In seinem neuen Roman nimmt Autor Julian Mars seine Leser*innen zum dritten Mal mit in die turbulente Welt des Antihelden Felix. Nach "Jetzt sind wir jung" und "Lass uns von hier verschwinden" bildet "Was wir schon immer sein wollten" (wie Fabian Schäfer es in seiner queer.de-Rezension des Buches formulierte) "einen großartigen Abschluss" der Trilogie.
Wir sprachen mit Julian Mars über Literatur, den ESC und die Widrigkeiten des Lebens in der queeren Bubble.
Julian, wie schon bei "Lass uns von hier verschwinden" stellst du auch dem dritten Felix-Band ein Zitat aus "City Lights" voran, dem belgischen ESC-Beitrag von 2017. Passt der Song so gut zu Felix' Welt?
Ich mag das Lied auf jeden Fall sehr gern. Außerdem fand ich es passend, für die Bücher ein Zitat aus dem ESC-Kosmos zu wählen. Der ESC erfährt in queeren Kreisen ja eine große Beachtung, also ist die Chance, dass meine Leser*innen das Lied kennen und eine Stimmung damit verbinden, tendenziell hoch. Bei "Lass uns von hier verschwinden" lautete das Zitat "All alone in the danger zone / Are you ready to take my hand". Das passte einfach sehr gut, weil es im Prinzip die letzte Szene des Buches in zwei Zeilen umschreibt.
Jetzt beim dritten Buch fand ich es charmant, aus dem gleichen Lied zu zitieren, aber einen neuen, etwas düsteren Tonfall zu wählen. "All alone in the flame of doubt / Are we going to lose it all" setzt einen Ton, der, denke ich, ganz gut zur Beziehung von Martin und Felix passt. Die Idee bei den Zitaten ist, dass sie nach dem Lesen des Buches noch mal eine eigene Ebene entwickeln, dass man mit Kenntnis der Geschichte ein tieferes Verständnis für sie entwickelt.
Im Interview mit dem "Tagesspiegel" hast du mal erzählt, dass der Auslöser für den ersten Felix-Roman eine "Hart aber fair"-Sendung war, in der dich die unreflektierten Kommentare über queeres Leben gestört haben. Gab es noch weitere Einflüsse oder Vorbilder für die Felix-Romane?
Vorbilder nicht wirklich. Ich muss auch zugeben, dass ich mich beim Schreiben von "Jetzt sind wir jung" noch gar nicht übermäßig gut auskannte mit queerer Literatur. Der Figurenstamm der Romane ist vor allem aus meiner eigenen damaligen Erfahrungswelt heraus entstanden. Bei den Fortsetzungen hab ich die Charaktere weiterentwickelt, die Figuren aber beibehalten. Ich fand es wichtig, dem Grundkonzept treu zu bleiben, wollte also keine kompletten Brüche reinbringen oder im letzten Teil noch mal komplett neue Charaktere etablieren. Das würden Leser*innen bestimmt auch nicht gut finden.
All das ist ein bisschen ambivalent. Einerseits weiß man, was man an den Charakteren hat, man kann ihnen beim Wachsen zusehen und sie werden fast zu echten Menschen, aber erzählerisch engt ein fester Figurenstamm auch etwas ein, weil sich das Integrieren neuer Erfahrungen und Ideen dadurch ein Stück weit verbietet – zum Beispiel eben die Berücksichtigung von Einflüssen aus queeren Büchern, die ich erst später kennengelernt habe.
Hast du ein Beispiel für ein queeres Buch, das dich in letzter Zeit beeindruckt hat?
Da gibt es viele, zumal ich durch mein eigenes Schreiben auch mit anderen Autor*innen in Kontakt gekommen bin. Vor Kurzem habe ich zum Beispiel "Mut. Machen. Liebe." von Hansjörg Nessensohn (zur queer.de-Rezension) gelesen. Ein wirklich tolles Buch. Sehr berührend, aber auch sehr drastisch. Da geht es um die Situation in den Fünfzigerjahren unter Paragraf 175. Es ist schon schockierend, welchen Anfeindungen Homosexuelle damals ausgesetzt waren. Wenn man sowas liest, merkt man, was es für ein Privileg ist, im Hier und Jetzt zu leben. Eigentlich absurd, in diesem Zusammenhang von Privileg zu sprechen, weil es natürlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass Menschen akzeptierte Mitglieder der Gesellschaft sind, aber sicher sein können wir uns unserer Freiheiten nun mal nicht. Das zeigt der Blick nach Russland und in viele andere Länder.
"Was wir schon immer sein wollten" ist Ende März 2022 im Albino Verlag erschienen
In deinen Büchern spielt das aktuelle Zeitgeschehen mal mehr, mal weniger direkt eine Rolle – von Ehe für alle, über Gender- und Diversity-Debatten bis zu #MeToo. In "Was wir schon immer sein wollten" kommt auf ziemlich erfrischende Weise auch die Corona-Pandemie vor. Mit deren Thematisierung tun sich viele andere Autor*innen eher schwer …
Ich war am Anfang auch nicht wahnsinnig begeistert von der Idee, die Pandemie zu thematisieren, aber in gewisser Weise ging es nicht anders. Die Felix-Bücher spielen mehr oder weniger in Echtzeit, und da im ersten Band erwähnt wird, dass Felix 1991 geboren ist, konnte ich die Zeit um seinen 30. Geburtstag, der im neuen Buch eine Rolle spielt, streng genommen nicht ohne Pandemie erzählen. Ich hatte nur die Möglichkeit, zeitliche Stauchungen vorzunehmen, oder so zu tun als hätte es die Pandemie nicht gegeben, aber das hätte sich für mich beides komisch angefühlt. Also hab ich mich zunächst eher widerwillig dazu entschieden, die Pandemie im letzten Drittel des Buches doch vorkommen zu lassen.
Beim Schreiben hab ich dann gemerkt, dass sich dadurch ein paar schöne erzählerische Möglichkeiten ergaben. Wenn man so will, lässt sich an der Pandemie meine Herangehensweise an die Erzählung generell verdeutlichen. Eigentlich ist das ein schreckliches Thema, das viel mit Leid, Streit und Tod zu tun hat, aber mein Ansatz war, da ein bisschen Humor rauszuquetschen. Ich hab das Gefühl, dass mir das in dem Fall ganz gut gelungen ist. Von daher war ich am Ende doch ganz glücklich damit, die Pandemie im Buch aufgegriffen zu haben.
Ansonsten bleibt Felix auch im dritten Band der Antiheld, der er von Anfang an war. Er muss zu vielen, auch queerpolitischen Einsichten erst von seinem Umfeld getrieben werden. Steckt da das Konzept hinter, auch weniger progressiven Leser*innen eine Identifikationsfläche zu bieten?
Wenn damit gemeint ist, ob ich Heteros auf möglichst niedrigschwellige Weise die queere Welt erklären will, würde ich sagen nein, aber um gesellschaftliche Entwicklungen in unterhaltsamer Form zu thematisieren, ist Felix tatsächlich eine interessante Figur. Irgendwo mag ich ihn, aber wenn ich mit ihm befreundet wäre, würde ich ihn, glaube ich, manchmal nicht ertragen. Für mich steht er ein Stück weit für manche junge weiße cis Schwule aus der deutschen Mittelschicht, die relativ egozentrisch sind, nicht viel Diskriminierung und Benachteiligung erlebt haben und sich einbilden, die Welt zu kennen, ohne je weit über den eigenen Tellerrand hinausgeblickt zu haben.
Im ersten Buch bezeichnet Felix trans Personen zum Beispiel noch als "Transen". Das war auch 2015 nicht mehr korrekt, aber ich hab das mit Absicht gemacht und es in einen Kontext gesetzt, indem ich ihm Menschen wie Martin an die Seite gestellt habe, die ihm sagen, dass seine Haltung nicht okay ist. So hat sich Felix innerhalb der drei Bücher gewandelt, ist reflektierter, teilweise auch glücklicher geworden. Ich denke, es ging mir eher darum, diese Entwicklung zu erzählen – das Tolle, Schöne, Erfüllte und Erstrebenswerte, das die Überwindung von Vorurteilen mit sich bringt.
Hast du, abgesehen von Felix, eine persönliche Lieblingsfigur?
Eigentlich sollte ich jetzt wohl antworten, dass das alles meine Kinder sind und ich alle gleich liebhabe, oder? Aber es gibt schon Unterschiede. Ich mag Anna, Felix' Schwester, zum Beispiel sehr gern. Die wird von manchen Leser*innen nicht so gemocht, weil sie etwas übergriffig ist. Sie sagt Felix auf sehr direkte Weise, wenn er mal wieder unerträglich ist oder den Hintern hochkriegen muss, was er aber auch braucht. Ansonsten ist meine Lieblingsfigur wahrscheinlich Gabriel. Der fliegt bei vielen unterm Radar, aber ich mag ihn, weil er unbeirrt, ohne großes Gehabe seinen Weg geht. Zum Beispiel lebt er den anderen mit seinem Mann Shaun ganz unaufgeregt ein Lebens- und Liebesmodell vor, das Offenheit und Beständigkeit vereint.
In der queeren Bubble stört mich manchmal ein bisschen, dass aus Opposition zu heteronormativen Modellen gewisse Wege quasi nicht erlaubt zu sein scheinen – nach dem Motto: Wir "dürfen" nicht heiraten, Kinder kriegen oder monogam leben, weil das spießig und heteronormativ ist. Solche Verbote finde ich problematisch. Meiner Meinung nach bringen sie die Gefahr mit sich, dass sich queere Menschen sowohl von der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft als auch von der queeren Bubble ausgeschlossen fühlen. Das ist der falsche Weg. Ich denke, gerade unter queeren Menschen sollte es darum gehen, dass sie einander sein lassen, wie sie sein wollen, nicht darum, dass sie sich gegenseitig Verbote erteilen.
Infos zum Buch
Julian Mars: Was wir schon immer sein wollten. Roman. 324 Seiten. Albino Verlag. Berlin 2022. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-86300-332-6). E-Book: 12,99 €
Ist das so? Wer ist die queere Blase und wem gehört sie? Sind es nicht einige wenige die dafür um so lauter ihre Lebensentwürfe kund tun? Falls ja, warum tun sie das? Sind sie selbst unsicher und erhoffen sich Bestätigung im eigenen Zerrbild in der Blase?