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Jetzt in der ARD-Mediathek
How to be a Stereotype
Die neue ARD-"Comedy"-Serie "How to Dad" lebt von der Idee, dass es lustig sei, vier Männer Ballett tanzen zu sehen. Die Stereotypisierung der Figuren macht auch vor dem schwulen Charakter keinen Halt.

Nicht viel mehr als Karikaturen (v.l.n.r.): Berti (Patrick Güldenberg), Alexander (Vladimir Burlakov), Sami (Ugur Kaya) und Roman (Helgi Schmid) studieren in "How to Dad" einen Väter-Tanz ein (Bild: ARD Degeto / Bernd Schuller)
10. Juni 2022, 06:05h 6 Min. Von
Dass wir uns mittlerweile im Jahr 2022 befinden, könnten Zuschauer*innen der neuen Serie "How to Dad", die seit heute exklusiv in der ARD-Mediathek verfügbar ist, stellenweise vergessen. Wie bahnbrechend ist es, vier Männer in ihren 30ern Ballett tanzen zu sehen? Ist das in der heutigen Zeit tatsächlich noch etwas, das einer "komödiantischen" Behandlung bedarf? Laut Grimme-Preisträger Richard Kropf ("Four Blocks") und Anneke Janssen, die das Drehbuch von einer israelischen Produktion adaptierten, wohl schon.
Im Zentrum der fünf halbstündigen Episoden stehen vier Väter, einer von ihnen ein schwuler Stay-at-Home-Dad, die ihre Kinder zum Ballett-Unterricht bringen. Während die (Stereo-)Typen pro Folge auf das Ende der Tanzklasse warten, tauschen sie sich zu verschiedenen Themen aus – vom Dad Bod über Geschlechteridentitäten bis hin zu Lingam-Massagen – und enden irgendwie bei dem Plan, einen Vater-Kind-Tanz auszurichten. Das ist in Bezug auf Ballett, einer Tanzrichtung, die gesellschaftlich primär cis-weiblich oder mit schwulen Männern assoziiert wird, in der Serie etwas Lustig-Peinliches.
90er-Sitcom-Vibes
Als 1994 die Kultserie "Friends" anlief, schrieb sie bereits in ihrem ersten Jahr Geschichte, als sie die erste lesbische Hochzeit im US-Fernsehen zeigte. In den knapp drei Dekaden seit ihrer Uraufführung ist die Sitcom schlecht gealtert. Insbesondere jüngere Generationen finden die Serie angestaubt ob ihrer Homo- und Transfeindlichkeit, ihres Sexismus', ihrer Misogynie, ihres Rassismus' und ihrer toxischen Männlichkeit, um nur einige Kritikpunkte zu nennen.
Klingt gestrig? In "How to Dad" sind sie bisweilen die Gegenwart. Es fühlt sich stellenweise so an, als würden wöchentlich zwei Ross und zwei Chandler – die mit Abstand fragil männlichsten Charaktere der US-Sitcom – aufeinandertreffen, um ihre Maskulinität unter Beweis zu stellen. Dabei darf natürlich keiner der vier Väter zugeben, dass er in der Privatsphäre der eigenen Wohnung doch ganz gerne mal das Tanzbein schwingt. Ist ja irgendwie unmännlich und daher peinlich, was wiederum… lustig ist?
Stereotyp: Minderheit
Ebenfalls gemeinsam mit dem Aufbau von US-amerikanischen Sitcoms hat "How to Dad" die Stereotypisierung ihrer Charaktere. Dabei erinnert der schwule Vater Berti (Patrick Güldenberg) an den spießigen Mitchell aus "Modern Family". Wie auch in der US-Serie, ist der schwulen Figur in "How to Dad" keine sexuelle Ausgeglichenheit oder Intimität mit seinem Partner vergönnt. Er kommt vielmehr wie eine Parodie einer frigiden Figur daher, wie in US-Sitcoms oft die Frau des übergewichtigen Familienoberhaupts dargestellt wird. Aber auch die anderen Charaktere der ARD-Serie sind sehr eindimensional.

Sex- und humorlos, unzufrieden und belehrend: Patrick Güldenberg spielt den schwulen Vater Berti (Bild: ARD Degeto / Bernd Schuller)
So gibt es Sami (Ugur Kaya), der als Deutschtürke prollig, homophob, sexistisch und durch inflationären Gebrauch von "Digga" und "Alter" als Klischee skizziert wird. Die anderen drei Männer sind zu Beginn eingeschüchtert von Sami aufgrund seines Aufsehens. Dieser latente Rassismus soll unterhalten.
Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen sagt Sami, dass Berti als Name irgendwie schwul klinge. Er beschließt daher Berti, der mit bürgerlichem Namen Albert heißt, Ali zu nennen, was wiederum Berti blöd findet. Weil der Name türkisch ist? Es wird nicht weiter eruiert, aber die mal mehr, mal weniger subtilen gegenseitigen Vorurteile bzw. Diskriminierungen werden für Lacher gespielt.
Stereotyp: Job
Dann gibt es noch den Influencer Roman (Helgi Schmid), der an Joey von "Friends" erinnert. Er wird als dümmliches und leichtgläubiges Mann-Kind inszeniert, der bei dem Wort bilingual an Cunnilingus denkt. Er ist von den vieren der mit den wenigsten Vorurteilen, auch wenn er Sami schnell glaubt, dass er weder lesen noch schreiben kann und Drogenhandel betreibt. Dieser "Witz" eignet sich natürlich bei dem Deutschtürken am besten.
Vierter im Bunde der Stereotypen-Quadriga ist Alexander, der vom schwulen Schauspieler Vladimir Burlakov gespielt wird. Er mimt einen Startup-CEO, der sich ein Sabbatical gönnt. Sein zwanghafter Ehrgeiz stellt noch den von Monica Geller aus "Friends" in den Schatten, und die Startup-Klischees sind vermutlich die ersten beiden, die bei einer halbherzigen Google-Suche auftauchen: übermäßiger Gebrauch von Anglizismen und eine Daunenweste überm Hoodie.

Vladimir Burlakov mimt einen Startup-CEO, der sich ein Sabbatical gönnt (Bild: ARD Degeto / Bernd Schuller)
Improvisation(stheater)
Burlakov äußerte in einem Interview für die ARD, dass er sich kaum an eine Szene während des Drehs erinnern kann, die er nicht lustig fand. "Da wir mit Jakob so viel improvisieren durften, kamen wir teilweise aus dem Lachen gar nicht mehr raus", ließ er verlauten. Es ist zum einen möglich, dass wenige bis keine dieser Szenen es in das finale Produkt geschafft haben. Es kann allerdings auch sein, dass Momente wie der, als sein Charakter sich den Rücken ausrenkt und bäuchlings auf einem Hocker liegt, während Roman hinter ihm steht und es aussieht, als würde er Alexander penetrieren, die Höhepunkte des Humors darstellen, die in der ARD gezeigt werden.
In Nebenrollen sind noch Nikeata Thompson als zickig gezeichnete Tanzlehrerin Theresa, die stets einen kessen Spruch auf den Lippen hat, und Aceyla Sezer als Sema, die Tochter von Sami, die an der Getränketheke der Tanzschule arbeitet, zu sehen. Thompsons Figur hängt in ihrer Eindimensionalität den männlichen Hauptdarstellern in nichts nach. Einzig Sezer stellt einen Lichtblick dar in einer Serie, in der das Schauspiel leider hölzern bis parodierend wirkt. Sie spielt die süffisante Teenagerin Sema, die ihren Vater und die anderen Männer gerne auflaufen lässt, sehr authentisch. Einen der wärmsten Momente der Serie gibt es zwischen ihr und Roman. Letzterer wird von den anderen Männern für seine etwas dümmliche Art aufgezogen und zieht sich beschämt ins Badezimmer zurück. Es ist Sema, die ihn aufsucht, ihm gut zuredet und eine Umarmung schenkt.
Der schwule Moralapostel
Ein gewisses Publikum mag das "nörgelige Bestehen" auf richtige Pronomen, das Erwähnen der Gender-Identitäten, sowie eine gewisse Sensibilität in Bezug auf diese Themen mit queeren Menschen assoziieren. Durch Berti wird diese Annahme in den insgesamt zweieinhalb Stunden der ersten Staffel von "How to Dad" befeuert.
Er kommt weniger wie eine Figur rüber, der es tatsächlich eine Herzensangelegenheit ist, seine zwei Kinder genderneutral zu erziehen und in männlich und weiblich assoziierten Freizeitaktivitäten ausprobieren zu lassen, um selbst herauszufinden, wo sie sich am wohlsten fühlen. Vielmehr wirkt er wie eine Karikatur einer "woken Snowflake", die die anderen drei Männer auf ihre sprachlichen Unzulänglichkeiten belehrend hinweist. Sympathisch sieht anders aus. Zudem kann man sich Zuschauer*innen förmlich vorstellen, wie sie einander zunicken und murmeln: "So sind sie, die Schwulen."
"Friends" wurde erst Dekaden nach seiner Erstausstrahlung als kritisch rezipiert. In den 1990ern öffnete die Serie mit der Hochzeit von Carol und Susan und ihrer Beziehung – wenngleich nicht selten als Teil eines Witzes – in Sachen queere Repräsentation neue Türen. "How to Dad" hingegen wirkt schon am Tag der Veröffentlichung überholt.

Links zum Thema:
» "How to Dad" in der ARD-Mediathek
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» auf sissymag.de
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