https://queer.de/?42440
USA
Abtreibungsurteil gefährdet auch queere Rechte
Nachdem der Supreme Court das Recht auf Abtreibungen kassiert hat, könnten auch queere Rechte auf der Kippe stehen. Möglicherweise dürfen Staaten bald wieder Homosexualität unter Strafe stellen.
- Von
27. Juni 2022, 12:33h 5 Min.
Am Freitag hat der Oberste Gerichtshof der USA mit fünf zu vier Stimmen entschieden, dass es im Land kein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung gebe. Mit Dobbs v. Jackson Women's Health Organization kassierte der Supreme Court die Entscheidung Roe v. Wade aus dem Jahr 1973, die Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gegeben hatten. Die Entscheidung war weniger juristisch als politisch motiviert – die konservativen Richter*innen sprachen sich für die Aufhebung von Roe v. Wade aus – drei von ihnen waren von Donald Trump ernannt worden, zuletzt Amy Coney Barrett (queer.de berichtete). Dagegen votierten der als Vermittler geltende Chefrichter John Roberts und dir drei eher linksliberal eingestellten Mitglieder des Gerichts.
Die Entscheidung, die unter Linken und Frauenrechtler*innen zu scharfen Protesten führte und in gut der Hälfte der Bundesstaaten weitreichende Einschränkungen bei Abtreibungen bis zum Komplett-Verbot nach sich zieht, könnte Konsequenzen auch in anderen Bereichen haben. Immerhin hatte das Gericht 1973 das Recht auf Abtreibung mit dem 14. Zusatz der US-Verfassung begründet, der unter anderem Diskriminierung untersagt und die Privatsphäre des Einzelnen schützt. Mit diesem Grundsatz wurden auch die Urteile Lawrence v. Texas 2003 und Obergefell v. Hodges 2015 begründet. Lawrence führte zur Aufhebung der sogenannten Sodomiegesetze, mit denen homosexueller Geschlechtsverkehr in 14 Staaten unter Strafe gestellt war. Obergefell schaffte das Ehe-Verbot für gleichgeschlechtliche Paare ab, das damals immer noch in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten herrschte.
Richter Thomas droht bereits mit Rekriminalisierung von Homosexualität
Der von George H.W. Bush ernannte Clarence Thomas, einer der konservativen "Justices" am Supreme Court, argumentierte in einer neben dem Urteil veröffentlichten Stellungnahme, dass der Oberste Gerichtshof frühere Urteile wegen der jetzt geänderten Beurteilung des 14. Verfassungszusatz ebenfalls "überdenken" solle. Konkret nannte er dabei drei Entscheidungen: Das Urteil Griswold v. Connecticut, das verheirateten Paare das Recht auf Verhütungsmittel einräumt, sowie Lawrence und Obergefell. Es gilt als möglich bis wahrscheinlich, dass sich die drei Trump-Richter*innen sowie der von George W. Bush ernannte Samuel Alito dem Urteil von Thomas bei derartigen Fällen anschließen würden. Gerade zur Ehe für alle könnten konservative Bundesstaaten oder Organisationen die Anmerkung von Thomas ernst nehmen und geeignete Vorlagen schaffen, über die das Gericht entscheiden könnte.
|
Am Ende könnten die Richter*innen möglicherweise sogar Loving v. Virginia aus dem Jahr 1967, einen der Auslöser für die Bürgerrechtsbewegung, kassieren. Diese Entscheidung erklärte das Verbot von sogenannten "gemischtrassischen" (heterosexuellen) Ehen in großen Teilen der Südstaaten für verfassungswidrig – und ist das Vorbild für Obergefell. Allerdings gilt diese Aufhebung als unwahrscheinlich, weil Richter Thomas selbst ein schwarzer Mann ist, der mit einer weißen Frau verheiratet ist.
/ AP | Frauenrechtlerin Gloria Steinem erklärte, dass die USA keine Demokratie mehr seien, wenn Frauen nicht mehr Kontrolle über ihren eigenen Körper habenNow that the landmark 1973 decision granting a constitutional right to abortion has been overturned by the Supreme Court, some women worry about what that means for the progress women have made in public life in the intervening half-century. https://t.co/jw3FhEdkIl pic.twitter.com/KBDOWlmfYM
The Associated Press (@AP) June 26, 2022
|
Thomas gilt als höchst fragwürdiger Richter: Gegen ihm gab es bereits bei seiner Ernennung zum Obersten Gerichtshof 1991 Vorwürfe sexueller Übergriffe auf Frauen, denen aber damals kein Glauben geschenkt wurde. Zudem sorgte seine Ehefrau Ginni, eine rechtsgerichtete politische Aktivistin, zuletzt für Schlagzeilen, weil sie am Putschversuch vom 6. Januar 2021 beteiligt gewesen sein soll.

Clarence Thomas war 2003 und 2015 in der Minderheit, als er für die Beibehaltung des Homo-Verbots und des Ehe-Verbots für gleichgeschlechtliche Paare stimmte – jetzt haben sich die Mehrheitsverhältlnisse aber offenbar geändert (Bild: Steve Petteway / Supreme Court of the United States)
Eine Gefahr könnte auch sein, dass die konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof zementiert werden könnte. Ohnehin können Richter*innen praktisch nicht abgewählt werden, sondern scheiden nur durch Rücktritt oder Tod aus dem Gremium aus. Es gilt nun als wahrscheinlich, dass die Demokraten im Herbst die Zwischenwahlen verlieren und die Republikaner den Senat zurückerobern – dann könnte die Oppositionspartei neue Nominierungen blockieren, wie sie es schon im letzten Amtsjahr von Obama getan hatte. Sollten die Republikaner dann bei der Wahl 2024 das Weiße Haus zurückerobern, könnten sie ihre Mehrheit möglicherweise ausbauen.
Queere Organisationen besorgt
LGBTI-Aktivist*innen verurteilten die Roe-Abschaffung scharf. GLAAD-Chef Sarah Kate Ellis zog eine Parallele zwischen dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch und LGBTI-Rechten: "Das Anti-Abtreibungs-Strategiebuch und das Anti-LGBTQ-Strategiebuch sind ein und das selbe. Beide versuchen, uns die Kontrolle über unseren Körper zu entziehen und machen unser Leben gefährlicher. Beide teilen das Land in freie und weniger freie Menschen ein." Sie bezeichnete die konservativen Richter*innen am Supreme Court als "Extremisten".
/ sarahkateellisThe anti-abortion playbook and the anti-LGBTQ playbook are one and the same. Both are about denying control over our bodies and making it more dangerous for us to live as we are.
Sarah Kate Ellis (@sarahkateellis) June 24, 2022
|
Ein Ausweg aus der Krise scheint schwierig: Manche linke Politiker*innen wie Senator Bernie Sanders schlagen vor, den Filibuster im Senat zu beenden – damit könnten alle Gesetze mit einfacher Mehrheit statt mit einer Supermehrheit von 60 von 100 Stimmen durchgebracht werden. Das hätte zur Folge, dass Demokraten gesetzlich im gesamten Land das Recht auf Abtreibung schützen könnten. Das Problem: Derzeit verfügen die Demokraten zwar über eine hauchdünne Mehrheit, im November sind aber Wahlen und die Republikaner könnten laut Umfragen zur Mehrheitsfraktion werden.
/ BernieSandersOverturning Roe v. Wade and denying women the right to control their own bodies is an outrage and in defiance of what the American people want. Democrats must now end the filibuster in the Senate, codify Roe v. Wade, and once again make abortion legal and safe.
Bernie Sanders (@BernieSanders) June 24, 2022
|
Ein anderer Vorschlag lautet, dass die Demokraten das bislang neunköpfige Höchstgericht aufstocken könnten. Die Kandidat*innen werden vom Präsidenten ernannt und müssen vom Senat bestätigt werden. Hintergrund ist, dass nirgendwo festgelegt ist, wie viele Richter*innen am Supreme Court Recht sprechen können. Diesen Vorschlag brachte etwa die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ins Spiel. Hier gibt es das selbe Problem: Sollten die Republikaner bald die Kontrolle des Parlaments und 2024 sogar des Weißen Hauses erlangen, könnten sie noch mehr queerfeindliche Parteisoldat*innen an den Supreme Court entsenden.
/ AOC- Restrain judicial review
Alexandria Ocasio-Cortez (@AOC) June 26, 2022
- Expand the court
- Clinics on federal lands
- Expand education and access to Plan C
- Repeal Hyde
- Hold floor votes codifying Griswold, Obergefell, Lawrence, Loving, etc
- Vote on Escobars bill protecting clinics
We can do it!
We can at least TRY















