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Rehabilitierung
§ 175: Anträge auf Entschädigung sollen weiterhin möglich sein
Menschen, die in Deutschland nach 1945 wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden, können nach dem 22. Juli keine Anträge auf Entschädigung mehr stellen. Die Ampel-Fraktionen wollen die Frist verlängern.

Bis 1994 ließ die Bundesrepublik Homosexuelle mit dem Paragrafen 175 verfolgen (Bild: Historisches Motiv von Ralf König auf einem Plakat zur Ausstellung "§ 175 - Geschichte und Schicksale")
- 20. April 2022, 03:37h,
Die Ampel-Fraktionen wollen die Frist für die Entschädigung homosexueller Menschen verlängern, die in der Nachkriegszeit aufgrund der damaligen Strafrechtsparagrafen verfolgt worden sind. Vertreter*innen von SPD, Grünen und FDP setzen sich dafür ein, entsprechende Ansprüche über den 22. Juli hinaus aufrechtzuerhalten, wie die Zeitung "Welt" am Dienstag berichtete.
Der queerpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Falko Droßmann, sagte, er wolle Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bitten, "intensiv zu prüfen, die Frist zur Beantragung über den 22. Juli hinaus zu verlängern". Das unbürokratische Beantragungsverfahren müsse unbedingt noch bekannter gemacht werden, um alle Betroffenen zu erreichen. Denn ihnen habe "unser Land in der Vergangenheit so viel Unrecht angetan".
FDP fordert "Kampagne in der Apothekenumschau"
Der Grünen-Menschenrechtspolitiker Max Lucks sagte: "Ich setze mich für eine Verlängerung der Entschädigungsmöglichkeit ein." Die im Vergleich zur hohen Zahl von Verfolgten sehr niedrige Zahl von Anträgen zeige, dass die Scham bei verfolgten Männern bis heute tief sitze und die Möglichkeit zur Rehabilitierung öffentlich besser bekannt gemacht werden müsse.
Auch aus der FDP-Bundestagsfraktion wird das Vorhaben unterstützt. "Die Ansprüche dürfen nicht verfallen", sagte der Sprecher für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transpersonen (LGBT), Jürgen Lenders. "Der Altersgruppe entsprechend wäre eine Kampagne in der Apothekenumschau und den öffentlich-rechtlichen Vorabend-Informationssendungen sicher zielführender als eine Social-Media-Kampagne."
Zuvor hatte bereits Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte gefordert, dass auch noch in den kommenden zehn Jahren Anträge gestellt werden können. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage Kortes geht den Angaben zufolge hervor, dass bislang lediglich 867.500 Euro von ursprünglich veranschlagten 30 Millionen Euro an die Opfer ausgezahlt wurden (queer.de berichtete).
In der Nachkriegszeit verurteilte homosexuelle Menschen werden seit 2017 rehabilitiert und entschädigt. Die Verurteilten können eine Entschädigung beantragen, die 3.000 Euro je aufgehobener Verurteilung plus 1.500 Euro je angefangenem Jahr in Haft beträgt. Seit März 2019 gilt eine zusätzliche Richtlinie, die es auch Verfolgten ohne Urteil möglich macht, eine einmalige Entschädigung für die negativen Beeinträchtigungen – beispielsweise einen Jobverlust – zu beantragen (queer.de berichtete).
In der DDR wurden auch Frauen kriminalisiert
Der frühere Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs hatte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt. Endgültig abgeschafft wurde er erst 1994. In der DDR gab es mit dem Paragrafen 151 eine ähnliche Vorschrift, die kurz vor dem Zusammenbruch des Landes im Juli 1989 abgeschafft wurde. Anders als in der Bundesrepublik wurden in der DDR zwischen 1968 und 1989 auch lesbische und bisexuelle Frauen mit diesem Gesetz kriminalisiert.
Laut Bundesjustizministerium wurden nach 1945 fast 70.000 Menschen in Ost und West wegen dieser Gesetzesregelungen verurteilt. Viele andere Homo- und Bisexuelle hatten Ermittlungsmaßnahmen zu erdulden gehabt, saßen in Untersuchungshaft oder erlitten erhebliche berufliche, wirtschaftliche oder gesundheitliche Nachteile. Die Bundesregierung hatte ursprünglich bundesweit mit bis zu 5.000 Anträgen auf Entschädigung allein aufgrund von Verurteilungen gerechnet.
Das Bundesamt für Justiz hat auf seiner Webseite alle Informationen eingestellt, die Betroffene benötigen. Dort findet sich auch im Downloadbereich ein Antragsformular für die Entschädigung. (cw/AFP)

Wenn die Betroffenen schon mit Almosen abgespeist werden (und die meisten eh schon tot sind), ist es ja wohl das Mindeste, dass das Recht auf Entschädigung nicht verjährt.