Wer in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren auf eine schwule Party ging, dem begegneten mindestens ein halbes Dutzend Männer, die ein "Abercrombie and Fitch"-T-Shirt trugen. Wer die Marke am Körper hatte, wollte signalisieren: Ich bin sexy, sportlich, durchtrainiert, gutaussehend, beliebt – so eine Art "All American Guy".
Eine neue Netflix-Doku mit dem Titel "White Hot: The Rise and Fall of Abercrombie & Fitch" (auf Deutsch: "Abercrombie & Fitch: Aufstieg und Fall") beschreibt, wie die Marke zu einem Milliardenkonzern wurde, dann aber in den Nullerjahren abstürzte.
Ein Katalog als schwuler Softporno
Poster zum Film: "Abercrombie & Fitch: Aufstieg und Fall" läuft seit 19. April 2022 auf Netflix
Der Erfolg der Modefirma ist einem bis ins Letzte durchdachten Marketingkonzept zu verdanken. Halbnackte Kerle wurden vom schwulen Fotografen Bruce Weber schwarz-weiß in Szene gesetzt – und prangten nicht nur auf Werbeplakaten, sondern auch auf den Tüten von "Abercrombie & Fitch". Zusätzlich kam alle drei Monate ein Katalog heraus, der in seiner Aufmachung an einen schwulen Softporno erinnerte.
Auch in den Läden selbst beließ man nichts dem Zufall: Es wummerte lautstarke Musik, und es war so dunkel, dass sich selbst ein jüngeres Publikum manchmal kaum zurechtfand. Überall roch es zudem nach dem "Abercrombie & Fitch"-Parfüm. Am Eingang und im Laden stolzierten durchtrainierte, hübsche Kerle umher, die so manche Kund*innen möglicherweise zu einem größeren Kauf animiert haben, als sie es wollten.
"Sind wir ausgrenzend? Auf jeden Fall"
Das Konzept schien genial, bekam aber in den Nullerjahren Risse. Denn die durchtrainierten Kerle, fast durchgängig weiß, signalisierten auch: Wer dunkelhäutig, dick, arm oder nicht so beliebt ist, hat bei "Abercrombie & Fitch" nichts verloren.
Konzernchef Mike Jeffries, selbst schwul, sagte das sogar einmal in einem Interview: "In jeder Schule gibt es die coolen und beliebten Kids, und dann gibt es die nicht so coolen Kids. Ehrlich gesagt, sind wir hinter den coolen Kids her. Wir haben es auf den attraktiven, amerikanischen Jungen abgesehen, der eine tolle Einstellung und viele Freunde hat. Viele Leute gehören nicht dazu, und sie können auch nicht dazugehören. Sind wir ausgrenzend? Auf jeden Fall."
Rassismus, Klagen und Proteste
Was das im Alltag bedeutete, beschreibt die Netflix-Doku von Regisseurin Alison Klayman: Schwarze oder weniger attraktive Menschen wurden entweder überhaupt nicht beschäftigt in den Läden – oder aber nur im Lager oder in den Nachtschichten. Auch Tattoos, Schmuck, Dreadlocks und anderes waren Tabu. Ein winziger Makel im Gesicht konnte dazu führen, jemanden nicht einzustellen. Eine Muslimin klagte sich in den USA bis vor den Supreme Court, weil das Unternehmen ihr verboten hatte, einen Hijab zu tragen.
Da die "Abercrombie & Fitsch"-Designer auch T-Shirts machten mit lustigen Sprüchen, kam es zu einem weiteren Skandal, als eines der T-Shirts die Aufschrift trug "Wong und Wong machen es weiß" – eine Anspielung auf asiatischstämmige Amerikaner*innen, die in früheren Zeiten nicht selten in Wäschereien arbeiteten. Die Figuren auf den T-Shirts waren gezeichnet mit Schlitzaugen – ein übles, rassistisches Klischee, das zu Protesten vor den Filialen führte.
Das Image war ruiniert: Grafik aus der Doku (Bild: Netflix)
Keine O-Töne der Konzernspitze
Die Konzernspitze stand für die Netflix-Doku leider nicht zur Verfügung, aber viele Mitarbeiter*innen standen Rede und Antwort, manchen ist ihre Rolle im Konzern heute etwas peinlich. Einer sagt im Film: "Das Konzept war ganz klar nicht nicht rassistisch." Ein anderer Mitarbeiter beschreibt die Einstellungspraktiken und die Bildsprache des Unternehmens als repräsentativ für "die schlimmsten Teile der amerikanischen Geschichte". Es kam sogar zu Sammelklagen, die "Abercrombie & Fitch" mittels Millionenzahlungen gerade noch abbiegen konnte.
Doch das Image war ruiniert. Und trotz eines neu eingestellten Diversity-Managers änderte sich nur wenig. Zwar stieg die Zahl der nichtweißen Mitarbeiter*innen in den Läden, aber in der Führungsspitze blieb alles beim Alten. Auch Vorwürfe, dass Starfotograf Bruce Weber, der ebenfalls ein Interview ablehnte, mehrere Models bei Shootings sexuell belästigt haben soll, trug nicht gerade dazu bei, "Abercrombie & Fitch" wieder beliebter zu machen.
Das sexy "Must have"-Image ist weg
"Mode verkauft uns Zugehörigkeit, Selbstvertrauen, Coolness und Sex-Appeal", sagt Robin Givhan, Mode-Kritikerin der "Washington Post", in der Doku. "In gewisser Weise ist das letzte, was verkauft wird, tatsächliche Kleidung". Ein guter Satz, der vor allem auch zu "Abercrombie & Fitch" passt. Heute hat der Konzern deutlich weniger Läden, auch in Deutschland. Es gibt keine halbnackten Models mehr, das Licht wurde angemacht und es gibt auch Größen für Kund*innen, die nicht dünn sind.
Der Konzern ist trotz all der Skandale noch immer erfolgreich und hatte 2020 einen Umsatz von über drei Milliarden Dollar. Und doch: Das sexy "Must have"-Image ist weg. Heute ist die Marke nur noch eine von vielen.
Wie die Reporterin Givhan es ausdrückt, ist der kometenhafte Aufstieg der Modekette "eine unglaubliche Anklage gegen unsere Kultur, die noch vor zehn Jahren enthusiastisch eine fast ausschließlich weiße, wohlhabende Vision der Welt vertrat. Es war eine Kultur, die Schönheit als dünn, weiß und jung definierte. Und es war eine Kultur, die gerne Menschen ausgrenzte."
Infos zum Film
Abercrombie & Fitch: Aufstieg und Fall. Dokumentarfilm. USA 2022. Regie: Alison Klayman. Laufzeit: 86 Minuten. Sprachen: englische Originalfassung, deutsche Synchronfassung. Untertitel: Deutsch (optional). Seit 19. April 2022 auf Netflix
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