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Wegen Öffentlichkeitsarbeit nach Selbstverbrennung
Pressesprecher der Berliner Polizei entschuldigt sich im Fall Ella
Über Monate verteidigte die Berliner Polizei ihre Pressearbeit im Fall Ella. Nun folgt die Kehrtwende. Sprecher Thilo Cablitz entschuldigte sich und räumte ein: Die Fehler der Polizei erschüttern das Vertrauen.
8. April 2022, 19:14h 8 Min. Von
Der Pressesprecher der Berliner Polizei, Thilo Cablitz, entschuldigt sich bei den Hinterbliebenen von Ella Nik Bayan für die Öffentlichkeitsarbeit seines Hauses. Das gab sowohl die Innenverwaltung des Berliner Senats schriftlich als auch Cablitz selber telefonisch gegenüber queer.de bekannt.
Bayan hatte sich am 14. September vergangenen Jahres in Berlin das Leben genommen. Die Pressestelle der Berliner Polizei hatte sowohl am Tag selber als auch tags darauf bekannt gegeben, dass sie das Vorliegen eines "extremistischen" oder "politischen" Hintergrundes des Suizids "derzeit" beziehungsweise "weiterhin" ausschließen könne (queer.de berichtete).
Diese Mitteilungen, die unter den Hinterbliebenen Bayans zu dem Eindruck geführt hatten, dass die Polizei Belege für eine rein persönliche Motivation gefunden hatte, sollen jetzt dahingehend geändert werden, dass Hinweise auf eine politisch motivierte Handlung nicht vorliegen. Nach ihrem Tod war Bayan durch die Berichterstattung vorwiegend unter ihrem Vornamen Ella bekannt geworden.
Polizei verteidigte eigene Pressearbeit bis zuletzt
Welche Hinweise für den Ausschluss eines politischen Motivs vorlägen, hatte queer.de über Wochen bei der Pressestelle der Berliner Polizei herauszufinden versucht.
Schließlich hatte eine Anfrage des innenpolitischen Sprechers der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, in Kooperation mit queer.de zutage gefördert: Die Berliner Polizei hat überhaupt keine Anhaltspunkte dafür ermitteln können, aus welchem Motiv sich Ella das Leben genommen hat (queer.de berichtete). Das heißt: weder in Richtung politischer Motive, noch in irgend eine andere Richtung.
Zuvor hatte die damalige Leiterin der Pressestelle beim Berliner Polizeipräsidium Stab, Anja Dierschke, die Pressearbeit der Polizei in der Angelegenheit verteidigt, zuletzt am 12. November. Man habe ja, hatte es in einer Antwort auf eine Presseanfrage geheißen, das Vorliegen eines "extremistischen Hintergrundes" am 14. September nur "derzeit" ausgeschlossen.
Das klang, als habe sich die Pressestelle nichts zu Schulden kommen lassen und als läge der Fehler bei der falschen Interpretation – und damit bei den trauernden Hinterbliebenen und der bundesweiten Presseberichterstattung. In der waren Ellas Leben und das Ringen mit dem Suizid derer, die Ella nahe gestanden hatten, teils ausführlich thematisiert worden.
Ob der öffentliche Suizid durch Selbstverbrennung als politische Handlung gewertet werden müsse oder nicht, darüber waren auch wegen der Öffentichkeitsarbeit der Polizei Streitigkeiten und auch Verletzungen bei Hinterbliebenen entstanden.
Doch damit nicht genug: Als die Senatsverwaltung für Inneres schon längst die Grundlage für die bisherige Pressearbeit der Berliner Polizei entzogen hatte, wollte die noch immer keinen Fehler bei sich erkennen. Auf die erneuten Fragen von queer.de nach der falsche Tatsachen suggerierenden Berichterstattung antwortete die Pressestelle: "Mit Beginn des Ermittlungsverfahrens wurde von der Polizei Berlin von Beginn an in Betracht gezogen, dass für diese Art des Suizids, als Ausdrucksmittel des Protestes, eine politische Motivation vorliegen könnte. Hinweise auf eine solche politische Motivation, aber auch auf jede andere Motivation zur Tat konnten während des gesamten Verfahrens nicht erlangt werden."
Doch warum das nicht in den Pressemitteilungen der Polizei öffentlich gemacht worden war, warum Ella im September sprachlich in die Nähe von "Extremismus" gerückt und die Protest-Hypothese ohne jede Grundlage verworfen worden ist, darüber wollte die Pressestelle noch immer keine Auskunft erteilen. Sie wiederholte nur, was inzwischen eh bekannt war.
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Pressesprecher: "hat mich betroffen gemacht"
Nun aber bemüht sich der Pressesprecher Thilo Cablitz um Aufklärung der schlechten Pressearbeit seines Hauses. "Ihre Anfragen und Ausführungen wurden mir erst kürzlich vorgelegt und sie haben mich betroffen gemacht", sagte er gegenüber queer.de.
Mit der Kommunikationsarbeit seiner Kolleg*innen musste sich Cablitz noch ein mal beschäftigen, weil queer.de wegen der fortgesetzten Boykotthaltung der restlichen Pressestelle erneut eine Anfrage an die Berliner Innenverwaltung gestellt hatte.
Cablitz irritieren dabei nicht nur die ursprünglichen Pressemitteilungen seiner Kolleg*innen, sondern auch die Art und Weise, wie die Presseanfragen vor und nach der entscheidenden Mitteilung durch die Berliner Innenverwaltung bearbeitet worden sind: "Die Worte, die Sie als Antwort erhalten haben, haben mich befremdet."
Dass im September durch die Beamten überhaupt über den Suizid berichtet worden sei, habe an der Ausnahmesituation durch die öffentliche Selbstverbrennung Bayans gelegen. Normalerweise berichtet die Polizei nämlich, wie auch die Presse, nicht über Suizide. Hier aber hätten die besonderen Umstände eine polizeiliche Einordnung erforderlich gemacht, sagt Cablitz.
In kürzester Zeit seien an jenem Tag "Vermutungen, Annahmen, Deutungen bis hin zu Videos" kursiert. Dies habe "eine schnelle kommunikative Intervention" erforderlich gemacht, um "öffentliche Spekulationen und Versionenbildungen einzudämmen" und Berichterstattende "darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Suizid handelt", und damit "an ethisch-moralische Grenzen zu appellieren".
Das legitime Anliegen aber ging gehörig daneben. Normalerweise hätte die Formulierung "Hinweise auf eine politisch motivierte Handlung liegen nicht vor" gewählt werden sollen, wie Cablitz erklärt. In der Umsetzung sei dann jedoch "der Begriff 'extremistisch' gewählt" worden, was "durch die Pressestelle der Polizei Berlin aufrichtig bedauert wird". Dieser Begriff "hätte nicht genutzt werden dürfen".
Zudem heißt es: "Der Pressesprecher der Polizei Berlin entschuldigt sich ausdrücklich bei allen Betroffenen, ob nun angehörig, befreundet oder bekannt. Die grundlegende Intention – mit all den hier vorliegenden Erfahrungen – war richtig, die Wortwahl jedoch falsch. Daher wurde die Polizeimeldung umgehend geändert. Das Andenken der Verstorbenen und die Gefühle der Angehörigen sollten zu keinem Zeitpunkt verletzt werden."
Am Telefon kommt Cablitz auch noch mal auf die Vorgeschichte des Suizids und die durchaus politische Dimension dessen zu sprechen, was Ella in den Jahren vor ihrem Tod in Deutschland erdulden musste. Die Einordnung von Ereignissen, die polizeiliche Einsätze nach sich ziehen, als "politisch" folgt jedoch einer anderen Logik.
Es sei nach Sichtung der Schriftwechsel Cablitz' erster Impuls gewesen, Kontakt aufzunehmen und sich zu entschuldigen, "nicht aus Sorge vor irgendeinem Reputationsschaden, sondern weil wir einen Fehler begangen haben, einen Fehler, der viele verletzt und ihr Vertrauen in uns erschüttert oder, schlimmer, gar nicht erst entstehen lässt".
Seine Stelle hätte zuhören müssen, "nicht um zu erwidern, sondern um zu verstehen und dann zu antworten". Er könne sich dafür "nur aufrichtig und ausdrücklich entschuldigen", und zwar bei queer.de und "bei allen Betroffenen, ob angehörig, befreundet oder bekannt."
Ella war seit ihrer Flucht aus dem Iran ab 2015 in Deutschland gewesen. Ihr Asylantrag war zunächst ohne Erwähnung ihrer Transgeschlechtlichkeit abgelehnt worden. Damit lag die Gesundheitsversorgung als auch die medizinische und rechtliche Transition lange auf Eis.
In dieser Zeit hatte Ella immer wieder mit Anfeindungen und Übergriffen in der Öffentlichkeit, durch einen Nachbarn oder, nach dem positiven Bescheid, beim für Leistungen für Asylberechtigte zuständigen Jobcenter zu kämpfen. Ein Freund und Unterstützer Ellas, Georg Matzel, hatte queer.de mit greifbarer Verbitterung gesagt, sie seien so etwas wie "Stammkund*innen" bei einer örtlichen Opferberatung gewesen.
Vertrauensarbeit für trans und migrantische Communities
Die Berliner Polizei werde "weiterhin und unablässig aus ihrem Selbstverständnis und ihrer Überzeugung heraus den Kontakt zu sämtlichen Communities suchen und Zugänge schaffen", sagt Cablitz. Über Zugänge folge Nähe, Verständnis und schließlich Vertrauen. Die Berliner Polizei wolle und müsse "als helfende Hand für alle wahrgenommen und verstanden werden", und zwar unabhängig von Geschlecht, Herkunft, äußerer Zuschreibung, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Lebensalter, Sprache, sexueller oder geschlechtlicher Identität oder sozialem Status. Das kündigte Cablitz an.
Um das zu erreichen, werde man weiterhin "initiativ auch auf die in Rede stehende transgeschlechtliche und migrantische Community in Berlin zugehen". Es handle sich nicht um ein bloßes Lippenbekenntnis, betont Cablitz. Das sei auch an der Verankerung von speziellen Ansprechpersonen bei der Polizei zu erkennen.
Die SPD-Innensenatorin Iris Spranger indes antwortete nicht direkt auf die Anfrage an sie und die Innenverwaltung und schlug es so auch aus, sich für die Fehler der polizeilichen Pressearbeit zu entschuldigen.
Sie habe jedoch erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit Hinterbliebenen das Grab von Ella Nik Bayan in Berlin besucht und neu bepflanzt, wie es vonseiten der Innenverwaltung heißt. Auf ihrem Dienstsitz habe sie zum Transgender Day of Visibility am 31. März außerdem eine entsprechende Beflaggung angeordnet. Und auf einer Graduierungsfeier für Absolvent*innen des gehobenen Polizeivollzugsdienstes habe sie erst kürzlich betont, "wie wichtig es ist, dass die vielfältige Hauptstadt eine Polizei braucht, die diese Gesellschaft repräsentiert".
Zu Redaktionsschluss war die ursprüngliche Pressemitteilung vom 14. September im System der Berliner Polizei nicht mehr auffindbar. Die Mitteilung vom Folgetag enthält diese Meldung jedoch als Zitat. Dort heißt es nun: "Hinweise auf eine politisch motivierte Handlung liegen nicht vor." Die Meldung vom 15. September indes enthielt noch immer die alte, falsche Behauptung: "Eine politische Motivation kann auf Grundlage der bisherigen Ermittlungen und Erkenntnisse weiterhin ausgeschlossen werden."
Sprich mit anderen darüber. Freund*innen oder Verwandte könnten gute Ansprechpartner*innen sein.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Für trans Personen gibt es in Deutschland ein großes Netzwerk aus Treff-, Unterstützungs- und Beratungsangeboten. So bietet etwa die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mehrere Beratungsstellen. Weitere lokale Angebote lassen sich oft über Suchmaschinen finden.

Für mich ist diese Aussage blanker Hohn.
Und überhaupt, lange mußte auch die queer.de Redaktion nachhaken und weiter nachfragen bis letztendlich Bewegung zum Fall Ella vonstatten ging. Man kann es auch ganz schlicht ausdrücken. Dieser unfassbare Fall und seine Aufarbeitung ist an Peinlichkeit einfach nicht zu überbieten.
Danke an die Redaktion für Eure Unnachgiebigkeit.