Pim Fortuyn, hier in einer Talkshow im September 2001, starb heute vor 20 Jahren durch ein Attentat
Er sah sich bereits als nächster Ministerpräsident der Niederlande, doch dann geschah das Unvorstellbare: Pim Fortuyn wurde am 6. Mai 2002 in Hilversum vom fanatischen Tierschützer Volkert van der Graaf erschossen – nur neun Tage vor der Parlamentswahl. Dabei handelte es sich um den ersten politischen Mord im Land seit der Besetzung durch die Nazis. Bis heute prägt dieses Ereignis die niederländische und europäische Politik.
Der 1948 geborene Fortuyn wurde vor allem wegen seiner Widersprüche von seinen Fans geliebt: Der Soziologe mit Doktortitel und ehemalige Marxist machte ein kleines Vermögen als Unternehmensberater. Er wandelte sich schließlich erst zum Sozialdemokraten, dann zum Neoliberalen, bevor er zum islamophoben und europaskeptischen Rechtspopulisten wurde, der seinen extravaganten Geschmack in seiner Villa in Rotterdam öffentlich ebenso zelebrierte wie sein Schwulsein. Gleichzeitig war er ein überzeugter Katholik, den im Wahlkampf kurz vor seinem Tod stets sein persönlicher Priester begleitete.
Seine teils rassistischen Thesen verteidigte Fortuyn mit seiner sexuellen Orientierung. So kritisierte er kurz vor seinem Tod Äußerungen des islamistischen Rotterdamer Imams Khalil el-Moumni, der Ende der Neunzigerjahre Europäer*innen als "schlimmer als Hunde oder Schweine" bezeichnete, weil sie Schwule und Lesben akzeptieren. Daher müsse man die niederländischen Grenzen "hermetisch abriegeln", forderte Fortuyn, der den Islam pauschal als "zurückgeblieben" beschimpfte.
Mit seiner antimuslimischen Rhetorik war er insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 populär und kletterte in den Meinungsumfragen nach oben, dass sogar ein Wahlsieg möglich schien. Er gab sich dabei nicht in allen Themenbereichen als kompromissloser Rechtsaußen, sondern verteidigte einige liberale Politikansätze seines Heimatlandes: neben der Ehe für alle auch die laxe Drogenpolitik und den einfachen Zugang zu Sterbehilfe.
Seine Rhetorik lebt in zeitgenössischen rechtspopulistischen oder -extremistischen Parteien weiter, so auch in der deutschen AfD. Diese gibt etwa vor, sich wie Fortuyn um das Wohlergehen von Schwulen und Lesben zu sorgen – allerdings nur dann, wenn sie damit gegen die muslimische Minderheit Stimmung machen kann. Bereits 2016 warb die Partei etwa in Berlin mit dem Bild eines schwulen Paares und dem Slogan: "Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist" (queer.de berichtete). Freilich wirbt die AfD anders als Fortuyn ansonsten dafür, die Rechte für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten einzuschränken – etwa mit der Forderung nach einem Ehe-Verbot für Schwule und Lesben oder einem Demonstrationsverbot für queere Rechte.
"Fortuyn war ein Wendepunkt in der niederländischen Politik"
Insbesondere die Niederlande veränderte Fortuyn nachhaltig, wie der Politikprofessor Gerrit Voerman von der Reichsuniversität Groningen gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte: "Fortuyn war ein Wendepunkt in der niederländischen Politik, er brachte die Unzufriedenheit eines Teils der Wähler zum Ausdruck, die die etablierten Parteien ignoriert hatten – Unzufriedenheit über die Einwanderungspolitik und die europäische Integration", so Voermann. "Fortuyn sorgte dafür, dass beides auf der politischen Tagesordnung landete. Er markiert den Beginn des Rechtspopulismus in den Niederlanden."
Zwar brach seine Partei – die "Lijst Pim Fortuyn" – nach einem Wahlerfolg 2002 im Streit auseinander und löste sich 2008 auf. Sein inoffizieller Nachfolger wurde jedoch Geert Wilders. Von dessen "Partei für die Freiheit" ließ sich in der Vergangenheit sogar den liberalen Ministerpräsident Mark Rutte tolerieren. Wie Fortuyn setzt Wilders auf Islam- und Europafeindlichkeit und befürwortet in der Wirtschaftspolitik marktradikale Ansätze. Gleichzeitig engagiert auch er sich für queere Rechte, was teilweise zu Verstimmungen unter seinen rechtsradikalen und christlich-fundamentalistischen Anhänger*innen führt (queer.de berichtete).
Fortuyn gilt im Rückblick noch als gemäßigt – inzwischen habe sich laut Professor Voerman der Rechtspopulismus "radikalisiert". Immerhin hatte die Bewegung einige Erfolge, wie eines der striktesten Einwanderungsgesetze und eine wachsende Europafeindlichkeit im Volk. Die radikale Rechte der Niederlande ist inzwischen auch nicht mehr sicher, ob sie queere Menschen weiter akzeptieren soll: In den letzten Jahren hat die neu aufkommende Rechtsaußenpartei "Forum für Demokratie" immer wieder mit Homophobieskandalen für Schlagzeilen gesorgt.
20 Jahre später ist jedenfalls klar, dass die Rechte gegen islamisch motivierten Schwulenhass nicht das Geringste unternehmen wird und diesen nur als billigen Vorwand nutzt.
Fortuyn hat ihnen diesen billigen Vorwand geliefert. Der Mohr hatte damit seine Schuldigkeit getan und konnte gehen.