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Zum Trans Day of Visibility
Wir nehmen Euch nichts weg, wir fügen uns nur hinzu!
Die Muttermilch als Ausgangspunkt für ein paar Gedanken zu trans-inklusiver Sprache.

The Gender Spectrum Collection) Symboldbild: Trans und nichtbinäre Menschen werden sprachlich oft unsichtbar gemacht (Bild: Zackary Drucker /
31. März 2022, 05:25h 7 Min. Von
Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein schreibt in seinem "Tractatus logico-philosophicus": "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."
Ein Zitat vorweg klingt ja immer recht weise. Und egal, ob es jetzt klingt, als hätte ich die Weisheit mit großen Löffeln gelöffelt oder mit der Muttermilch aufgesogen, möchte ich mich nicht in lange Debatten darüber verheddern, ob nun Sprache die Wirklichkeit generiert, oder die Sprache eher ein Medium ist, die Wirklichkeit abzubilden. Ich möchte, um es auch noch mal vorwegzuschicken, nicht für alle trans Personen an dieser Stelle sprechen. Aber ich möchte den vielen, die sprachlich – ebenso oder auf andere Weise wie ich – unsichtbar bleiben, eine Stimme geben.
Denn eines kann Sprache definitiv: Sie hat die Fähigkeit, sichtbar, aber auch unsichtbar zu machen. Und wenn wir schon dabei sind in diesem Kontext: Sie kann wortwörtlich definitiv sein, das heißt umgrenzen, wer zu einer Kategorie gehört und wer nicht. Denn "definieren" heißt: eine "finis", eine Grenze, ziehen. Eine Grenze um einen Begriff herum. Wie ziehen wir eine Grenze um den Begriff "Mann"? Wie definieren wir "eine Frau"?
Nicht alle Männer haben einen Penis
Unsere trans Community prägt seit geraumer Zeit der Slogan "Some men have vaginas, some women don't. Get over it." Und dennoch habe ich selbst in queeren Kreisen den Eindruck, dass man nicht über "es" hinweg ist, dass sie in den Köpfen immer noch herumspuken: der Penis und die Vagina. Die aus aussagenlogischer Perspektive hinreichenden Begriffe, die einen Mann zum Mann und eine Frau zur Frau machen.
Dieses Denken ist zwar per se nicht falsch. Doch leider auch nicht inklusiv. Denn das Reproduzieren von biologistischen Geschlechtskonstruktionen im Sprechakt sowie die bereits unreflektierte gedankliche Verknüpfung eines erstmal rein körperlichen Merkmals ("Penis") mit der Genderidentität einer Person ("männlich") radiert trans, nichtbinäre und gendernon-conforming Personen auf sprachlicher Ebene performativ und fortwährend aus.
Dass ein Genital zwar geeignet sein kann, ein Geschlecht zu definieren, aber nun mal nicht muss, wird dabei übersehen. Anders gesagt oder besser aussagenlogisch ausgesagt: Ein Penis etwa ist eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für das Gender "männlich". Sie kann auch auf andere Weise erreicht werden. Und da dieser Fakt übersehen wird, werden leider wir übersehen und nicht gesehen.
Jede Person mit Uterus kann schwanger werden
Wie kann es sein, dass ein Post in einem sozialen Netzwerk über "Muttermilch" eine Debatte – verzeiht mir das Wortspiel – galaktischen Ausmaßes auslöst? Solange Frauen Kinder auf die Welt bringen, heiße es Muttermilch, schallt es in diesen hitzigen Diskussionen. So und so ähnlich geht es weiter. "Menstruierende Person" wird unbewusst des Sinnes hinter der Formulierung belächelt. In Terf-Kreisen (also den trans-exkludierenden radikalen Feministinnen) wird diese sogar als Angriff und als die Löschung "des Weiblichen" gesehen, ein Angriff, der Frauen unsichtbar mache. Dabei geht es doch gar nicht um Frauen. Es geht vor allem nicht darum "Frauen" zu "ersetzen". Der Gebrauch inklusiver Sprache ist kontextgebunden und speziell. Etwa, wenn es um ein bestimmtes Körperteil oder eine Körperfunktion geht. Und nicht um Frauen im Allgemeinen.
"Wenn Frauen Kinder auf die Welt bringen, heißt es Muttermilch!" An diesem Satz ist nichts zu rütteln. Er ist wahr. Doch es bringen nun mal nicht nur Frauen Kinder auf die Welt. Man kann auf viele Arten Vater werden. Auf viele Arten Mutter. Pauschalisierende Formulierungen wie "schwangere Frauen" negieren Lebenswirklichkeit von trans Personen und missachten die Existenz von gebärenden Vätern und zeugenden Müttern. Seit der Operationszwang, der eine dauerhafte Unfruchtbarkeit hervorrufen sollte, als Bedingung für die Personenstandsänderung weggefallen ist, ist dieses Faktum auch keine gar so seltene Realität mehr. Jede Person, die einen Uterus hat, kann menstruieren. Jede Person mit Uterus kann schwanger werden.
Sprache macht auch unsichtbar
Fakt ist, dass Sprache nach dem Prinzip von Signifikat und Signifikant funktioniert. Fakt ist, dass Sprache sichtbar, aber auch unsichtbar machen kann. "Eine Person mit Penis ist ein Mann." Allein dieser Satz macht auf sprachlicher Ebene trans Männer unsichtbar, radiert trans Frauen aus und negiert die Existenz nichtbinärer Personen. Die Rede vom vielfach zitierten "biologischen Geschlecht" ist rein faktisch eine biologistische geschlechtliche Vorannahme.
Und wenn wir schon dabei sind: Es heißt nicht "als Junge/als Mädchen geboren" sondern: "bei der Geburt dem männlichen bzw. dem weiblichen Geschlecht zugewiesen". Nicht "er war mal eine Frau" sondern "vor seiner Transition", ganz gleich ob diese sozial, rechtlich oder medizinisch stattgefunden hat. Nicht "biologische Frau" sondern "cis Frau". Nicht "Transfrau" sondern "trans Frau". Denn "trans" ist ein genauer beschreibendes Adjektiv, das keine "Sonderkategorie" von Frau oder Mann aufmacht. Ebenso wenig wie "cis" es tut.
Ebenso Fakt ist: Das generische deutsche Maskulinum ist, wenn man es genau runterbricht, eigentlich das, was es de facto ist: ein Maskulinum; und zwar eines mit einer weggefallenen männlichen Endung. Demnach nach wie vor: ein Maskulinum. Fakt ist, dass Sprache nach dem Prinzip von Signifikat und Signifikant funktioniert. Und wenn ich also "Bürger" sage, meine ich in erster Linie männliche Bürger_. Und vielleicht sind Frauen mitgemeint. Und vielleicht fühlen sich einige auch mitgemeint. Macht man aber den Lackmustest in einer reinen Männerrunde, fühlt sich kaum einer von "Bürgerinnen" mitgemeint. Ja gar repräsentiert. Stellt man Grundschulkindern die Aufgabe, Piloten oder Mechaniker zu zeichnen, zeichnen sie fast immer eine männliche Person, woran man sieht, wie weit internalisierte patriarchale Strukturen reichen.
Das Gendersternchen als Zeichen des Respekts
Fakt ist: Das generische Maskulinum ist ein Maskulinum. Und wenn ich "Bürger" sage, postuliere ich die These, dass es in unserem Staat nur ein relevantes Geschlecht gibt, das es anzureden wert ist, nämlich das männliche. Sage ich ergänzend "Bürgerinnen und Bürger" mache ich eine Binärität auf, die an der Wirklichkeit vorbeigeht. Denn es gibt mehr Gender-Identitäten jenseits des Binären.
Und weil es Fakt ist, dass Sprache nach dem Prinzip von Signifikat und Signifikant funktioniert, ist es, wenn ich "Bürger*innen" sage – wie ein Trema gesprochen, einer kleinen Sprechpause – mein vielleicht nicht sprachlich elegantestes, aber dennoch dem notwendigen und erforderlichen Versuch geschuldetes Ergebnis, sprachlich den Menschen den gebührenden Respekt zu zollen, die auf sprachlicher Ebene oft genug unsichtbar gemacht und ausradiert werden. Nichtbinäre, gender non-conforming Personen und Frauen – und ja, selbstverständlich cis Frauen wie trans Frauen. Denn trans Frauen sind Frauen, keine "Frauen*". Trans Männer sind Männer, keine "Frauen*", so freundlich der Versuch eines inklusiven Gendersterns hier auch gemeint sei. Und selbst wenn sich einige nichtbinäre Genderidentitäten hierunter subsumieren lassen und sie sich auch subsumieren lassen wollen – doch alle definitiv nicht adäquat und definitiv nicht alle sichtbar.
Darüber hinaus macht es das Fehlen eines geschlechtsneutralen Pronomens jenseits der Binarität von "sie" und "er" unmöglich, auf nichtbinäre Personen, die eine Anrede jenseits der männlichen oder weiblichen wünschen, in adäquater Weise zu referieren. Und dennoch sind selbst in der Community nicht mal die gängigsten Neopronomina soweit bekannt, als dass nicht fortwährend ihre Verwendung durchexerziert werden muss.
Transident-Sein ist ein Spektrum, innerhalb dessen man auf viele unterschiedliche Arten sein kann. Sei es auf binäre oder nichtbinäre Weise. Ob wir nun für uns geschlechtsangleichende Maßnahmen wünschen oder nicht. Ob Ihr uns nun mit oder ohne Sternchen schreibt. Ob nun so manch eine*r von uns die Weisheit mit der Muttermilch aufgesogen haben mag oder mit Vatermilch. Wir sind da. Und wir gehen nicht weg. Die Frage ist nur, ob Ihr Eurer Sprache Grenzen auferlegen wollt, wo Eure und unsere Welt sich nicht treffen wollen. Ob Ihr bewusst oder unbewusst nach Definitionen sucht, die uns unsichtbar machen. Oder ob Ihr die Grenzen Eurer Welt um uns erweitert, indem Ihr eine Sprache benutzt, die trans Personen sichtbar statt unsichtbar macht.

Ich weiß dass das nicht so gemeint ist, aber den Spruch würde ich in Zukunft vielleicht lassen. Eine hinreichende Bedingung bedeutet, dass aus der Bedingung notwendigerweise die Konsequenz folgt. Hier würde das etwas ungünstiges über alle Menschen mit Penis die keine Männer sind aussagen.
Sonst natürlich ein guter Artikel :)