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Interview

"Werft den normativen Ballast einfach über Bord"

Sergej Gößner ist eine wichtige (queere) Stimme für zeitgenössische Dramatik für ein junges Publikum. Wir sprachen mit ihm über seine Figuren, LGBTI-Sichtbarkeit im Theater, das eigene Coming-out auf dem Dorf und seinen Rat an junge Menschen.


Sergej Gößner ist Autor, Schauspieler und Regisseur (Bild: Lukas Marvin Thum)

Am 26. Mai sind im Ruhrgebiet die 47. Mülheimer Theatertage, das Forum deutschsprachiger Gegenwartsdramatik, nach 20 Festivaltagen erfolgreich zu Ende gegangen. Nominiert für den KinderStückePreis war in diesem Jahr auch der queere Autor, Schauspieler und Regisseur Sergej Gößner mit "Der fabelhafte Die". In seinem Stück geht es um das Vieles- und Anderssein und den Mut, den es braucht, sich abseits der Normen auszuprobieren und sich auf die Suche nach dem Leben zu machen, das man gerne führen möchte.

Auch Sergej Gößner hat eine solche Reise hinter sich: Als 18-jähriger Teenager hat er sich aus seinem pfälzischen Heimatdorf aufgemacht, hat Schauspiel in Mainz studiert und gilt heute als wichtige (queere) Stimme für zeitgenössische Dramatik für ein junges Publikum. Wir sprachen mit ihm über seine Figuren, seine Motivation, Stücke für Heranwachsende zu schreiben, und wie es für ihn war, als queerer Teenager auf dem Dorf aufzuwachsen.

Deine Figuren sind oft Außenseiter*innen, Charaktere, die aus der Reihe tanzen, der Norm nicht entsprechen (wollen). Ist diese Figurenzeichnung mit persönlichen Erfahrungen verknüpft?

Ja, ganz bestimmt. Ich war auch immer ein Abweichler. Ich habe in meiner Kindheit durch meine Brüder immer wahnsinnig viel Männlichkeit um mich herum gehabt und meine dabei permanent infrage gestellt. Und es wurde auch stets betont, dass ich anders sei als die anderen. Ich wurde immer wieder aufs Neue gelabelt und meine Familie hat versucht, mich da irgendwie einzuordnen: Ich war der Kluge, der Kreative, der Liebe. Das hat mich total irritiert als Kind: Sind die anderen denn nicht lieb, sind die böse? Ich glaube, das ist die Motivation und daher kommt das und das zieht sich auch durch in meinen Texten. Deshalb sind meine Figuren oft Außenseiter, die versuchen gegen irgendwas anzukämpfen.

Worin liegt grundsätzlich deine Motivation Stücke zu schreiben? Einfach, weil es dir Spaß macht oder gibt es ein tieferes Bedürfnis, eine konkrete Intention?

Ach, ich bin da ja schon ein bisschen kitschig und romantisch veranlagt. (lacht) Ich hoffe, ab und an ein bisschen Hilfestellung mit meinen Texten leisten zu können. Zuletzt bin ich ja so auch in der Schublade der queeren Themen gelandet. Diese Schublade habe ich gerne angenommen. Und dann gibt es noch einen ganz anderen Antrieb: In meinem Umfeld kriegen jetzt gerade, gefühlt, alle Kinder und ich habe mir letztens gedacht: Macht ihr mal, und ich schreibe dann einfach Stücke für eure Kinder und gebe ihnen gleich nochmal eine andere Perspektive mit. Und natürlich was zum Lachen. Und meinen Blick auf die Welt, der ihnen dann vielleicht helfen könnte, sie besser zu verstehen.

Gab es bei Aufführungen deiner Stücke schon besondere Momente? Ich kann mir vorstellen, dass sich einige Menschen mit deinen Figuren identifizieren können.

Es gab solche Situationen durchaus, in denen mir schlagartig klar wurde, warum ich tue, was ich tue: Das waren zum Beispiel die ersten Aufführungen meines Monologs "lauwarm" – ein autobiografischer Text, in dem ich quasi die Hosen runtergelassen habe und ganz offen über meine Sexualität und über mein Frühlingserwachen gesprochen habe. Wie das in der Pubertät als queerer Mensch auf dem Dorf war. Und dann habe ich junge Menschen im Publikum sitzen gesehen, die während der Vorstellung weinten und danach sogar zum Hauptdarsteller gingen und sich bei ihm bedankten, weil sie gedacht haben, er erzähle seine eigene Geschichte. Sie sagten: "Es geht mir gerade genauso. Vielen Dank dafür. Jetzt weiß ich, dass ich nicht allein bin, das musste ich jetzt nochmal kurz hören". Diese Momente sind unbezahlbar.

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Hättest du dir selbst auch solche Stücke als Heranwachsender gewünscht?

Definitiv. Gerade bei "lauwarm" ist das so. Ich hätte gerne früher gewusst, dass es so etwas wie Pansexualität überhaupt gibt. Ich habe den Begriff auch erst vor ein paar Jahren zum ersten Mal gehört und gleich gedacht, dass das mein Begehren besser beschreibt. Für mich war einfach früh klar, dass ich mehr als nur ein Geschlecht begehre. Aber in dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, fand das einfach nicht statt.

Bist du in deiner Jugend überhaupt mit queeren Menschen in Kontakt gekommen?

Nur mit einem schwulen Pärchen aus meiner Theatergruppe, in der ich gespielt habe. Irgendwann habe ich dann all meinen Mut zusammengenommen und mich ihnen anvertraut. Dass ich beide, also Männer und Frauen, irgendwie gut finde. Und das einzige, was ich daraufhin zu hören bekam, war, dass das bei mir nur eine Phase sei und dass das schon vorbeigehen würde. Das war ein herber Rückschlag. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass jemand sagt: "Ey, du bist nicht alleine und es ist vollkommen in Ordnung, dass du so bist, wie du bist". Das ist beispielsweise auch in mein Stück "lauwarm" miteingeflossen.

Du bist mittlerweile auch Teil von #ActOut. Warum war es dir wichtig, dich der Initiative anzuschließen?

Vor allem ging es mir um Sichtbarkeit. Alles, was sich im Dazwischen befindet, hat es in unserer Gesellschaft per se schwerer. Wir haben diese klassisch binären Konstrukte wie Mann – Frau, Schwarz – Weiß, rechts – links, oben – unten, heterosexuell – homosexuell. Aber, dass es da noch viel mehr gibt, bleibt oft im Unsichtbaren. Ich habe kürzlich gelesen, dass schätzungsweise 70 Prozent der Queer-Community bi- oder pansexuell ist. Hey, das ist eine riesige Zahl – wo sind die denn alle?

Hinzukommt sicher auch, dass Bi- und Pansexualität oft als Zwischenstation zur Homosexualität herabgestuft wird.

Absolut. Es wird als unentschieden abgewertet. Ich musste mir auch schon so Sätze anhören wie: "Ja, jetzt vögelst du dich durch die Gegend und später heiratest du eine Frau und gründest eine Familie". Ich glaube, dass das mit ein Grund dafür ist, dass die Sichtbarkeit fehlt. Deswegen empfanden einige "lauwarm" auch als erstaunlich progressiv. Dass da jemand ganz offen über seine Bi- oder Pansexualität spricht und sagt: "Das gibt es auch. Und es ist nicht nur eine Phase. Und wenn es eine ist, dann hält die immer noch an". So viele Dinge können sich verändern, auch das Begehren. Wie wird das bei mir in zehn Jahren sein? Ich habe keine Ahnung, bin aber total neugierig und wahnsinnig gespannt, was da noch so auf mich zukommt in meinem Leben.

In deinem Debütstück "Irreparabel" waren die Protagonisten zwei Jungs mit Behinderung. In "Der fabelhafte Die" hast du dich mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt auseinandergesetzt. Womit willst du dich demnächst tiefer auseinandersetzen?

Unbedingt mit Nichtbinarität und Transidentität. Da fehlt es auch noch massiv an Sichtbarkeit.

Gibt es etwas, dass du der jungen Generation mitgeben möchtest?

Macht eure Erfahrungen, geht eurem Begehren nach und werft den normativen Ballast einfach über Bord.

Zur Person

Sergej Gößner wurde 1988 in Ludwigshafen geboren. Sein Debütstück "Irreparabel" war 2016 für den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert und wurde mit dem JugendStückePreis ausgezeichnet. "Wegklatschen. Applaus für Bonnie und Clyde" wurde im Rahmen des Festivals "Kaas & Kappes" mit dem 22. niederländisch-deutschen Kinder- und Jugenddramatikerpreis prämiert. Sein Stück "lauwarm" erhielt den Berganus-Preis und war auf der Shortlist des Brüder-Grimm-Preises des Landes Berlin. "Die überraschend seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe" stand auf der Auswahlliste für den Deutschen Kindertheaterpreis 2020. Er engagiert sich für die Anerkennung des Kinder- und Jugendtheaters. Als Schauspieler war er u.a. am Staatstheater Wiesbaden, am Tiroler Landestheater Innsbruck und zuletzt am Jungen Schauspielhaus Hamburg engagiert.
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