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Roman aus dem Querverlag

Warum eine transfeindliche Ich-Erzählerin nicht unterhaltsam ist

In Anne Schelzigs Roman "Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach" verliebt sich eine junge Lesbe vom Dorf in einen Berliner trans Mann – und vergreift sich immer wieder im Ton.


Anne Schelzig und ihr Ende März 2022 erschienener Roman "Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach" (Bild: Querverlag)

Das Aufwachsen auf dem Land ist nicht einfach – wohl vor allem nicht als Kind lesbischer, aber nicht besonders emanzipierter Eltern. Doch als die Ich-Erzählerin Laura sich auch noch in Steffi verliebt, gerät ihre Welt komplett aus den Fugen. Steffi stirbt nach einem Streit an einem tragischen Unfall, und Laura stürzt geplagt von Schuldgefühlen in eine Sinnkrise. Ihre Therapeutin rät ihr einen Neustart: neue Ausbildung (Erzieher*in-Assitentin), neue Stadt (Berlin), neue Lebensumstände (WG). Es könnte alles so gut laufen, doch Laura legt sich selbst Steine in den Weg, und das neue Glück gerät ins Wanken.

Die Protagonistin Laura in Anne Schelzigs Roman "Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach" ist eher eine Anti-Heldin. Was sie anfasst – es geht schief, und dabei sind ihre Eltern leider auch keine große Hilfe. Laura muss die internalisierte Homophobie der Mütter kompensieren: Sie soll die Fassade einer glücklichen und "normalen" Familie aufrechterhalten. Doch nimmt sie selten ein Blatt vor dem Mund, was sie zuweilen passiv-aggressiv und unsympathisch wirken lässt. Die Wut kommt jedoch nicht von ungefähr, denn als sich Laura in Steffi verliebt hat, fängt nicht nur das Dorf an über sie zu lästern, auch ihre Mütter sprechen ihr ihre Homosexualität ab.

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Internalisierte Homophobie auf dem Land

Es ist schmerzhaft zu lesen, wie Laura von ihren Eltern behandelt wird, die es selbst nicht schaffen, sich zu akzeptieren. Jeder queere Mensch, der selbst auf dem Land aufgewachsen ist, kennt das wahrscheinlich nur zu gut. Hinter dem Rücken der Familie wird getuschelt und getratscht. Laura ist von nun an das Hauptgespräch im Dorf.

Die Ich-Erzählerin scheint die internalisierte Homophobie ihrer Mütter übernommen zu haben. So kann man nur zu gut verstehen, dass es Laura extrem schwerfällt, ihre Queerness zu akzeptieren oder aus dem binären Rollensystem auszubrechen.

Leider vergreift sich die Autorin an einigen Stellen im Ton. "Transvestit" ("Ich weiß gar nicht, ob ich mich eher in Männer- oder Frauenklamotten wie ein Transvestit fühle"), "hirnverbrannt" oder eine Frau, die sie einfach nur "die Dicke" nennt, sind nur wenige Beispiele. Als Lesende hätte man sich mehr Sensibilität gewünscht.

Laura hat das Glück, im Laufe des Romans nach Berlin ziehen zu können, in eine queere WG im Szene-Kiez. Mit Humor werden hier auch mal die "Müsli-Eltern" auf die Schippe genommen, und mit einem Augenzwinkern wird aufgezeigt, dass auch in der Großstadt nicht alles perfekt ist.

Das Problem mit der Transfeindlichkeit

Laura lernt in ihrem neuen Job den trans Mann Torben kennen, der sie schnell interessiert. Laura ist wegen dieser neuen heterosexuellen Liebe zunächst verwirrt und konfrontiert Torben mit ihren Gefühlen. Dabei wiederholt sie mehrfach, dass er für sie kein Mann sei: "Weißt du was ich richtig heiß finde? […] Der Gedanke daran, dass dich jeder für einen Mann hält, aber nur ich weiß, dass du in Wirklichkeit eine Frau bist.", "Er schmeckte immer noch nach Frau. […] immer noch warm und sauber, nach Frau halt.".

Man ist froh zu lesen, dass Torben kein stummer Charakter bleibt, der die Aussagen so hinnimmt. Er wehrt sich gegen die Behauptungen von Laura. Der Lerneffekt bleibt bei ihr jedoch aus. Es fehlt eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Thema, was die Frage aufwirft, warum keine stärkere Charakterentwicklung bei der Ich-Erzählerin aufgezeigt wird. Dadurch bleiben die transfeindlichen Aussagen so stehen und werden nicht in Frage gestellt.

Hinzu kommt: Das Lesen der trans- und homofeindlichen Aussagen kann für queere Leser*innen re-traumatisierend wirken. Nur wer darüber hinwegsehen kann, hat hier einen kurzweiligen Roman, der beweist, wie schrecklich es zuweilen ist als queerer Teenager auf dem Land aufzuwachsen und welche Freiheiten einem die Großstadt bieten kann.

Infos zum Buch

Anne Schelzig: Nicht die Liebe macht blind, sondern die Sehnsucht danach. Roman. 336 Seiten. Querverlag. Berlin 2022. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-89656-310-1). E-Book: 9,99 €

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#1 GenZ_snowflakismAnonym
  • 17.04.2022, 13:52h
  • "Hinzu kommt: Das Lesen der trans- und homofeindlichen Aussagen kann für queere Leser*innen re-traumatisierend wirken"

    Das soll eine ernstzunehmende "Kritik" sein?
    Sorry, ich lach´ dann später. Wenn es nach der Verfasserin des Artikels ginge, dann sollten wir künftig vermutlich die Hälfte aller Romane der Weltliteratur mit Triggerwarnungen versehen.

    Lies´mal Last Exit to Brooklyn von Hubert Selby und dann können wir uns über "re-traumatisierende Handlung" unterhalten. (das hab´ich mit 16 das erste Mal gelesen, irgendwo zwischen Oscar Wilde, Naked Lunch und der Jim Morrison Biographie)
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#2 SakanaAnonym
  • 17.04.2022, 14:04h
  • Ich denke, dass ein Prärogativ literarischer Arbeit ist, Figuren auch mit moralischen Brüchen anzulegen, die die Realitäten menschlichen Daseins reflektieren sollen und der gewählte Wortschatz ist ebenfalls Ausdruck der inneren Verfasstheit der Figur. Und zudem existiert die Figur dier "Anti-Held:in", diessen Positionen komplett konträr sein können zurm moralisch aufbauenden Held:in. Der Roman ist per se keine empirische Studie oder ein politischer Meinungsbetrag und zudem ist immer noch der Preis des Buches ausschlaggebend, ob das Buch letztlich gelesen würde. So wie ich die Rezension verstehe, muss der Text eher als Bildungsroman verstanden werden.
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#3 TamBAnonym
  • 17.04.2022, 17:23h
  • Also, was das Re-Traumatisieren angeht, stimmt ich Kommentar #1 zu. Es ist eben Realität, dass wir an allen Ecken mit sowas konfrontiert werden.

    Aber eine transfeindliche Protagonistin, die nicht aus ihren fehlerhaften Ansichten lernt, ist trotzdem sch*ße. Sowas brauch ich absolut gar nicht.
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