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Norwegen

Zwei Tote, zahlreiche Verletzte: Anschlag auf queeren Club in Oslo

Vor Norwegens größtem LGBTI-Club, dem "London Pub" in Oslo, feuerte ein Mann in der Nacht zu Samstag rund 20 Schüsse auf Gäste ab. Inzwischen ermittelt die Polizei wegen Terrorismus.


Der "London Pub" und der darüber liegende "London Club" befinden sich in einer belebten Straße im Zentrum von Oslo (Bild: Sotiri Dimpinoudis / twitter)
  • 25. Juni 2022, 03:28h 53 7 Min.

Am CSD-Wochenende wurde in der norwegischen Hauptstadt Oslo der queere "London Pub" angegriffen. Bei dem Anschlag in der Nacht zu Samstag um kurz nach ein Uhr kamen zwei Menschen ums Leben, 21 wurden verletzt und im Krankenhaus bzw. vor Ort notärztlich versorgt. Es habe zehn Schwerverletzte gegeben, so die Polizei, aber es kämpfe niemand mehr um sein Leben.

Der Tatverdächtige wurde nach einer versuchten Flucht in der Nähe des Tatorts festgenommen, er war von mehreren Menschen festgehalten worden. Am Morgen gab die Polizei bekannt, der Vorfall werde als Terrorismus untersucht. Später war von Verdacht auf "islamistischen Terrorismus" die Rede.


Der "London Pub" ist seit den 1970er Jahren eine queere Institution in Norwegen (Bild: Visit Norway)

Der LSVD hat für Samstagabend um 21 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung am Brandenburger Tor aufgerufen. In Frankfurt am Main findet um 16 Uhr eine Kundgebung am Frankfurter Engel statt. "Diese Tat ist ein Hassverbrechen, mitten in einem safe space für queere Menschen", erklärte LSVD-Vorstandsmitglied Henny Engels am Nachmittag in einer Pressemitteilung. "Unsere Gedanken sind bei den Verwundeten und Angehörigen."

Ein Augenzeuge berichtete gegenüber lokalen Medien, dass sich ein Mann mit einer Tasche dem "London Pub" genähert, eine Waffe herausgeholt und angefangen habe zu schießen. Insgesamt sollen rund 20 Schüsse abgefeuert worden sein, worauf eine Panik ausbrach. Die Umgebung des Clubs wurde abgesperrt.

Twitter / sotiridi
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Der "London Pub" im Erdgeschoss und der "London Club" in der darüber liegenden Etage sind seit über 50 Jahren queere Institutionen in Norwegen. Am heutigen Samstag sollte die Parade zum Oslo Pride stattfinden. Am Morgen sagten die Verantwortlichen alle Veranstaltungen ab, nach "klaren Hinweisen und Empfehlungen" der Polizei. Man werde bald wieder "proud" und sichtbar sei, so der CSD. Heute gingen die Gedanken und Liebe an die Betroffenen und ihre Angehörigen.

Oslo Pride har fått tydelig råd og anbefaling fra politiet om at paraden, Pride park og andre arrangementer i...

Posted by Oslo Pride on Friday, June 24, 2022
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Islamistisches Motiv vermutet

Laut dem norwegischem Sender NRK gibt es weitere Tatorte, auch der Jazzclub "Herr Nilsen" und ein Schnellrestaurant in unmittelbarer Nähe sollen angegriffen worden sein. Nach einer zunächst unübersichtlichen Lage geht die Polizei von einem Einzeltäter aus.

Die Wohnung des bereits wegen kleiner Vergehen polizeibekannten Mannes sei durchsucht worden, berichtete NRK in der Nacht. Am Samstagmorgen erklärte die Polizei, der Mann sei norwegischer Staatsbürger und stamme ursprünglich aus dem Iran. Der 42-Jährige werde vorläufig wegen Mordes, versuchten Mordes und Terrorismus angeklagt. Er habe sich bislang nicht geäußert.

Am Tatort habe man eine Schnellfeuerwaffe und eine Handwaffe sichergestellt, so die Polizei, es soll sich um ältere Waffen handeln. Es gebe Grund für die Annahme, dass es sich um ein Hassverbrechen handle, es werde aber weiter ermittelt, ob der Angriff gezielt dem queeren Club galt. Auch eine psychische Störung werde als Hypothese geprüft. Der Mann war in der Vergangenheit offenbar auch den Sicherheitsbehörden bekannt,

Die Stadtverwaltung von Oslo richtete einen Krisenstab ein. Bürgermeisterin Marianne Borgen will prüfen, ob weitere Maßnahmen ergriffen werden sollen.

Am Nachmittag hieß es, man gehe dem Verdacht auf "islamistischen Terrorismus" nach. Der festgenommene Verdächtige habe eine "lange Geschichte von Gewalt und Drohungen" aufzuweisen, sagte der Chef des norwegischen Inlandsgeheimdienstes, Roger Berg. Der Geheimdienst habe ihn seit 2015 auf dem Schirm, zum einen wegen seiner möglichen Radikalisierung, zum anderen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Islamisten-Netzwerk. Im vergangenen Monat sei er vernommen worden, doch seien die Ermittler dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass er keine "gewaltsamen Absichten" hege.

Ministerpräsident: "zutiefst schockierender Angriff auf unschuldige Menschen"

"Das ist ein schwerwiegender Vorfall. Er betrifft uns alle", erklärte Emilie Enger Mehl, die norwegische Ministerin für Justiz und Öffentliche Sicherheit, in einer Stellungnahme in der Nacht. "Dies geschah an einem Wochenende, wo viele Menschen unterwegs sind und eine gute Zeit miteinander verbringen wollen, und ich verstehe, dass sich viele jetzt unwohl und unsicher fühlen. Ich bin froh, dass die Polizei einen mutmaßlichen Täter festgenommen hat." Sie denke an die Toten, Verletzten und Betroffenen, so Mehl. Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Stoere sprach von einem "schrecklichen und zutiefst schockierenden Angriff auf unschuldige Menschen". Um 14 Uhr will die norwegische Regierung eine Pressekonferenz zum Anschlag geben.

König Harald V. forderte die Norweger*innen in einer Erklärung dazu auf, jetzt gut aufeinander aufzupassen. "Meine Familie und ich sind entsetzt über die nächtliche Schießerei im Zentrum von Oslo, bei der zwei Menschen getötet und viele verletzt wurden", teilte das Staatsoberhaupt mit. "Wir fühlen mit allen Angehörigen und Betroffenen und senden herzliche Gedanken an alle, die jetzt verängstigt, unruhig und in Trauer sind." Der König weiter: "Wir müssen zusammenstehen, um unsere Werte zu verteidigen: Freiheit, Vielfalt und Respekt füreinander. Wir müssen uns weiterhin dafür einsetzen, dass sich alle Menschen sicher fühlen."

Am Nachmittag besuchten Kronprinz Haakon von Norwegen und Ministerpräsident Jonas Gahr Støre den Tatort. Umringt von einer großen Menschentraube legten sie am Samstagnachmittag einen Blumenstrauß nieder, wie ein dpa-Reporter beobachtete. Auch Kronprinzessin Mette-Marit und mehrere Mitglieder der norwegischen Regierung waren vor Ort. Das Glockenspiel des Rathauses spielte "Somewhere over the Rainbow" in Anspielung auf die Regenbogenflagge als Symbol der queeren Szene.

Auch die Norwegische Kirche reagierte auf den Anschlag. "Wir denken an und beten für alle Betroffenen, diejenigen, die ihnen nahe stehen, diejenigen, die dies erlebten, und alle, die nun Angst haben, zu zeigen, wer sie sind, aufgrund der schrecklichen Ereignisse in Oslo letzte Nacht", heißt es in einem Facebook-Post.

In einer Stellungnahme auf Facebook nannte der "London Pub" den Anschlag "absolut schrecklich und das reine Böse". Alle Mitarbeiter*innen des Clubs seien sicher und körperlich unverletzt. "Unsere Gedanken gelten den Toten, Verletzten und Angehörigen", heißt es weiter in dem Post. "Passt in dieser Zeit aufeinander auf."

Reaktionen aus Deutschland

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich am Nachmittag tief betroffen. Der Anschlag gegen die queere Community erschüttere ihn zutiefst, schrieb der SPD-Politiker am Samstag auf Twitter. Seine Gedanken seien bei den Angehörigen; den Verletzten wünsche er eine rasche Genesung. "Das norwegische Volk kann sich unserer Anteilnahme gewiss sein. Der Kampf gegen den Terror eint uns."

Twitter / Bundeskanzler
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Der Angriff in Oslo mache sie "traurig", schrieb Bundesfamilienministerin Lisa Paus auf Twitter. "Mein Beileid gilt den Hinterbliebenen. Den Verletzten sende ich Genesungswünsche. Leider macht der Angriff deutlich, dass LSBTIQA* nie ganz sicher sein können. Um das zu ändern, setze ich mich gegen Diskriminierung und für Vielfalt ein."

Twitter / lisapaus
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Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann; sprach von "erschreckenden Nachrichten" aus Oslo. "Wie voller Hass muss man sein um auf Menschen zu schießen, nur weil die lieben wie sie lieben?", schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter. "Meine Gedanken und tiefes Mitgefühl sind bei den Opfern und Angehörigen dieser menschenfeindlichen Tat."

Twitter / svenlehmann

Mit einer Gedenkminute für die Opfer des Anschlags auf den "London Pub" hat die Linke am Samstag den zweiten Tag ihres Erfurter Parteitags begonnen. "Wir sind bestürzt und entschlossen zugleich. Wir denken an die Opfer und sagen gleichzeitig: queere Communities werden sich nicht aufhalten lassen, für Selbstbestimmung und Emanzipation zu kämpfen", erklärten Maja Tegeler, Mitglied des Parteivorstandes, und Daniel Bache, Bundessprecher von Die Linke.queer, zu dem Anschlag. Die Bundesregierung forderten sie auf, ihrer Ankündigung eines Nationalen Aktionsplans gegen LGBTIQ-Feindlichkeit "nun auch Taten folgen zu lassen".


Beim Bundesparteitag der Linken legten die Delegierten am Samstagmorgen eine Schweigeminute für die Opfer des Anschlags ein (Bild: Klaus Lederer / Facebook)

Der Angriff weckte Erinnerungen an frühere Anschläge: Vor zwei Jahren hatte ein Islamist in Dresden ein schwules Paar mit einem Messer attackiert und einen der Männer getötet (queer.de berichtete). 2016 hatte ein offenbar selbst radikalisierter Islamist einen Anschlag auf den queeren Club "Pulse" in Orlando im US-Bundesstaat Florida verübt und dabei 49 Menschen erschossen und 58 weitere verletzt (queer.de berichtete). 1999 starben bei einem Nagelbombenattentat auf den Londoner Schwulen-Pub "Admiral Duncan" drei Menschen und wurden 70 verletzt (queer.de berichtete). Der kurz danach gefasste Neonazi David Copeland hatte an den Wochenenden zuvor bereits Bombenanschläge verübt, die sich gegen die schwarze Community und Einwanderer aus Bangladesch richteten.

Der Bericht wurde mehrfach aktualisiert.

#1 PetterAnonym
  • 25.06.2022, 08:58h
  • Der Hass auf LGBTI nimmt weltweit zu. Selbst in liberalen Staaten.

    Wenn Politik, Wirtschaft, Justiz, Medien, Kultur und Gesellschaft jetzt nicht ganz schnell gegensteuern, wird das noch ein ganz böses Ende nehmen.
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#2 DaMauraAnonym
#3 Uwe_RAnonym
  • 25.06.2022, 09:28h
  • Ich persönlich finde die Pride-Absage sehr falsch. Denn dann hat man denn ursprünglichen Sinn der Veranstaltung verloren, nämlich für sich einzustehen und zu demonstrieren. Es ist nicht nur Party. Es hat einen ernsten Zweck.

    So hat doch der Attentäter sein Ziel mehr als erreicht. Schade.
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