Zu Update springen: Jusos Bremen bezeichnen Urteil als "erschreckend" (14.29 Uhr)
Das Landgericht Bremen hat laut Radio Bremen den queerfeindlichen Pastor Olaf Latzel am Freitagmorgen vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen (AZ 51 Ns 225 Js 26577/20). Damit kippte es eine Entscheidung des Amtsgerichts Bremen aus dem November 2020. Die Vorinstanz hatte den 54-Jährigen nach queerfeindlichen Äußerungen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 8.100 Euro (90 Tagessätze) verurteilt (queer.de berichtete).
Das Landgericht sah es aber nicht als erwiesen an, dass sich der evangelische Pastor der Bremer St.-Martini-Gemeinde in einem auf Youtube veröffentlichten Eheseminar volksverhetzend geäußert hatte. Damit folgte es der Forderung der Verteidigung, die die Positionen des Pastors im Grundsatz von der Religions- und Meinungsfreiheit gedeckt sah. Latzel hatte sich für einige der Äußerungen entschuldigt, aber behauptet, dass Homosexualität laut Bibel Sünde sei.
Die Staatsanwaltschaft hielt die Schuld des Pastors auch im Berufungsprozess für erwiesen: Sie bezeichnete das Urteil der ersten Instanz als "fehlerfrei" und erklärte, sie Latzel nehme die angebliche Reue nicht ab.
Trotz des Freispruchs bezeichnete Richter Hendrik Göhner die Wortwahl Latzels laut dpa als befremdlich: "Sie sind kein Beitrag, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, wo alle gut miteinander auskommen." Latzel sei es aber mit Blick auf die Gendertheorie um das soziologische Konzept und nicht um Personen gegangen, befand der Richter. Man müsse die Äußerungen auch in dem Zusammenhang sehen, dass die als konservativ geltende Gemeinde mehrfach Störungen wie etwa einem "Kiss-In" von Homosexuellen während eines Gottesdienstes 2008 und in den letzten Jahren auch Sachbeschädigungen erfahren habe.
Laut t-online habe sich das Gericht in der Begründung auch auf eine Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gestützt, wonach die Justiz im Falle von umstrittener Meinungsäußerung auf die für die für den Angeklagten "günstigere Interpretation" zurückgreifen solle. Der Pastor habe dem Gericht glaubwürdig gemacht, dass seine Äußerungen "theologische Interpretationen" seien.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft kann innerhalb einer Woche Revision einlegen. Vor dem Gericht protestierten rund 60 Demonstrant*innen gegen das Urteil.
Im Berufungsverfahren mit drei Verhandlungstagen hatte der konservative theologische Gutachter Ludger Schwienhorst-Schönberger die queerfeindlichen Äußerungen Latzels als bibelkonform dargestellt (queer.de berichtete). Gutachterin Isolde Karle, die Latzel Verbreitung von Hass vorwarf, wurde nach einem Antrag der Verteidigung als "befangen" erklärt (queer.de berichtete). Ihre Expertise wurde damit im Prozess nicht berücksichtigt.
Latzel, der seit Ende 2007 Pastor der St. Martini-Gemeinde in Bremen ist, hatte am 19. Oktober 2019 im ersten Teil des rund zweistündigen Seminars vor 30 Ehepaaren der Gemeinde unter anderem Homosexualität als "Degenerationsform von Gesellschaft" und als "todeswürdig" und die "Homo-Lobby" als "teuflisch" bezeichnet. Die Anerkennung von Transsexualität zerstöre ferner "unsere gesamte Zivilisation und Kultur". Schuld an all diesen Entwicklungen sei die "zunehmende Gottlosigkeit". Zudem erklärte er: "Überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher Street Day" (queer.de berichtete).
Das Seminar war im März 2020 kurzzeitig und nach Worten Latzels "versehentlich" als Audiodatei auf Youtube eingestellt worden. Es war dabei bereits mehrere tausend Mal abgespielt worden.
In der als liberal geltenden Bremischen Evangelischen Kirche gibt es seit längerem Konflikte mit der Gemeinde St. Martini, in der sich evangelikale Hardliner um Latzel versammelt haben. Die Landeskirche will aber eine Abspaltung der Gemeinde möglichst vermeiden. Während des Verfahrens durfte Latzel weiterpredigen und seine Predigten auch online verbreiten. Wegen der Äußerungen läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Pastor, das aber ruht, bis zu einem rechtskräftigen Urteil kommt.
Der Freispruch ist bereits der zweite Fall innerhalb weniger Monate, in der Berufungsinstanzen Verurteilungen zu anti-queerer Volksverhetzung aufgehoben haben. Im Februar bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt den vom Landgericht Kassel ausgesprochenen Freispruch des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera (queer.de berichtete). In erster Instanz war er noch zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt worden, nachdem er im Juli 2017 in einem Interview mit kath.net unter anderem homosexuellen Menschen eine grundsätzliche Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern attestiert hatte. (dk)
Artikel mehrfach ergänzt
Update 14.29 Uhr: Jusos Bremen bezeichnen Urteil als "erschreckend"
Die Jugendorganisation der SPD hat das Urteil auf Twitter kritisiert: "Hass bleibt Hass, auch wenn es so in der Bibel steht und Olaf Latzel bleibt ein Hetzer", erklärte die stellvertretende Jusos-Landesvorsitzende Lara Gerecke auf Twitter. "Es ist erschreckend, dass solche menschenunwürdigen Äußerungen in unserer Demokratie und von unserem Staat unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit geduldet werden"
Auch der Internationale Bund der Konfessionslosen übte Kritik: "Würden alle Aussagen aus der Bibel, der Tora, dem Koran oder dem Buch Mormon durch die Religionsfreiheit gedeckt und somit über dem bürgerlichen Gesetzen wie Grundgesetz, dem Strafgesetzbuch oder dem BGB stehen, hätten man der Rechtsphilosophie der religiösen Dogmatiker nachgegeben, das bürgerliche Gesetze nur dann anzuerkennen sind, wenn sie im Einklang mit den Aussagen der alten Bücher stehen", erklärte der Verband in einer Pressemitteilung. "Damit sind sich die christlichen Dogmatiker der Evangelikalen, der Katholiken und der Orthodoxen Kirche selbst mit den Islamisten einig. Islamisten vertreten konsequent die Position, dass sich das staatliche Strafrecht an der Sharia zu orientieren habe."