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"Ich hatte nie die Absicht, das jemals mit Ihnen zu teilen"
London: Erster offen trans Politiker im Unterhaus
Erstmals sitzt im altehrwürdigen "House of Commons" eine Person, die offen trans ist – allerdings als Mitglied einer Partei, die wenig von trans Rechten hält. Erpressung und eine Vergewaltigung hätten ihn zum Coming-out getrieben, so Jamie Wallis.

David Woolfall / wikipedia) Jamie Wallis ist seit 2019 eines von 650 Mitgliedern des Unterhauses (Bild:
- 31. März 2022, 16:13h - 4 Min.
Jamie Wallis, ein konservativer Abgeordneter des Londoner Unterhauses, hat sich als erstes Mitglied des fast 700 Jahre alten Parlaments als trans geoutet. Auf Twitter schrieb der 37-jährige Waliser am Mittwoch: "Ich bin trans. Oder, um es genauer zu sagen, will ich das sein. Bei mir wurde eine Geschlechtsidentitätsstörung diagnostiziert und ich habe mich schon so gefühlt, als ich ein junges Kind war. Ich hatte nie die Absicht, das jemals mit Ihnen zu teilen. Ich dachte immer, ich würde die Politik verlassen, bevor ich das jemals laut aussprechen würde." In einem Folgetweet ergänzte der Tory-Politiker, er wolle zunächst einmal "er" als Pronomen weiterverwenden.
Twitter / JamieWallisMPIt's time. https://t.co/cbt0tKQZuN pic.twitter.com/IUaCjm9PtE
Jamie Wallis MP (@JamieWallisMP) March 30, 2022
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Wallis ist seit 2019 im "House of Commons" vertreten. Bei der letzten Parlamentswahl hatte er zum ersten Mal seit 1983 den Wahlkreis Bridgend im Süden von Wales der Labour-Partei entreißen können. Er gewann knapp mit 43 zu 40 Prozent gegen die sozialdemokratische Konkurrentin (nach britischem Wahlrecht reicht eine relative Mehrheit zum Sieg aus).
In seinem Coming-out-Tweet erläuterte Wallis auch die Gründe für seine Offenheit. Er sei bereits im April 2020 beinahe geoutet worden. Damals habe ihn jemand erpresst, vor seinem Vater geoutet und Fotos an andere Familienmitglieder geschickt. Der Erpresser habe 50.000 Pfund (knapp 60.000 Euro) für sein Schweigen verlangt. "Die Polizei hat mich sehr unterstützt und verständnisvoll reagiert. Das System hat funktioniert: Er hat sich schuldig bekannt und wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt", so Wallis weiter.
Wallis berichtet von sexuellem Übergriff
Nach diesem Vorfall habe er zu seiner alten Normalität zurückkehren können – und versteckte seine Geschlechtsidentität weiter. Im September sei er dann aber Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden. Täter sei ein Online-Date gewesen: "Ich habe mich mit jemandem 'getroffen', den ich online getroffen habe. Als ich 'Nein' gesagt habe, weil er kein Kondom überziehen wollte, hat er mich vergewaltigt", so Wallis. "Seither war ich nicht mehr ich selbst und ich glaube, ich werde mich nie erholen. Das ist nichts, das man jemals vergessen kann und einfach weiter machen kann. Danach ging es bergab mit mir. Ich bin nicht okay."
Ende November sei er außerdem in einen Autounfall verwickelt gewesen. "Ich habe den Unfallort verlassen. Ich tat das, weil ich so viel Angst hatte. Ich habe eine posttraumatische Belastungsstörung und weiß ehrlich nicht, was ich damals tat, außer dass Angst mich überwältigt hat."
Tory-Partei gilt als transfeindlich
Wallis' konservative Partei, die in London seit 2010 ununterbrochen an der Macht ist, gilt als transfeindlichste der großen britischen Parteien. So lobte Premierminister Boris Johnson erst vor wenigen Monaten offen eine transphobe Organisation (queer.de berichtete). Nur wenige Stunden vor dem Coming-out fiel Johnson zudem bei einem Abendessen mit konservativen Abgeordneten durch einen "Herrenwitz" auf, der als tranphob kritisiert wurde. Konkret sagte er: "Guten Abend, meine Damen und Herren, oder wie [Oppositionsführer] Keith Starmer sagen würde: 'Leute, die bei der Geburt als Frau oder Mann bestimmt wurden'." Auch Wallis war bei dieser Veranstaltung anwesend.
Nach dem Coming-out zollte Johnson auf Twitter seinem Parteifreund Respekt. "Danke für deinen Mut, der zweifellos anderen helfen wird", so der Regierungschef. "Die konservative Partei, die ich anführe, wird dir und anderen immer die Liebe und Unterstützung zukommen lassen, die ihr braucht, um euch sein zu können." Viele Twitter-Nutzer*innen warfen dem Premier Heuchelei vor und erinnerten daran, dass er sich in der Vergangenheit auch homophob geäußert hatte.
Twitter / SholaMos1Liar Boris Johnson does not support #Trans – made fun of them in speech last night and hes a homophobe who called gay men tank-topped bum boys.
Dr Shola Mos-Shogbamimu (@SholaMos1) March 30, 2022
The PM.
Hes trying capitalise on Jamie Wallis. Reprehensible. pic.twitter.com/59OoXQM3pY
Abgeordnete mehrerer Parteien zeugten Wallis bei einer Sitzung des Unterhauses Respekt für sein Coming-out, darunter auch Oppositionsführer Keith Starmer und Ian Blackford, der Chef der drittstärksten Fraktion SNP.
In Deutschland sind bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 mit Nyke Slawik und Tessa Ganserer (beide Grüne) erstmals zwei trans Frauen ins Parlament gewählt worden (queer.de berichtete). (dk)
