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"Dark deeds at night"
Die queere Geschichte der britischen Royals
Ob Richard Löwenherz, Edward II. oder Queen Anne – Elizabeth II. hatte mehrere queere Vorgänger*innen.

Lesbische Liebe am Hof: Queen Anne und Sarah Churchill
- Von Michael Louis
2. Juni 2022, 04:21h 7 Min.
Die Queen feiert derzeit ihr 70. Thronjubiläum. Elizabeth II. und die britische Monarchie sind bekannt für ihr Traditionsbewusstsein. Doch jenseits davon gibt es auch eine queere Geschichte der Royals, die weit zurückgeht. Diese Geschichte zeigt "Sexualität" als sich zeitlich veränderndes soziales Konstrukt. Sie macht deutlich, wie Homosexualität als politisches Druckmittel für Verleumdungen genutzt wurde und sie beeinflusst die Populärkultur bis heute.
Als frühestes Beispiel für einen queeren Herrscher gilt oftmals Richard I. (1157-1199), besser bekannt als Richard Löwenherz aus den Robin-Hood-Geschichten. Gemeinsam mit seinem Rivalen Philip II. von Frankreich soll er das Bett geteilt haben. Das heutige Bild von Richard I. entstand aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuerst vertrat der Historiker John Harvey 1948 die These vom schwulen Monarchen. Vor allem der mehrfach Oscar-prämierte Film "The Lion in Winter" von 1968 verbreitete diese Ansicht. Darin spielt der junge Anthony Hopkins den Prinzen Richard als homosexuellen Mann.
Der britische Historiker John Gillingham interpretierte 1994 das gemeinsam geteilte Bett von Richard und Philip allerdings als diplomatische Geste. Denn im 12. Jahrhundert hielt ein König seinen Hof häufig auch im Schlafzimmer ab. Die wichtigsten Höflinge schliefen im selben Raum wie der Herrscher. Heutige körperliche Gesten wie ein Handschlag oder eine Umarmung sind Überbleibsel dieser Praxis. Unabhängig davon, was wirklich zwischen Richard und Philip ablief, zeigt dies, wie sehr die Interpretation einer Situation vom jeweiligen zeitlichen Kontext abhängt.
"The king and his husband": Edward II.

Edward II. und Gaveston auf einem Gemälde von Marcus Stone
Die in der heutigen Zeit populärste queere royale Figur ist Edward II. (1284-1327). Viel wurde bereits spekuliert über seine enge Beziehung zu Piers Gaveston, seinem wichtigsten Getreuen. Edward hatte nie eine Geliebte und soll während des Hochzeitsbanketts seinem Freund Gaveston mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben als der Queen. Die Feinde des Königs störten sich daran, dass der König seinen Geliebten, der aus niedrigem Stand kam, in hohe Ämter gehoben hatte. Sie erreichten letztlich, dass Gaveston zuerst verbannt und danach hingerichtet wurde. Für Edward blieb dies nicht seine einzige Liebschaft. Er führte später noch eine enge Beziehung zu seinem Günstling Hugh le Despenser. Ein Chronist der Zeit beschrieb die beiden als "the king and his husband".
Wegen seiner Liebschaften, seiner hohen militärischen Verluste und die dadurch steigenden Steuern wollte der Adel den König loswerden. Edwards eigene Frau Isabella organisierte – wohl auch aus Rache für den Ehebruch – in Frankreich ein Heer, das ihren Mann stürzte. Auch Edward wurde am Ende hingerichtet. Angeblich geschah dies äußerst brutal mit einer glühenden Eisenstange in seinem After. Es ist aber genauso gut möglich, dass diese Erzählung über seinen Tod Teil der Verleumdungskampagne gewesen ist. Die Fürsten, die ihn stürzten, benötigten eine Rechtfertigung für ihren Hochverrat. Aus deren Sicht bot sich die in der damaligen Zeit äußerst negativ behaftete Homosexualität dafür an.
Umso mehr wurde Edward II. in der Kulturgeschichte zu einer Projektionsfläche für eine Figur, die seine Liebe über die staatliche Macht stellt. Am bekanntesten ist hierbei das Theaterstück von Christopher Marlowe. Auch aktuell wird das Drama noch gespielt, wie derzeit am Münchner Volkstheater. Marlowe verfasste das Stück 1592 in der Zeit der Herrschaft von Elizabeth I. Kurz zuvor, im Jahr 1533, hatte Elizabeths Vater, Henry VIII., Homosexualität im sogenannten "Buggery Act" erstmalig unter Todesstrafe stellen lassen. Vor allem wegen dieser homosexuellen Komponente geriet Marlowes Stück in Vergessenheit. Erst im frühen 17. Jahrhundert wurde es wieder aufgeführt. Und ausgerechnet der zu dieser Zeit regierende King James I. spielt in der Geschichte der queeren Royals eine tragende Rolle.
Mit 13 den ersten Geliebten: King James I.

King James I. und sein letzter Geliebter George Villiers
King James I. (1566-1625) war der erste Herrscher, der England und Schottland gemeinsam regierte. James hatte eine Frau und sieben Kinder, daneben aber sein Leben lang männliche Geliebte. So spottete die Bevölkerung, dass England zu Zeiten der unverheirateten und kinderlosen Elizabeth I. einen König gehabt hätte. Nun säße mit James eine Königin auf dem Thron.
Seinen ersten Geliebten, Esmé Stewart, traf der König mit 13 Jahren, während Stewart bereits 37 war. Dieser wurde im Laufe der Zeit zu einem Mentor von James. Später drehte der König diese Praxis um und wurde für Robert Carr, den er bei einem Reitturnier kennengelernt hatte, selbst zum Mentor und Liebhaber. Als Carr später in ein Mordkomplott verwickelt war und verurteilt wurde, bewahrte ihn nur das Veto des Königs vor der Hinrichtung.
Nachdem Carr den Hof verlassen hatte, fand der König mit George Villiers einen neuen Geliebten. Angeblich hatte die Königin ihm diesen zugeführt, um ihn von Robert Carr wegzubekommen. An Villiers schrieb der König 1624 kurz vor Ende seines Lebens:
I desire to live only in this world for your sake, and that I had rather live banished in any part of the earth with you than live a sorrowful widow's life without you. And may so God bless you, my sweet child and wife, and grant that ye may ever be a comfort to your dear dad and husband.
Villiers blieb auch bei dem Nachfolger von James, dessen Sohn King Charles I., in wichtiger Position am Hof. Nachdem er gegen Spanien zum wiederholten Male mit einer militärischen Unternehmung katastrophal scheiterte, wollte ihn das britische Parlament abberufen. Nur durch den Einspruch des Königs wurde dies verhindert. Daraufhin erdolchte 1628 ein englischer Lieutenant den wegen seiner kriegerischen Niederlagen unbeliebten Villiers, was die Londoner Bevölkerung mit großer Erleichterung aufnahm.
Dreiecksbeziehung am Hof: Queen Anne
Knapp 100 Jahre nach James I. bestieg die bekannteste queere Frau in der Ahnenreihe von Elizabeth II den Thron: Queen Anne (1665-1714). Sie lernte ihre Geliebte Sarah Churchill bereits als Kind kennen. In Briefen, die beide einander schrieben, nannte die Queen ihre Freundin nur "Mrs Freemann" und diese die Queen "Mrs Morsley". Anne gab Churchill wichtige Positionen am Hof. Sie wurde etwa "Mistress of the Robes" und "Ranger of Windsor Park". Aufgrund dieser Funktionen konnte sie die ganze Zeit in der Nähe der Queen bleiben. Mit der Zeit kam es aber immer öfter zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Queen und Churchill. Dies hatte zur Folge, dass sich Anne zunehmend Sarahs Cousine Abigail Masham zuwandte.
Waren bis dahin die Aktivitäten zwischen der Queen und anderen Frauen nur Insidern bekannt, ließ Churchill nun selbst Details über das Liebesleben der Queen in die Öffentlichkeit geraten. Über ihren Sekretär zirkulierten bald Pamphlete am Hof, in denen von "sweet services" und "dark deeds at night" die Rede war. Dies führte zu einem Streit zwischen Queen Anne und Sarah Churchill, der ihren Kontakt für immer beenden sollte. Der Film "The Favourite" von 2018 mit Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone zeigt diese Dreiecksbeziehung.
Verpönte Homosexualität und der Neid des Adels
Alle hier gezeigten Personen lebten in restriktiven Gesellschaften. Sie selbst konnten ihre Sexualität länger ungestraft ausleben, weil sie als Regent*innen nahezu unantastbar waren. Die in der breiten Gesellschaft verpönte Homosexualität wurde oftmals erst dann zu einem ernsthaften Problem für die Regierenden, wenn die Herrscher*innen ihre Geliebten in hohe Adelsposition erhoben. Erst dann wuchs der Neid des Adels und dieser diskreditierte im Rahmen der damaligen Moralvorstellungen die jeweilige Person wegen ihrer Sexualität.
Im heutigen Großbritannien könnte ein*e queere*r Thronfolger*in Monarch*in werden, nach staatlichem Recht jemanden gleichen Geschlechts heiraten und Kinder adoptieren. Doch diejenige Person wäre gleichzeitig Oberhaupt der anglikanischen Kirche, die gleichgeschlechtliche kirchliche Ehen bisher nicht ermöglicht. Außerdem sind adoptierte Kinder gegenwärtig nicht Teil der Thronfolge. Nachfolgen würden dann die Kinder der Geschwister des Kings oder der Queen.
Auch wenn sich bei Charles und William persönlich diese Fragen nicht stellen, bleibt abzuwarten, ob die künftigen Könige mit Blick auf ihre eigene Ahnenreihe nicht doch das ein oder andere queerfreundliche Zeichen setzen werden.
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