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Herkunftsgeschichten
"In der Fremde vergaß ich die Heimat und fand sie zur selben Zeit"
Mit dem Begriff "Heimat" verbinden queere Menschen oft nicht nur schöne, sondern auch schmerzhafte Erinnerungen. Die neue Ausgabe von "Mein lesbisches Auge" widmet sich dem Thema in 43 mitreißenden Erzählungen.

Für die Heimat-Sonderausgabe von "Mein lesbisches Auge" öffnete u.a. Maria Gutierrez ihr Fotoalbum und zeigt diese Aufnahme aus Teneriffa
- Von Katharina Heide
3. April 2022, 10:18h - 3 Min.
Die neueste Ausgabe des Jahrbuchs "Mein lesbisches Auge" widmet sich dem Thema Heimat. Insgesamt 43 mitreißende Erzählungen bringen die Leser*innen an unterschiedliche Orte der Welt, darunter in Länder wie Deutschland, Kanada, USA, Brasilien, Italien, Japan und Slowenien. So vielfältig wie die einzelnen Herkunftsorte sind auch die beruflichen Biografien der Autorinnen: Schriftstellerinnen, Redakteurinnen, Softwareentwicklerinnen, Lehrerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen, Historikerinnen und viele andere. Die zu den einzelnen Erzählungen veröffentlichten Bilder aus den Kinder- und Jugendtagen sorgen dafür, dass man als Leser*in noch tiefer in die Vergangenheit der Erzählerinnen eintauchen kann.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in der Ukraine nimmt man die Erzählungen dieser Ausgabe bewusster wahr. Einige Geschichten machen deutlich, wie wichtig die persönlichen Herkunftsorte für die eigene Entwicklung sind. Umso tragischer erscheint der Verlust der eigenen Heimat, den gerade Tausende von Ukrainer*innen durchleben. Auch viele queere Menschen aus der Ukraine sind auf der Flucht vor dem Krieg und zugleich auf der Suche nach einem sicheren Ort, der eines Tages vielleicht zu einer neuen "Heimat" werden könnte. Für die queeren Menschen geht es auch um das Entkommen vor gesellschaftlicher Verurteilung. Denn die gesellschaftliche Einstellung zu queeren Menschen war in der Ukraine auch vor dem Krieg eher ablehnend. Das zeigt sich an den gewaltsamen Übergriffen (bei der ersten Pride-Parade in Kiew im Jahr 2012) und dem starken Polizeischutz seitdem.
Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl

"Mein lesbisches Auge: Herkunftsgeschichten" ist Ende 2021 im Tübinger konkursbuch Verlag erschienen
Die einzelnen Beiträge betrachten das Thema Heimat aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlichen Kontexten. So hat jede*r Leser*in die Möglichkeit, sich auf die ein oder andere Weise in den Erzählungen wiederzufinden. Durch meine persönliche Migrationserfahrung waren mir insbesondere die Passage vertraut, welche die Heimat als ein Gefühl beschrieben und nicht als einen geografischen Ort. So wie Geschichte von Francis Kaufmann, die ihre Heimat in Bayern zuerst verlassen musste, um sich selbst und die neue Heimat in der Fremde für sich zu finden: "in der Fremde vergaß ich die Heimat und fand sie zur selben Zeit".
Auch Karen-Susan Fessel, die im Emsland ihre "prägenden Jahre" verbracht hat und dort aufwuchs, zieht am Ende ein ähnliches Resümee "Aber egal, wo ich auch bin: Zugezogen bleibe ich immer. Und Heimat gefunden habe ich nirgendwo sonst. […] die trage ich heute im Herzen."
Selbst in der damaligen Sowjetunion geboren, fand ich die Geschichte von Suzana Tratnik aus Jugoslawien besonders spannend. Ich war erstaunt, wie "frei" die Autorin für die damalige Zeit mit ihrer Homosexualität umgehen und diese ausleben konnte. Zwar gab es auch zu der Zeit böse Blicke und homophobe Witze, aber es wirkte auf mich weniger restriktiv als die aktuelle Situation für queere Menschen in Osteuropa, allen voran in Russland.
Spannende Reise in die Vergangenheit
Die Geschichten in dem neuen Jahrbuch vermitteln das Gefühl, nicht allein zu sein. Allein mit all den schönen, aber auch schmerzhaften Erinnerungen an die frühere Kindheit und Jugend und den eigenen Weg, den man als queere Person oft eingeschlagen hat und der nicht immer leicht war. Am Ende jeder Geschichte wird aber klar: Es lohnt sich zu kämpfen, so wie es Dulcineia Gomes tat, die mutig und kämpferisch ihre "ideale Welt" trotz des harten Widerstandes ihrer Mutter durchsetzte für "die Tage meines Lebens, die noch kommen würden".
Die Heimat-Ausgabe von "Mein lesbisches Auge" ist eine spannende Reise in die Vergangenheit unterschiedlicher Jahrzehnte, Orte und Emotionen.
Laura Méritt (Hrsg.): Mein lesbisches Auge 21. Herkunftsgeschichten. Redaktion und Lektorat: Regina Nössler. 352 Seiten. Konkursbuch Verlag. Tübingen 2021. Taschenbuch: 16,80 € (ISBN 978-3-88769-921-5)
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