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Österreich
Wien: Protest gegen Kinderbuch-Lesung mit Dragqueen
Rechtsextreme wollen vor Ort gegen die Veranstaltung mit Candy Licious im Rahmen des Wiener CSD demonstrieren.

So bewirbt der Vienna Pride die "wunderbare" Veranstaltung, die weiter stattfinden soll
- 2. Juni 2022, 19:30h 4 Min.
Seit mehreren Wochen hetzen Rechtsextreme in Österreich vermehrt gegen LGBTI und ihre Organisationen. Unter anderem zusammengeschlossen in einer "Aktion Rot Weiß Rot" rufen sie etwa unter dem Motto "Das ist unsere Fahne" dazu auf, während des Pride-Monats und der Zeit des Wiener CSD in sozialen Netzwerken die österreichische Flagge statt der Regenbogenfahne zu verwenden. Die "Freiheitliche Jugend" in Tirol, eine FPÖ-Vorfeld-Organisation, teilte dazu u.a. auch bei Instagram ein Bild, wie die Regenbogenflagge in eine Mülltonne gegeben wird.

Motive wie diese verbreiteten sich früher vor allem in Osteuropa und bei Neonazis, inzwischen aber auch bei rechtspopulistischen Parteien oder Corona-Leugnern
Vor allem aber mobilisieren die Rechtsextremen bis ins konservative, christlich-fundamentalistische und Coronaleugner-Lager hinein mit ihrer Propaganda und einem angekündigten Protest zu einer für Freitagnachmittag geplanten Kinderbuch-Lesung mit der Drag-Queen Candy Licious. In der Bücherei Mariahilf soll sie im Rahmen der Veranstaltung zum Vienna Pride für kleine und große Gäste aus den Büchern "Julian feiert die Liebe", "Julian ist eine Meerjungfrau" und "Der verliebte Koch" vorlesen.
"Ein schwules Fetischmodell, das auf Social Media in den krassesten Posen auftritt, soll minderjährigen Kindern aus 'homosexuellen Kinderbüchern' vorlesen", fasst die Aktion RWR, die sich auch "Aktion Heimatliebe plus" nennt, zusammen. Man sage "Nein zur Frühsexualisierung von Kindern" und "Drag Queen Story times". Der entsprechende Telegram-Beitrag listet Kontakt-Nummern und -Mailadressen des Pride und der Buchhandlung – und fordert für Freitag "zahlreiches" Erscheinen vor Ort, "um mögliche sexuelle Straftaten zu dokumentieren und kritische Fragen zu stellen". Martin Sellner, der Anführer der rechtsextremen "Identitären Bewegung", war einer der ersten, der den Aufruf teilte.

Zwei Ausschnitte aus dem Telegram-Kanal "Aktion Rot Weiß Rot"
Mobil macht auch das Identitären-Portal "Tagesstimme" oder die PFÖ-nahe Zeitung "Wochenblick" ("Volk wehrt sich gegen Great Reset & Gender-Wahn"). Sie zitiert auch den umtriebigen Aktivisten Martin Rutter, das Motto der nächsten Wochen müsse lauten "Österreich statt EU, rot-weiß-rot statt bunt, Heimatliebe statt Globalistendiebe". Der frühere rechtspopulistische Politiker machte mit "Querdenken"-Demos in Wien Schlagzeilen – auf einer wurde 2020 auf der Bühne eine Regenbogenflagge zerrissen. Die entsprechende Aktivistin wurde später von einem Gericht freigesprochen (queer.de berichtete). Auch Rutter, dem die Staatsanwaltschaft als Pressesprecher der damaligen Veranstaltung anti-homosexuelle Volksverhetzung vorwarf, wurde freigesprochen (queer.de berichtete). Auf Corona-Protesten der letzten Wochen tauchten Berichten zufolge immer wieder Banner mit der Telegram-Adresse der "Aktion Heimatliebe" auf.
Rechtsextremisten haben auch Unterstützung aus Deutschland
Die Vienna Pride findet vom 1. bis 12. Juni statt, mit dem Höhepunkt, der Regenbogenparade, am 11. Juni. Im letzten Jahr hatten mehrere Rechtsextremisten dabei eine Gedenkminute gestört, bengalische Feuer entzündet und ein Banner mit der Aufschrift "No Pride Month" entrollt. Zudem warfen sie Flugblätter rum: "Ein Mann bleibt ein Mann, eine Frau bleibt eine Frau. Eure Propaganda bleibt Abfall". Eine Anklage wegen der Flugblätter endete kürzlich in einem Freispruch, es gibt eine weitere Anklage wegen Sachbeschädigung am erkletterten Rathaus-Gerüst. Der Vorfall lässt erahnen, dass es auch in diesem Jahr zu weiteren Störaktionen neben dem Lesungs-Protest kommen könnte.
Twitter / msulzbacherFast die ganze Rechtsextreme Szene mobilisiert gegen eine Kinderbuchlesung mit der Drag Queen Candy Licious.
Markus Sulzbacher (@msulzbacher) June 2, 2022
Mein Artikel dazu: https://t.co/dPMA3XRYIt
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Candy Licious sagte dem Portal ggg.at, sie wurde inzwischen online unter anderem als pädophil beschimpft. Die Empörung zeige, "dass wir noch viel zu tun haben, und ich möchte mir als Ziel setzten, solche Lesungen öfters zu veranstalten, und weiterhin versuchen, die Welt ein bisschen friedlicher zu machen." Das Portal und viele Szenepersönlichkeiten riefen dazu auf, zu der Lesung zu erscheinen und die Drag Queen zu unterstützen.
Twitter / ggg_atBitte teilen! Candy Licious und die gesamte Community brauchen unsere Unterstützung und Solidarität! https://t.co/5W740KWce2
GGG.at (@ggg_at) June 2, 2022
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Der Vienna Pride rief inzwischen allerdings bei Facebook dazu auf, zu der Veranstaltung nur in Begleitung mit Kindern zu kommen: "Lassen wir den Raum den Kindern, für die er auch gedacht ist." Man wolle informieren, "dass wir mit den zuständigen Behörden in Kontakt sind und diese sich um die Ordnung vor Ort kümmern werden. Vor allem aber darum, dass den Kindern die Freude nicht zerstört wird". Geplant sei eine "wunderbare" Lesung: "Diese Veranstaltung soll den Regenbogenfamilien und auch allen anderen Familien Spaß machen und vor allem den Kindern und Menschen zeigen und Mut machen, dass es ok ist, so zu sein, wie sie sind. Gelesen wird aus inklusiven Kinder-Büchern, die mit alten Rollenbildern aufbrechen sollen wie zum Beispiel 'Julian ist eine Meerjungfrau'."
Unterstützung für die queerfeindlichen Rechtsextremen kommt derweil vom deutschen Propagandisten Boris Reitschuster. In einem viel geteilten und kommentierten Beitrag ("Vienna Pride: Drag Queen liest aus Kinderbüchern vor – Gefährlicher Trend aus den USA breitet sich in Europa aus") beklagte er etwa: "Je früher mit der Indoktrinierung der Gender-Ideologie begonnen wird, desto besser, scheint hier das Motto zu sein."
2019 hatte in den Niederlanden ein Protest der "Identitären Bewegung" zur Absage einer Kinder-Lesestunde von Dragqueens geführt (queer.de berichtete). (nb)
