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Münster

Warum eigentlich ist der 29. April nicht unser Pride-Day?

Ein bewegender Festakt am Freitagabend in Münster erinnerte an das 50-jährige Jubiläum der ersten bundesdeutschen Demonstration von Schwulen und Lesben – und feierte die Teilnehmer*innen.


Waren am 29. April 1972 in Münster dabei: Martin Dannecker, Halina Bendkowski und Sigmar Fischer erhalten den "Ehrenpreis für queeres Engagement" (Bild: Dietrich Dettmann / Fresh)

Sie sind echte Held*innen, die rund 150 bis 200 Personen, die am 29. April 1972 in Münster bei der ersten Demonstration für die Rechte homosexueller Menschen in der Bundesrepublik auf die Straße gingen. Sie wurden von angewiderten Passant*innen angepöbelt, von den Medien komplett ignoriert, von der Politik nicht im Geringsten ernstgenommen. Hätte man ihnen gesagt, dass sie 50 Jahre später im historischen Rathaus mit einem Festakt geehrt werden, zu dem sogar der CDU-Ministerpräsident persönlich kommt, hätten sie einen wohl für unzurechnungsfähig erklärt.


Demonstration vor dem Festakt: selbe Route wie vor 50 Jahren, aber weniger Teilnehmer*innen (Bild: Micha Schulze)

"Dank euch können wir heute die Zukunft leben, von der ihr einst geträumt habt", würdigt Agnes Yavari vom Verein LiVas, der die bewegende Veranstaltung am Freitagabend mitorganisiert hat, die Pionier*innen in ihrer Begrüßungsrede. Viele sind leider nicht mehr am Leben wie der Hauptorganisator Rainer Plain, andere nicht mehr aufzuspüren. Stellvertretend für alle Teilnehmer*innen der Demo feiert der Festakt Sigmar Fischer, Martin Dannecker und Halina Bendkowski, die unter Standing Ovations des Publikums den neuen "Ehrenpreis für queeres Engagement" erhalten.

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Im Mittelpunkt stehen die Aktivist*innen

Die Aktivist*innen stehen an diesem Abend im Mittelpunkt, nicht die Politik, die zwar in der ersten Reihe sitzt, aber von Redner*innen teilweise als letzte begrüßt werden. Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass mit Ministerpräsident Hendrik Wüst und Münsters Bürgermeisterin Angela Stähler ausgerechnet zwei CDU-Politiker*innen eine Demonstration würdigen, deren bekannteste Parolen "Lieber ein warmer Bruder als ein kalter Krieger" und "Brüder & Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht!" sind.


Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei seinem Grußwort (Bild: Dietrich Dettmann / Fresh)

Wüst wiederholt in seinem Grußwort inhaltlich im Wesentlichen seinen am Donnerstag veröffentlichten Gastbeitrag auf queer.de, zeigt sich aber lernfähig. "Es darf in unserem Land keinen Platz geben für Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität", bezieht er in seiner Rede nun auch trans, inter und nichtbinäre Menschen ein. "Machen Sie weiter, zeigen Sie Sichtbarkeit, das tut uns allen gut", sagt seine Parteifreundin Stähler.

Bei all den warmen Worten hätte man sich schon ein bisschen Selbstkritik der CDU-Redner*innen gewünscht, schließlich war es die Union, die jahrzehntelang auf Diskriminierung pochte und fast jeden Fortschritt für queere Menschen verzögerte oder verhinderte. Daran erinnert Kai Bölle vom CSD Deutschland e.V. in seiner Laudatio an die Ehrenpreisträger*innen. Zu Wüst, der den Festakt zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hat, meint er: "Vielleicht ist ihm eingefallen, dass es seine Partei ist, unter der wir viel gelitten haben."

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Sven Lehmann ohne Ton

Die Berliner Szene- und Polit-Prominenz hat den Festakt in Münster ignoriert. Selbst Grünen-Politiker Sven Lehmann schickt als Queer-Beauftragter der Bundesregierung lediglich eine Videobotschaft. Als kein Ton zu hören ist, geht Moderatorin Claudia Kemper einfach zum nächsten Programmpunkt über. "Er hat im Prinzip gesagt, dass wir ganz toll sind und er uns eine Million Euro verspricht", fasst sie Lehmanns Rede mit einem Augenzwinkern zusammen.


Zu den Highlights des Abends gehören die Auftritte des schwulen Chors Homophon (Bild: Dietrich Dettmann / Fresh)

Zwischen Auftritten der beiden Chöre Zuckerschnitten und Homophon plaudern Sigmar Fischer und Martin Dannecker aus dem Nähkästchen, berichten vom ewigen Streit zwischen dem revolutionären und dem integrationistischen Flügel und auch von einem Rosenkrieg unter Aktivisten der ersten Stunde. Und sie versuchen eine Erklärung dafür zu finden, warum die erste deutsche Homosexuellendemonstration ausgerechnet im katholischen Münster stattfand.

"Heute schmückt sich die Stadt mit unserer Geschichte"

Besonders viel Applaus auf dem Festakt bekommt Halina Bendkowski, die die Verdienste der Aktivistin Anne Henscheid und anderer lesbischer Frauen würdigt und u.a. darin erinnert, dass die Stadtverwaltung noch 1975 Infostände von Homogruppen untersagte. "So viel Genugtuung sei erlaubt: Heute schmückt sich die Stadt Münster mit unserer Geschichte."


Foto von der Demonstration am 29. April 1972 (Bild: Rosa Geschichten)

Bendkowski selbst war am 29. April 1972 als Passantin in der Münsteraner Innenstadt unterwegs, als ihr Martin Dannecker ein Flugblatt in die Hand drückte. Allein, dass sie es annahm, war damals schon ein mutiger Schritt – der zudem ihr Leben verändern sollte.

Halina Bendkowski stellt auch die vielleicht wichtigste Frage des Abends, die uns weiter beschäftigen sollte. Während die mittlerweile über 100 CSD-Veranstaltungen in Deutschland sich auf den Stonewall-Aufstand in New York berufen, ist die viel näherliegende und für die deutsche Schwulen- und Lesbenbewegung wichtigere Demonstration in Münster nahezu in Vergessenheit geraten. Ja: "Warum eigentlich ist der 29. April nicht unser Pride-Day?"

-w-

#1 StaffelbergblickAnonym
  • 30.04.2022, 12:19h
  • "Warum eigentlich ist der 29. April nicht unser Pride-Day?" Sehr gute Frage. Ich habe mich früher immer sehr über "CSD" aufgeregt, weil mir die deutsche Geschichte mit unserem Hintergrund wichtiger war. Aber gut, das war mal.
    Aber warum nicht der 29. April ... ich bin jetzt mal ganz bösartig ... Ende April war es vor vielen Jahren noch zu kalt, zu wenig Sonne um zu demonstrieren, womöglich noch mit Parka, Anorak oder Mantel. Wie sollten wir da locker flockig durch die Straßen ziehen. Ich kann mich erinnern, 1969/1970 war es noch bis Mai ziemlich kalt, April gab es noch Schnee (für die Jüngeren, das war so eine Wettererscheinung mit weißen Flocken, die überall rumlagen und hatte nichts mit Rauschgiftsüchten zu tun).
    Und was möglicherweise auch ein Hintergrund sein könnte ... Der 1. Mai war damals noch eindeutig vorrangig "Tag der Arbeit" und weniger "irgend so ein freier Tag". Und damit waren womöglich linke Mitstreiter schon in die Vorbereitungen für die 1. Mai-Feiern involviert. Also Aufgaben für queere Historiker/Politologen/Soziologen, die sich damit noch promovieren lassen könnten oder gar habilitieren.
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#2 Pride
  • 30.04.2022, 12:44h...
  • "Unser" globaler Pride Day ist der 27.6.1969 und sollte überhaupt jeder Tag sein. Warum ins nationale abgleiten und gar spalten? Es hindert nichts daran, den 29.4.1972 und andere Tage angemessen zu würdigen.
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#3 guteFrageAnonym
  • 30.04.2022, 13:15h
  • Kurzum:
    der Artikel ist gut.
    Die Frage ist gut und mehr als berechtigt.

    Gerade Deutschland hat mit seiner Geschichte, wobei nicht nur aber auch die Zeit des rosa Winkel gemeint ist, allen Anlass sich mit der eigenen Vergangenheit bis in die Gegenwart auseinander zusetzen.
    Ein, zusätzlich oder nicht, eigner Tag wäre nahbarer und verbindlicher.
    Im Lichte, wie im Schatten.
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