Die Deutsche Bahn darf einen nichtbinären Menschen bei der Nutzung von Angeboten nicht dazu zwingen, bei der Anrede zwischen Mann oder Frau auszuwählen. Es bleibe bei einem Unterlassungsanspruch gegen das Unternehmen, teilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am Dienstag mit. Das Gericht bestätigte mit seiner bereits am Donnerstag getroffenen Entscheidung (AZ 9 U 84/21) ein Urteil des Frankfurter Landgerichts vom 26. August 2021 (AZ 2-30 O 154/20).
Vor diesem hatte Robin Nobicht, eine nichtbinäre Person im Besitz einer Bahncard, gegen die Vertriebstochter der Bahn geklagt. Der Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde von Nobicht lautet seit Oktober 2019 "ohne Angabe". Nobicht versuchte vergeblich, die für die Bahncard hinterlegten Daten hinsichtlich der geschlechtlichen Anrede anzupassen. Zudem müssen nicht registrierte Kund*innen auch beim Onlineticketkauf zwingend zwischen einer Anrede als Frau oder Herr auswählen.
Bahn hat ein halbes Jahr Zeit, um Fragebögen zu ändern
Die klagende Partei vertrat deshalb die Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Entschädigung und Unterlassung zu, weil das Verhalten der Bahn diskriminierend sei. Das Landgericht bestätigte den Unterlassungsanspruch. Die zwingende Auswahl einer Anrede als Frau oder Herr im Zusammenhang mit der Bahncard oder beim Onlinekartenkauf stelle eine Benachteiligung im Sinn des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dar, hieß es im damaligen Urteil.
Das Gericht räumt der Bahn jedoch eine Frist von einem halben Jahr ein, um den Zustand zu ändern. Einen Anspruch auf Entschädigung gestanden die Richter Nobicht nicht zu. Die Bahn ging gegen das Urteil in Berufung – jedoch ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung, weil sie nicht innerhalb einer vorgeschriebenen Frist eingelegt wurde. Damit verbleibt es bei dem Unterlassungsanspruch gegen das Unternehmen.
Rechtsanwätin: Urteil hat "Signalwirkung"
Die Deutsche Bahn verstoße "konsequent und wissentlich gegen geltendes Recht und baut darauf, dass sich kein Mensch wehrt", erklärte Nobicht zur Entscheidung des Oberlandesgerichts. "Dank dieses Urteils ist damit nun bald Schluss. Darüber bin ich froh, nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen nichtbinären Menschen, die mit der Bahn fahren."
Das Urteil habe "Signalwirkung", sagte Nobichts Rechtsanwältin Friederike Boll. "Wir hoffen, dass jetzt im Onlinehandel bald überall die Möglichkeit eingeführt wird, eine geschlechtsneutrale Anrede zu wählen."
Das fordert auch René_ Rain Hornstein von der TIN-Rechtshilfe, einer Organisation, die Robin Nobicht und andere trans, inter und nichtbinäre Menschen in strategischen Verfahren begleitet. "Die Politik hat zwar die Möglichkeit eingeführt, 'divers' als Geschlecht eintragen zulassen oder den Geschlechtseintrag zu streichen – mit allen Folgeproblemen hat sie uns jedoch allein gelassen", so Hornstein. "Es ist eine enorme Hürde, sich als betroffene Einzelperson vor Gericht zu begeben, um sich mit Großkonzernen zu streiten, die sich weigern, Diskriminierung abzubauen."
Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt ist noch nicht rechtskräftig. Die Deutsche Bahn kann innerhalb eines Monats Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof einlegen. (cw/AFP)