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RTL-Nachtjournal Spezial

Bewegender Hilferuf aus Katar: "Wir haben existenzielle Angst vor Bestrafung und Tod"

Als erster Katarer hat Nas Mohamed im Mai sein Schwulsein öffentlich gemacht – der Mediziner konnte den Schritt wagen, da er Asyl in den USA erhielt. Nun hat RTL queere Einheimische vor die Kamera bekommen.


Nas Mohamed stellt sich auf Instagram als "First out LGBT Qatari" vor (Bild: dr._nass / instagram)
  • 19. Juni 2022, 16:27h 8 5 Min.

Im November steigt die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Der Wüstenstaat präsentiert sich in der PR weltoffen, die FIFA möchte den Fußball in den Vordergrund stellen. Doch das Emirat steht wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen seit Jahren in der Kritik. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind verboten und können mit Auspeitschen, mehrjährigen Freiheitsstrafen und theoretisch sogar dem Tod geahndet werden. Doch welchen Schikanen queere Menschen in Katar tagtäglich ausgesetzt ist, dringt nach wie vor nur selten nach außen.

Das ändert sich langsam. In einem Interview mit dem britischen Sender BBC outete sich Nas Mohamed im Mai als erster Katarer als schwul. Der Mediziner konnte diesen Schritt wagen, weil er seit mehreren Jahren in den USA lebt, wo er Asyl erhielt. "Ich bin sicherlich nicht der erste und schon gar nicht der einzige schwule Katarer, wie manche es gern darstellen", sagte Mohamed dem Berliner "Tagesspiegel" (Bezahlartikel). "Ich kenne queere Personen, die aktuell noch in Katar leben."

Die Entscheidung, sich auch gezielt gegenüber seinem Herkunftsland zu outen, habe sich vor einem Jahr herauskristallisiert. "Der Grund ist, dass in Katar Menschenrechtsverletzungen stattfinden und nun zur Fußball-WM die ganze Welt vorbeikommt, gemeinsam feiert – und nichts sagt. Das wirft uns weit zurück", so Nas Mohamed. "Ich habe mit vielen lesbischen, trans und schwulen Katarern gesprochen und ihre Erfahrungen gesammelt. Anschließend habe ich den Kontakt zu ihnen abgebrochen, um sie zu schützen, und will ihre Geschichten nun sichtbar machen."

Er sei die "sicherste Person dafür", erklärte der Mediziner im Gespräch mit dem "Tagesspiegel": "Denn ich habe eh schon alles verloren: meine Staatsbürgerschaft, meine Familie, und ich werde nie mehr zurückkehren. Ganz im Gegensatz zu all den anderen, die noch in Katar leben und damit einer großen Gefahr ausgesetzt sind."

RTL-Reportage "Rote Karte statt Regenbogen"

Genau diese Menschen stehen im Mittelpunkt der RTL-Reportage "Rote Karte statt Regenbogen – Homosexuelle in Katar". Den Reportern Jonas Gerdes und Timo Latsch ist es erstmals gelungen, queere Katarer*innen vor der Kamera zur gefährlichen Lage in ihrer Heimat zu befragen. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und weitreichender Überwachungsmöglichkeiten der Regierung kommunizieren die Einheimischen zum Teil nur mit Hilfe von Codewörtern über ihre Sexualität, die Vorgespräche mit den Reportern fanden über verschlüsselte Messenger-Dienste statt. Zum Interview erscheinen sie an geheimen Orten in Europa und Asien.

Auszüge aus der Reportage wurden queer.de vorab zur Verfügung gestellt. "Wir haben existenzielle Angst vor Bestrafung und Tod", berichtet etwa ein schwuler Katarer über die systematische Diskriminierung in seinem Land. "Denn was wir in unserer Jugend gelernt haben, ist, dass Schwulsein eine Verirrung ist, nichts Natürliches."


Die Interviewpartner*innen zeigen aus Sicherheitsgründen natürlich nicht ihr Gesicht, auch die Stimmen wurden nachgesprochen (Screenshot RTL)

Berichte über die Frustration unterdrückter Liebe sowie traumatische Szenen der offenen Schikane durch staatliche Behörden gehören zu den vielen bewegenden Erzählungen, die während der Reportage festgehalten wurden. "Ich will nicht alt werden, ohne jemanden an meiner Seite zu haben. Wenn ich mit meiner Familie in einer Mall bin und ein Ehepaar sehe, das Händchen hält, dann kommt extremer Frust, Wut und Neid in mir auf", erzählt einer der Einheimischen.

"Das Schlimmste ist, wenn ich reise und dann nach Katar zurückkomme und durch den Zoll muss", schildert zudem eine transsexuelle Katarerin. "Sie brachten mich zur Polizeiwache und rasierten meinen Kopf. Nach ein paar Stunden ließen Sie mich gehen. Als das passierte, verlor ich jegliche Hoffnung in das System. Diese Menschen sollen uns beschützen, aber sie tun das komplette Gegenteil."

Timo Latsch wird nicht aus Doha berichten

Jonas Gerdes und Timo Latsch haben bereits seit Januar recherchiert, um das Vertrauen von queeren Katarer*innen zu gewinnen. "Ich bin erschüttert, wie dramatisch die Lage für sie im WM-Land wirklich ist", kommentiert Gerdes die Ergebnisse. "Offiziell bekennt sich die FIFA zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein, in Katar tut sie das bislang zu wenig."


Jonas Gerdes (l.) und Timo Latsch haben ein halbes Jahr an der Reportage gearbeitet (Bild: RTL)

Timo Latsch, stellvertretender Ressortleiter Sport bei RTL News, zieht sogar persönliche Konsequenzen und wird zum ersten Mal seit 2006 nicht als Reporter zur Fußball-WM reisen. "Ich kann nicht ernsthaft in Doha darüber berichten, ob Hansi Flick mit Dreier- oder Viererkette spielen lässt und gleichzeitig werden nebenan Schwule und Lesben weggesperrt", begründet Latsch seine Entscheidung gegenüber queer.de. "Ich wünsche mir, dass durch unsere Recherche der Druck auf das Regime in Katar wächst, damit die Situation der LGBTI-Community sich verbessert. Und zwar nachhaltig und nicht nur während der WM."

In der Reportage "Rote Karte statt Regenbogen – Homosexuelle in Katar" zu Wort kommen neben den queeren Katarer*innen auch der Direktor der deutschen Nationalmannschaft Oliver Bierhoff, der Geschäftsführer des WM-Organisationskomitees Nasser AL-Khater, FIFA-Präsident Gianni Infantino, der ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann, Wolfgang Büttner von Human Rights Watch und der Initiator der Petition "Liebe kennt keine Pause" Benjamin Nassler. Auch der der erste offen schwule Katarer Nas Mohamed ist natürlich dabei.

RTL zeigt die Sendung in der Nacht auf den 23. Juni 2022 um 0.20 Uhr erstmals in Gänze in einem RTL-Nachtjournal Spezial sowie in weiteren Auszügen in den Nachrichten und Magazinen von RTL/ntv. Eine Wiederholung ist am 23. Juni um 15:40 Uhr in einem "News Spezial" bei ntv zu sehen. Im Anschluss ist die Reportage außerdem auf RTL+ abrufbar. Die Reportage ist Teil der "Woche der Vielfalt", in der RTL Deutschland vom 20. bis 26. Juni LGBTI-Themen in den Mittelpunkt stellt (queer.de berichtete). (mize/pm)

#1 Geldbeutel GianniAnonym
  • 19.06.2022, 16:34h
  • Wird die Herren Infantino und Neuendorf aber sicherlich zum Umden... oh, Moment, hier liegt kiloweise Geld rum, das kann man ja nicht liegen lassen.

    Ich wünschte wirklich, diese Verbände hätten endlich mal die nötigen Eier in der Hose und zögen die überfällige Notbremse für diese Verachtung von Menschenrechten, genannt Fußball-WM in Katar. Aber solange Geld über Menschenrechten oder Empathie überhaupt steht, wird das nichts. Und das macht solche Hilferufe umso unerträglicher :(
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#2 Ith_Anonym
  • 19.06.2022, 16:56h
  • Ah, Ergebnisse journalistischer Nutzung verschlüsselter Messenger-Dienste.
    In anderen Worten das, was Zensursula über die EU gerade abschaffen lassen möchte. Wenn nicht gleich Anbieter gesetzlich zum Umbau der eigenen App zu Spionage-Tools verpflichten, die dem Staat berichten, was auf dem Gerät so alles gespeichert ist, und zwar flächendeckend und anlasslos.

    Werden sicher goldene Zeiten für die Berichterstattung über staatliche Gewalt.
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#3 nichtbinärePersonAnonym
  • 19.06.2022, 17:11h
  • Null Uhr zwanzig. Wow.
    Ich denke, ich werde es nicht mehr erleben, dass solche Sendungen um 20.15 Uhr kommen.

    Und nein: es ist nicht dasselbe, wenn es eine Wiederholung auf einem Nachrichtensender zu einer Uhrzeit gibt, zu der viele bei der Arbeit sind. Und auch nicht, wenn das Ganze anschließend noch in einem Bezahl-Streamingportal abrufbar ist.

    Aber so kann man halt sagen: Wir haben ja was gemacht. Sogar ein heikles Thema angepackt. Nur halt nicht zu Zeiten, wo es die Meisten sehen würden - um uns die Quoten nicht zu verhageln.

    Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
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