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Zunehmende Repression und Zensur

Queere Organisation verlässt Russland

Das komplette Team von "Wychod" hat Russland verlassen und will LGBTI künftig online beraten – das Zentrum in St. Petersburg fällt weg.


Flashmob zum int. Tag gegen Homo- und Transphobie 2018 in St. Petersburg u.a. mit einer Flagge der nun ins Ausland verlegten Organisation "Wychod" (Bild: vk.com / wychod)

  • 21. April 2022, 15:11h - 5 Min.

Zu Update springen: Gericht löst Dachorganisation des "LGBT Network" auf (19h)

Die LGBTI-Organisation "Wychod" (Ausgang, Ausweg, internationaler Name auch "Coming out") aus St. Petersburg hat am Mittwoch angekündigt, dass alle Mitarbeitenden Russland verlassen haben und künftig aus dem Ausland heraus arbeiten werden. "Wir sehen uns gezwungen, ins Ausland umzusiedeln und den exakten Ort nicht bekannt zu geben, um die Sicherheit der Mitarbeitenden nicht zu gefährden", kündigte die Gruppe in sozialen Netzwerken an.

Einen Großteil der Arbeit, darunter psychologische, juristische und soziale Beratung sowie Gruppenangebote für queere Menschen, ihre Eltern und Familien, werde man online fortführen – "zwei Pandemiejahre haben uns hervorragend darauf vorbereitet". Durch den Umzug entfalle auch die Beschränkung auf St. Petersburg, so wolle man nun gezielt LGBTI, die aus Russland geflohen sind, und russischsprechende queere Menschen im Ausland beraten. Die Arbeit von queeren Organisationen, die weiter in Russland bleiben und die man dafür bewundere, werde man ebenfalls unterstützen.

Allerdings müsse man das Community-Center der Organisation in St. Petersburg aufgeben, die jahrelang als wichtige Anlaufstelle und "Safe Space" gedient habe, so "Wychod". "Leider sind wir uns nicht mehr sicher, ob wir diese Sicherheit bieten können, deshalb wurden die Türen des Centers vor einigen Tagen geschlossen."

"Wychod" wollte sich nicht selbst zensieren

Das Justizministerium hatte "Wychod" am 24. Dezember 2021 als "ausländischer Agent" eingestuft – im Zuge eines Vorgehens gegen queere Organisationen und Menschen, das seit Kriegsbeginn noch zugenommen hat. Man habe nie gedacht, St. Petersburg verlassen zu müssen, so "Wychod"-Geschäftsführer Alexander Woronow. "Mit Ausbruch des Krieges mussten wir jedoch zu unserem großen Bedauern feststellen, dass wir nicht weiter von Russland aus weiterarbeiten konnten: Wir könnten die Sicherheit unseres Teams nicht mehr garantieren, wenn es hier bliebe."

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Posted by ????-?????? ????? / ComingOut LGBT group on Wednesday, April 20, 2022
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Diese Sicherheitsfragen unter zunehmender Repression und Zensur würden zu Gewissensabwägungen führen, was man noch machen könne – das beträfe selbst die Kommunikation nach innen und außen, in sozialen Netzwerken. "Wir sind nicht bereit für Kompromisse. Wir haben uns entschieden, vom Ausland aus weiterzuarbeiten, um ehrlich zu uns selbst und den Menschen zu sein und weiterhin das tun zu können, was wir aufrichtig für wichtig halten."

Der "Wychod"-Chef betont, er glaube, "dass wir eines Tages wieder nach Russland zurückkehren, unsere Türen öffnen und uns wieder persönlich mit allen treffen können, die uns am Herzen liegen. Lassen Sie uns in der Zwischenzeit alles in unserer Macht Stehende tun, um diesen Tag näher zu bringen."

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Festnahmen, Repression, Zensur und Propaganda

In den letzten Wochen hatten viele Russen das Land verlassen, darunter auch viele LGBTI und einige Aktivist*innen. Andere sehen sich zunehmender Repression ausgesetzt: So wurde in den letzten Wochen der LGBT-Aktivist Alexander Hotz zweimal für je 14 Tage verhaftet, weil er in Artikeln unter anderem Hass auf Sicherheitsbeamte geschürt und das Ansehen der russischen Armee geschmälert haben soll. Wegen Protesten gegen den Krieg auf der Straße oder in sozialen Netzwerken waren zehntausende Menschen festgenommen worden, einige wurden von der Uni geworfen oder verloren ihren Job. Bei mehrfachen Festnahmen drohen Haftstrafen, auch durch eine verschärfte Zensur-Gesetzgebung.

In der letzten Woche wurden derweil drei weitere LGBTI-Aktivist*innen in die Liste "ausländischer Agenten" aufgenommen (queer.de berichtete). Entsprechend eingestufte Einzelpersonen und Organisationen sind per Gesetz verpflichtet, ihre Finanzquellen offenzulegen und alle ihre Publikationen mit dem stigmatisierenden Begriff zu kennzeichnen. Derzeit befinden sich 142 Namen auf der Liste, darunter etliche aus dem LGBTI-Bereich – etwa der wichtige Verband "LGBT Network", dem die Schließung droht (queer.de berichtete), und sein Gründer Igor Koschetkow.

Ebenfalls in der letzten Woche kündigte die russische Medienaufsicht an, den Zugang zum queeren Nachrichtenportal xgay.ru sperren zu lassen. Es trägt das X im Namen, seitdem der ursprüngliche Name gay.ru gesperrt worden war. In den letzten Wochen mussten derweil fast alle großen unabhängigen Medien Russlands ihre Arbeit aufgeben – etwa der Sender Doschd / TV Rain oder die Zeitung "Nowaja Gaseta", die als erste über die tödliche antiqueere Verfolgung in der russischen Republik Tschetschenien berichtet hatte und deren Gründer im letzten Jahr den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Zugleich verstärkten staatsnahe Medien, die in der Vergangenheit auch auf Queerfeindlichkeit setzten, ihre auf Falschdarstellungen setzende Regierungs-, Kriegs- und Patriotismus-Propaganda nahezu unwidersprochen.

Seit 2013 gilt in Russland das Gesetz gegen "Homo-Propaganda". Queere Proteste wurden immer wieder untersagt und Teilnehmende festgenommen. Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche stellte kürzlich den Kampf gegen Pride-Demos als Kriegsgrund dar (queer.de berichtete). (nb)


 Update  19h: Gericht löst Dachorganisation des "LGBT Network" auf

Ein Bezirksgericht in St. Petersburg hat am Donnerstag auf Antrag des Justizministeriums die 2011 gestartete gemeinnützige Stiftung "Sphere" aufgelöst. Sie diente als rechtliches Dach und finanzielle Einheit für das "LGBT Network" und weitere queere Organisationen. Das Network, das selbst bereits 2006 gegründet wurde und in mehreren Regionen Russlands aktiv ist, gilt als wichtigste Szene-Organisation des Landes und bietet unter anderem Unterstützungsangebote und rechtliche Unterstützung für LGBTI und Angehörige. International bekannt wurde das "LGBT Network" vor allem für seine Fluchthilfe für Menschen aus Tschetschenien. Mehr in diesem Bericht aus dem Februar, als ein erster Liquidierungsversuch scheiterte. Das Network, wie "Sphere" als "ausländischer Agent" registriert, will zunächst weiterarbeiten.

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