In der ersten Folge der HBO-Kultserie "Girls" sagt die Protagonistin Hanna Horvath (Lena Dunham) zu ihren Eltern: "Ich glaube, ich bin die Stimme meiner Generation" – nur um wenig später mit "Oder zumindest eine Stimme einer Generation" zurückzurudern.
Peter Fässlacher, österreichischer Moderator, Podcaster und seit "Die schwule Seele" auch Sachbuch-Autor, behauptet keineswegs, eine oder gar die Stimme einer oder seiner Generation zu sein. Mit verallgemeinernder Sprache – und einem Bekanntheitsgrad, der ihm die Plattform, ein Buch zu schreiben, verschafft hat – stellt er sich aber zumindest an die Front eines Themas, das in der Öffentlichkeit primär von Personen, die so aussehen und klingen wie er, behandelt wird.
Im Vorwort gibt er zu, dass die knapp 190 Seiten seines schriftstellerischen Erstlingswerk einen "hochgradig subjektiven Blick auf das Leben und Fühlen schwuler Männer" gewährt, was bedeutet, dass seine Beobachtungen keineswegs auf alle schwulen Männer zutreffen müssen. Erleichterung.
Der tragische Schwule
"Die schwule Seele" ist im Luftschacht Verlag erschienen
Den ersten Teil seines Buches beginnt Fässlacher mit der Beobachtung, dass das Fundament der schwulen Seele das "Gefühl der Minderwertigkeit und die Angst vor Zurückweisung" sei. Dies ist dem Autor zufolge auf das Schwulsein zurückzuführen, da die eigene sexuelle Orientierung einem Makel gleichkommt und man sich somit weniger wert fühlt.
Damit liegt Fässlacher, wenn man etwa dem US-amerikanischen Autor und Psychologen Alan Downs, der "The Velvet Rage" schrieb, Glauben schenkt, nicht unbedingt falsch. Was Fässlacher im Vergleich zu Downs jedoch nicht gelingt, ist ein mitfühlender und wertfreier Ton. Downs kann seine Beobachtungen und Interpretationen dieser zudem mit mehreren Dekaden an Berufserfahrung als Psychologe, der speziell mit schwulen Männern zusammenarbeitet, nachvollziehbar belegen und erklären. Dabei gelingt es Downs mehrfach eigene Erfahrungen zu teilen, um somit eine Verbindung mit den Leser*innen herzustellen. "Meine Patient*innen sind so, ich bin aber auch so, weswegen es total legitim ist, dass ihr so seid", scheint er sagen zu wollen. Dies lädt zu einem wertfreien Leseerlebnis ein.
"Die schwule Seele" hingegen zeichnet ein eher unreflektiertes und einseitiges Bild der schwulen Community. Fässlacher teilt zwar kleine Anekdoten aus seinem eigenen Leben, bleibt dabei aber distanziert an der Oberfläche. Seine persönliche Abgrenzung, gepaart mit einem teils fast anschuldigend klingenden Ton, kreiert das Gegenteil von Downs' Buch: "Ihr seid so. Seid aber mal nicht so", scheint er hingegen zu sagen.
Der Schwule als freiwilliges Opfer?
Fässlacher appelliert in "Die schwule Seele" an homosexuelle Männer zu lernen, mehr auszuhalten. Man solle nicht so leicht empört sein:
Wenn derzeit über Sprache, Identität und Gleichberechtigung diskutiert und gestritten wird, frage ich mich oft: Woher kommen eigentlich die massiven Emotionen in diesen Debatten? Woher kommt es, dass die Empörung zum Grundton wurde?
Er folgt mit einer Beobachtung:
Es scheint, als würde oft eine interessierte Nachfrage, ein falsch verwendetes Pronomen oder eine undurchdachte Formulierung genügen, um sich keine drei Minuten später in einem Gewitter der Entrüstung wiederzufinden. […] Könnte man die Diskussionen über Identitäten auf Amazon bestellen, wäre eine kurze Zündschnur kostenlos dabei, mit einer Expresslieferung am selben Tag.
Viele von uns hatten ähnliche Debatten mit Eltern, Kolleg*innen oder Freund*innen: "Warum seid ihr nur so empfindlich, wenn es um Sprache geht?" Weil Sprache wichtig ist. Sprache macht sichtbar. Sprache kann verletzen. Sprache sondert aus. Sprache inkludiert. Von einer Person aus den eigenen Reihen wünscht man sich Ermutigung und keine Anschuldigung.
Fässlacher stellt seine Vermutungen nicht ohne Begründungen auf. So beschreibt er die schnelle Empörung als Resultat von lange aufgestauter Wut aufgrund von Jahren an Diskriminierung, die sich gepaart mit der momentanen Wut – über beispielsweise ein falsch verwendetes Pronomen – in explosiver Empörung äußert. Diese Interpretation von Fässlacher ist nachvollziehbar. Allerdings folgt er auf diese erneut mit einer unreflektierten Verallgemeinerung:
Manchmal könnte man sogar den Eindruck bekommen, dass es in den sozialen Medien so etwas wie eine Form der Vorfreude auf bevorstehende Diskriminierung gibt. Einen Zauber des bewussten Missverstehens, um die aufgestaute Wut endlich entladen und sich verbal wehren zu können. […] Sollte es aber zu wenig Gründe geben, sich öffentlich aufzuregen, muss man sich eben welche suchen oder einfach nur ein bisschen warten. Irgendjemand wird schon bald wieder etwas Falsches sagen. Ganz bestimmt. Spätestens dann kann man explodieren.
Der belastbare Schwule
Fässlacher sieht die Lösung in der Heilung der schwulen Seele darin, das eigene belastbare Ich zu stärken, mehr auszuhalten. Ein Schritt, dieses Ziel zu erreichen, sei nicht mehr darauf zu warten, dass sich die Gesellschaft für ihr Verhalten gegenüber Homosexuellen – in Gegenwart und Vergangenheit – entschuldigt. "Um frei zu sein, brauche ich eine Entschuldigung", sei die innere Überzeugung. Damit macht es sich Fässlacher sehr einfach. Sicherlich ist es schön, durch das Leben zu gehen, ohne sich von der Meinung anderer abhängig zu machen.
Einer Community als Gesamtes aber zu sagen, die Häme, Zurückweisung, Diskriminierung der Gesellschaft einfach so hinzunehmen, wirkt uninspiriert. Wo wären wir heute, wenn vergangene Generationen queerer Menschen und Aktivst*innen ähnlich gedacht hätte? Fässlacher moniert an anderer Stelle seines Buches, dass jüngere Generationen die Arbeit der älteren nicht genug wertschätzen, was vor dem Hintergrund seinem Appell zum Aushalten grob widerspricht.
Letztlich doch nur eine Seele?
Vielleicht bestätige ich in meiner Reaktion auf "Die schwule Seele" von Peter Fässlacher viele seiner Beobachtungen in Bezug auf den leicht empörten Schwulen, der förmlich nach Kränkungen sucht. Zu Beginn des Buches war ich noch recht positiv gestimmt. Wenig von dem, was Fässlacher schrieb, war neu für mich, aber ich konnte sie als eine Light Version von "The Velvet Rage" gut lesen. Je mehr er den Schwulen als tragische Figur, der sich in seiner Opferrolle einnistet und einfach lernen soll, belastbarer zu werden, skizzierte, desto frustrierter stimmte mich das Leseerlebnis.
Es gibt für "Die schwule Seele" auf jeden Fall eine Leser*innenschaft. Für mich ist es insofern ein wichtiges Buch, da es zeigt, wie undivers die queeren Stimmen in Deutschland nach wie vor sind und wer veröffentlichte Geschichten über die LGBTI-Community schreiben darf.
Am Ende schreibt Fässlacher:
Vielleicht könnte man die Frage nach der schwulen Seele mit einer weiteren Frage beantworten: Geht es in diesem Buch eigentlich wirklich um das Schwulsein – oder geht es eher um das Menschsein?
Nachdem er über 190 Seiten darüber berichtete, wie Schwule sind, wirkt diese Hypothese fast wie eine Resignation, verpackt in eine pseudo-erleuchtende Oprah-Floskel.
Infos zum Buch
Peter Fässlacher: Die schwule Seele. Roman. 204 Seiten. Luftschacht Verlag. Wien 2022. Hardcover: 22 € (ISBN 978-3-903422-02-5). E-Book: 12,99 €
Einer Community als Gesamtes aber zu sagen, die Häme, Zurückweisung, Diskriminierung der Gesellschaft einfach so hinzunehmen, wirkt uninspiriert.
Uninspiriert ist nicht gerade das Adjektiv, das ich verwendete. Da ich aber keinen Sinn darin sehe, unnötig Negatives zuzulassen, halte ich es mit dem Mantra Nicht mal ignorieren.