Buch spielt – längst keine Sicherheitskontrollen mehr. Und auch sonst ist das Sofia aus "Reinheit" nicht wiederzuerkennen mit der Stadt von heute: Es gibt keine verrauchten Restaurants mehr, der kleine Fluss Perlowska ist kein schlammiger Abwasserkanal, aus den kleinen, überwucherten Parks sind gepflegte Anlagen geworden, die die Einwohner*­innen lieben.

Und überhaupt ist dem Englischlehrer seine negative Grundhaltung dem Land und den Leuten gegenüber mehr als anzumerken. Irgendwann wird es redundant und langweilig, wenn er mal wieder von dem Land spricht, aus dem alle nur wegwollen, in dem niemand eine Zukunft sieht.

Deshalb hinterlässt Garth Greenwells neues Werk ein ambivalentes Gefühl. Herausragende Erzählungen auf der einen Seite, die über ihren sexuellen Gehalt hinaus in ihrer Klugheit hängen bleiben. Und andererseits eher öde Geschichten, die die Ost-Blindheit eher noch verstärken.

Infos zum Buch

Garth Greenwell: Reinheit. Originaltitel: Cleanness. Aus dem Englischen von Daniel Schreiber. Roman. 304 Seiten. Claassen Verlag. Berlin 2022. Gebundene Ausgabe: 23 € (ISBN: 978-3-54610-029-8). E-Book: 18,99 € (ISBN: 978-3-84372-704-4).

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#1 InteressantAnonym
  • 26.03.2022, 15:45h
  • Man kann dem Autor wohl kaum vorhalten, dass die deutsche Übersetzung so spät erscheint. Ich habe das englische Original schon vor längerer Zeit gelesen.
    Auch sonst bin ich mit dem Kritiker nicht einer Meinung. Während ich die Sexszenen nicht besonders frappierend fand, denke ich, dass die pessimistische Grundstimmung schon passt. Auch heute noch.
    Und ja, der Englischlehrer mag die Stadt nicht und kommt trotzdem nicht von ihr los. Muss er das? Ich habe auch schon in Städten gewohnt, in denen ich mich fremd fühlte.
  • Direktlink »

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