Der baptistische Fundamentalist Anselm U. aus Görlitz hat sich offenbar in die USA abgesetzt. U. hatte die Ermordung Sven Lehmanns und aller queeren Menschen in Deutschland gefordert (queer.de berichtete). Auf einer Website war zudem ein Film mit ähnlichen Aufrufen erschienen.
Auf Videos im Internet ist U. nun an der Seite des queerfeindlichen baptistischen Hasspredigers Steven Anderson von der Faithful World Baptist Church mit Zentrale in Arizona zu sehen. Anderson und U. unterhalten sich darin auch über polizeiliche Maßnahmen gegen den Fundamentalisten.
Durchsuchung und Beschlagnahmungen
Demnach scheinen die Ermittlungsbehörden in Deutschland die Wohnung von U. in Görlitz durchsucht und dabei elektronische Geräte sichergestellt zu haben. Außerdem sei es zu umfangreichen Befragungen im Umfeld von U. gekommen. Die deutsche Domain, unter der er und die Mitstreiter*innen seiner baptistischen Gruppe einen von der Stedfast Baptist Church aus Texas stammenden Hetzfilm in einer deutschen Audio-Übersetzung veröffentlicht hatten, ist allerdings weiterhin erreichbar (queer.de berichtete).
U. soll zudem infolge der queerfeindlichen Aufrufe und der öffentlichen Aufmerksamkeit aus einer baptistischen Gemeinde in Görlitz ausgeschlossen worden sein. queer.de waren die Aktivitäten von U. und seiner Gruppe erstmals aufgefallen, als diese auf Facebook eine Werbung für den übersetzten Film geschaltet hatte.
In einem Gespräch, das Anderson und U. geführt haben, als der sich offenbar noch in Deutschland aufgehalten hatte, ging es auch um die Berichterstattung von queer.de, die den Fall ins Rollen gebracht hatte. Anselm U. zeigt sich darin erstaunt darüber, dass ihm in Deutschland vorgeworfen worden war, zum Mord an Sven Lehmann aufgerufen zu haben.
Er habe dies aber gar nicht getan. In dem Zusammenhang sei er auch angezeigt worden. Eine juristische Auseinandersetzung um die Vorwürfe gegen sich sei im Gange. Tatsächlich hatte unter anderem auch der LSVD eine Anzeige gegen U. gestellt und dies öffentlich bekannt gegeben.
U. habe, hält er dem entgegen, in seiner Predigt nur einige der "Sünden" herausgestellt, in die Deutschland verwickelt sei. Auch habe er dabei "gegen die Sodomiten" gepredigt und einige Namen genannt, auch den von Sven Lehmann. Das hätten einige wohl nicht gemocht, wie er im Gespräch nacherzählt. Hetzprediger Steven Anderson springt ihm daraufhin bei und bestätigt, auch ihm und seinen Leuten würden immer wieder fälschlicherweise Mordaufrufe unterstellt werden.
Anderson macht sich dann darüber lustig, dass es in Deutschland überhaupt den Straftatbestand der Volksverhetzung gebe: "Es ist in Deutschland buchstäblich verboten, die Leute aufzuheizen und aufzurühren ["heat people up and stir people up"]! Weißt du was, man, das ist was ich drei mal die Woche mache!", sagte er an seine US-Zuschauer*innen gerichtet.
In der fraglichen Predigt, die U. bei einer Veranstaltung der Gruppe "Deutschlands Seelen gewinnen" abgehalten hatte und die auf mindestens einer Website noch immer als Video verbreitet wird, hatte es unter anderem geheißen: "Fahr zur Hölle, Sven Lehmann, Schwuchtel, stirb!" Queers müssten von der Regierung nicht geschützt, sondern getötet werden.
In der Passage, in der U. aus einer von Fundamentalist*innen genutzten Bibelübersetzung denjenigen Vers zitiert hatte, der es verbietet, dass Männer miteinander schlafen, hatte U. außerdem gesagt, dass sie in dem Fall "einen Gräuel begangen" hätten und "unbedingt getötet werden" müssten. Dem biblischen "ihr Blut sei auf ihnen" hatte U. dann den Zwischenruf "Sven Lehmanns Blut sei auf ihm!" hinzugefügt.
queer.de konnte den Ort der Veranstaltung recherchieren. Es handelt sich um einen kunsthandwerklichen Showroom in der Innenstadt von Pforzheim (Baden-Württemberg) in der Bleichstraße. Verantwortliche der Räumlichkeiten ließen Anfragen von queer.de zur Überlassung oder Vermietung jedoch unbeantwortet.
Die Fundamentalist*innen rund um Anselm U. nutzten einen Showroom in der Pforzheimer Bleichstraße für ihre Hetzveranstaltung
Religiös verfolgt in Deutschland?
Anderson und U. unterhalten sich zudem darüber, wie Christ*innen in Deutschland "verfolgt" würden. Historisch hätte sich das Land in einer besseren spirituellen Lage befunden, doch schließlich seien die Baptist*innen in die USA geflohen und hätten ein spirituelles Vakuum hinterlassen. Das sei ein großes Problem in Deutschland.
Daraufhin hakt Anderson ein: "Aber du kannst sie nicht wirklich dafür beschuldigen, da raus gekommen zu sein, oder? Immerhin hast du das selbe gemacht!" U. antwortet: "Exakt." Dann fährt Anderson fort: "Aber weißt du, Ich denke, dass du das richtige getan hast. Weil, da war so viel Druck, dem du ausgesetzt wurdest. Und die Bibel sagt: 'Wenn sie dich in der Stadt verfolgen, flieh in eine andere.'"
Das ist offenbar eine Anspielung darauf, dass U. sich jetzt als religiös Verfolgter sieht und in die USA abgesetzt hat. Was das für das anhängige Verfahren gegen U. in Deutschland bedeutet, ist unklar.
Inwiefern die in den Videos und Gesprächen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, ist darüber hinaus schwer zu überprüfen. Die beteiligten Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften gaben gegenüber queer.de keine Auskünfte über bislang erfolgte Ermittlungsmaßnahmen und verwiesen immer wieder auf andere Behörden.
Gruppe in Deutschland will weiter machen
Die Gruppe rund um U. soll eigenen Angaben zufolge aus 26 Personen bestehen, die in den Städten Leipzig, Dresden, Görlitz, Wittenberg, Frankfurt am Main, Passau, München, Karlsruhe und Pforzheim aktiv seien. Zentraler Glaubensinhalt der Fundi-Verbindung scheint es zu sein, dass Menschen in die Hölle kämen, wenn sie nicht von den Baptist*innen missioniert und ihre Seelen dadurch "gerettet" würden. Am Wochenende soll U. live aus den USA über das Internet zu seiner Gruppe in Deutschland gepredigt haben.
Die selben Räumlichkeiten, in denen Anselm U. gehetzt hatte, sind auch im Hintergrund eines Werbeclips einer Pforzheimer Kunsthandwerkerin zu erkennen (Bild: Screenshot)
An den Gesprächen mit Anderson ist auch ein weiterer Mitstreiter aus U.s Gruppe beteiligt, der angibt, die Filmübersetzungen sowohl technisch als auch bei der Imitation von Stimmen durchzuführen. Gegenwärtig arbeite er schon an der nächsten Übersetzung, die die Gruppe in deutscher Sprache veröffentlichen will.
Steven Anderson gilt als ein bedeutender Hassprediger der USA und hat Einreiseverbote in Südafrika, Großbritannien, Irland, den Niederlanden und schließlich im gesamten Schengenraum erhalten (queer.de berichtete). Botswana hatte ihn sogar ausgewiesen, nachdem Anderson in dem südafrikanischen Land in einer Radiosendung gehetzt hatte (queer.de berichtete).
In den Videos kündigte Anderson zudem an, zu versuchen, in Deutschland einzureisen. Möglicherweise sei das Einreiseverbot in den Schengenraum, das die Niederlande im Jahr 2019 ausgelöst hatte, inzwischen abgelaufen. In dem Fall könnte Anderson tatsächlich nach Deutschland fliegen und hier auftreten.
Im Jahr 2019 hatte Anderson auf einer Konferenz, die parallel zum Gedenken an das queerfeindliche Massaker von Orlando im queeren Nachtclub Pulse abgehalten wurde, seine Äußerungen wiederholt, wonach er sich wünsche, dass alle Homosexuellen sterben (queer.de berichtete). Anderson spricht in einem Video mit U. auf Deutsch. Seine Ehefrau soll ebenfalls aus Deutschland stammen.
Korrektur: In einer ersten Version des Textes hieß es, die Domain, unter der der auf Deutsch neu vertonte Hetzfilm veröffentlicht worden war, sei nicht mehr erreichbar. Tatsächlich verweist die Domain nach wie vor auf den Server, auf dem die Website mit dem Film liegt. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
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