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WDR-Doku
"Die Story": Transphobe "Expert*innen" gegen trans Jugendliche
Die Dokureihe "Die Story" gibt vor, den "schwierigen Weg ins eigene Geschlecht" zu zeigen, arbeitet jedoch mit Pseudo-Expert*innen und einer transfeindlichen Aktivistin daran, ihn noch schwieriger zu machen.

ARD Mediathek) Sabeth erzählt in "Die Story" vom Leidensweg ihrer Transition und Detransition. Im Netz macht sie aber Stimmung gegen trans Menschen (Bild: Screenshot /
29. Juni 2022, 16:59h 15 Min. Von
Am Montag startete die Petition der Kampagne "Trans Medien Watch", in der problematische Tendenzen aktueller Medienberichterstattung zum Thema Transgeschlechtlichkeit kritisiert werden (queer.de berichtete). Ein Beispiel für eine solche Darstellung läuft am Mittwochabend im WDR: Die Reihe "Die Story" widmet sich unter dem Titel "Trans*: Der schwierige Weg ins eigene Geschlecht" weniger dem Thema als Ganzem, sondern der Transition von Kindern und Jugendlichen im Speziellen – und dort prominent denjenigen Stimmen, die gegen solche Transitionen seit Jahren anschreien.
Vorne mit dabei: Statements des Kinder- und Jugendpsychiaters Alexander Korte und der Publizistin Alice Schwarzer, die auch im Text der Petition als immer wieder für sogenannte False-Balance-Darstellungen genutzte Stimmen aufgeführt sind. Die werden so im Film neben die positiven Beispiele von von ihren Eltern unterstützten Jugendlichen geschnitten, dass ein fataler Eindruck entsteht. Nämlich der, als könne die Transition ein Kind entweder vor lebenslangem Leid bewahren – oder es genau so gut erst in ein solches Leid stürzen.
Transfeindliche Expert*innen neben Betroffene geschnitten
Zwar beginnt der Film mit den Jugendlichen Leon, Julana und Noah und zeigt deutlich, wie schlimm sich das Leben vor der Transition für die Dargestellten angefühlt hat. Doch schon nach wenigen Sekunden spitzen die Erzählung und die gezeigten Bilder reißerisch auf geschlechtsangleichende Operationen und die Gabe von Hormonen zu.
Die Organisationen, die die Trans-Medien-Watch-Petition ins Leben gerufen haben, störten sich unter anderem an einer Berichterstattung, die für transgeschlechtliche Menschen entwürdigend ist, durch hinzugezogene "Expert*innen" haltlose Ängste schürt und durch die die Existenz transgeschlechtlicher Personen zur Debatte gestellt wird. Zu oft werde dazu auf fragwürdige Quellen zurückgegriffen, die zwar "schlagzeilentauglich", jedoch wissenschaftlich sehr umstritten seien. Solche Einzelmeinungen würden jedoch verhältnismäßig große Aufmerksamkeit erhalten und somit den Eindruck einer falschen Ausgewogenheit erzeugen.
Genau so ist es auch im "Die Story"-Film. So darf hier etwa Alexander Korte die Behauptung aufstellen, dass den Fachleuten ein substantieller Anteil an Patient*innen vorgestellt würde, die sich "von jetzt auf gleich, von heute auf morgen, als trans outen". Das wiederum seien überwiegend Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren – und zwar ohne, dass es vorher Hinweise darauf gäbe, dass die Jugendlichen in ihrer Kindheit an einer Geschlechtsdysphorie gelitten hätten.
Der Arzt und Therapeut bekommt, zusammen mit anderen Bedenkenträger*innen, ähnlich viel Sendezeit wie die Jugendlichen und sie unterstützende Standpunkte. Nur können Besuche bei der Endokrinologin oder Aufnahmen vom Kuscheln mit der Mama die Zeit natürlich weniger dicht befüllen wie beinharte Argumente gegen Pubertätsblocker und Co.
Plötzliche Geschlechtsdysphorie?
Was Korte im Film nicht sagt, ist, dass er an anderer Stelle immer wieder die These einer angeblichen "Rapid Onset Gender Dysphoria" (ROGD) vertritt, also einer Geschlechtsdysphorie mit rapidem oder plötzlichem Auftreten. Zuletzt tat er das etwa im Mai in einem "taz"-Interview.
Dabei haben sich maßgebliche Fachvereinigungen wie die American Psychological Association, die American Psychiatric Association und viele andere immer wieder dagegen ausgesprochen, die Idee einer ROGD fachlich zu verwenden. Die erweckt zudem den Anschein einer Diagnose, ohne eine zu sein. Die wissenschaftlichen Belege durch reputierte Forscher*innen für ein solches Phänomen fehlen schlicht.
Eine 2021 im Journal of Pediatrics erschienene Studie hat die hinter dem Konzept ROGD stehenden Behauptungen wie diejenige untersucht, dass die betreffenden Jugendlichen in Wahrheit mentale Probleme hätten und sich durch Online-Kontakte mit transgeschlechtlichen Jugendlichen und Erwachsenen von der Idee "anstecken" ließen, trans zu sein. Ergebnis: Belege für die Behauptung lassen sich nicht finden.
Das kann schwerlich verwundern, schließlich geht der Begriff auf eine Forscherin zurück, die im Jahr 2016 in der Community dreier Anti-Trans-Websites Studienteilnehmer*innen rekrutierte. Die berichteten dann scheinbar neutral von ihren Erfahrungen als Eltern urplötzlich transgeschlechtlich gewordener Kinder – ein Vorgehen, das Kolleg*innen als unseriös und verzerrend brandmarkten.
Die Epidemiologin Dr. Arjee Restar, eine Kollegin der Forscherin an der selben Universität in Rhode Island in den USA, kritisierte zudem die Nutzung des Begriffs der Ansteckung im ROGD-Konzept. Dies suggeriere fälschlicherweise, dass es sich bei Transgeschlechtlichkeit um eine Infektionskrankheit handele. Um die zwischenzeitlich zurückgezogene und überarbeitete Studie entstand schließlich eine große Kontroverse.
Mutter ohne Kind
Die Idee eines urplötzlichen Auftretens von Transgeschlechtlichkeit passt zur ebenfalls im Film vorgestellten, anonym bleiben wollenden Mutter Anna. Aus dem Off heißt es zu ihr: "Sie und ihr Mann können nicht nachvollziehen, warum sich ihre Tochter [sic!] ganz plötzlich als Trans-Junge geoutet hat".
Anna erzählt, dass sie fast 14 Jahre gar nicht an so etwas wie Transgeschlechtlichkeit gedacht habe, weil sie mit ihrem Kind einfach ein "normales Mädchen" zuhause gehabt hätte. Das habe mit Mädchen gespielt, "Mädchensendungen" geschaut und "Mädcheninteressen" gepflegt. Das Kind habe nie ein Verhalten an den Tag gelegt, das man "im weitesten Sinne als männliches Interesse bezeichnet hätte".
Aus dem Off, als reiche allein die Infragestellung der Mutter dazu aus, die Transgeschlechtlichkeit des Kindes als widerlegt zu behandeln, heißt es dazu: "Wollte sie aus der verhassten Mädchenclique ausbrechen? Oder was steckt dahinter?"
Doch anders als bei Anna und den Filmemacher*innen scheinen das Kind und seine Identität in dessen Umfeld angenommen zu werden: "Schule, Psychotherapie, Freunde: Überall kommt es gut an, dass sich Annas Tochter nun als Junge sieht." Ein Weg zurück werde "immer unwahrscheinlicher", wie weiter via Off erklärt wird. Aber: Stammt diese Information von dem transgeschlechtlichen Kind selbst, oder wird hier nicht eher vom Groll einer Mutter erzählt, die die Transgeschlechtlichkeit des eigenen Kindes nicht akzeptieren will?
Tatsächlich leiden transgeschlechtliche Kinder und Jugendliche statistisch betrachtet unter erheblichen Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen. Die Chancen sind also hoch, dass Anna und ihr Mann schon geringfügiges Nichtvorhandensein von Widerstand gegen die Transition des Kindes oder eine Akzeptanz von gewählter Rolle, neuem Namen oder Pronomen als "gut ankommen" interpretieren. Immerhin darf auch Alice Schwarzer im Dokufilm ihre altbekannte Leier erzählen, wonach es sich bei Transgeschlechtlichkeit um etwas angesagtes, um einen Trend, um einen "regelrechten Hype" handele.
Doch spätestens bei der Behauptung, die Transgeschlechtlichkeit des Kindes komme in der Psychotherapie "gut an", hätten die Filmmacher*innen aufhorchen müssen. Denn es ist nicht die Aufgabe von psychologischen Psychotherapeut*innen, dass irgend ein Thema ihrer Patient*innen "gut" oder "schlecht" bei ihnen "ankommt". Überhaupt begleiten Psychotherapeut*innen im besten Falle Klient*innen dabei, sich über sich selbst klarer zu werden, Leidensdruck zu mindern und bessere Entscheidungen im Leben zu treffen. Es sind eben nicht die Therapeut*innen, die diese Entscheidungen für ihre Klient*innen treffen.
Was etwa die Frage nach der rechtlichen Anpassung des Namens und des eingetragenen Geschlechts angeht, hat erst kürzlich die Bundespsychotherapeutenkammer eine Resolution verabschiedet, die das Vorhaben der Ampelkoalition, ein Selbstbestimmungsgesetz zu verabschieden, unterstützt (queer.de berichtete). In der Kammer sind alle in Deutschland praktizierenden psychologischen Psychotherapeut*innen sowie die Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen vertreten.
Das Selbstbestimmungsgesetz hätte zur Konsequenz, dass Therapeut*innen nicht mehr via Gesetz als Gatekeeper*innen gegen transgeschlechtliche Menschen eingesetzt werden. Die Entscheidungen wie die Änderung des Namens werden dadurch an die Menschen und, gegebenenfalls, an ihre Eltern zurück gegeben. Das Beispiel zeigt nicht nur erneut den fachlichen Konsens, sondern auch das Selbstverständnis von guten Psychotherapeut*innen: Um gut und ergebnisoffen – in jede Richtung! – therapeutische Unterstützung rund um solche Fragen leisten zu können, darf es eben nicht davon abhängen, wie die Transgeschlechtlichkeit bei ihnen "ankommt".
Im Resolutionstext der Therapeut*innen heißt es dazu, das "Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität" umfasse "das Recht auf Selbstbestimmung der individuellen Identität und auf deren äußere Darstellung", damit auch "den Schutz vor einer als falsch empfundenen Fremdzuordnung des Geschlechts". Und das gilt eben völlig unabhängig von der Frage, ob ein Mensch sich später gegen den Transitionswunsch entschließt oder entschließen könnte.
Denn umgekehrt darf es überhaupt erst als Voraussetzung dafür gelten, dass Jugendliche freie und gute Entscheidungen in die eine oder andere Richtung treffen, wenn ihre Entscheidungen dann auch auf Respekt stoßen. Im Film beschwert sich Anna jedoch bereits darüber, dass Fachleute die geäußerte Geschlechtsidentität eines Kindes auch in die eigene Sprache einfließen lassen, statt dagegen anzureden.
Wo ist das Kind da hinein geraten?
Die Mutter des im Film nicht mit eigener Stimme sprechenden, transgeschlechtlichen Kindes erzählt, sie habe Angst davor, dass sich das Kind "weiter entscheidet, weiter da rein gerät, dass das Kind sich operieren lässt oder Hormone nimmt und irgendwann merkt, dass das die falsche Entscheidung war". Doch wo hinein ist Annas Kind da plötzlich, ohne jede Vorankündigung, "geraten"?
Die Vorstellung, "echte" transgeschlechtliche Kinder würden bereits in jungen Jahren geschlechtsatypisches Verhalten zeigen und in einen unübersehbaren Konflikt mit erwarteten Rollen rutschen, entspringt gar nicht dem wissenschaftlichen Stand. Es handelt sich vielmehr um eine populäre Erzählung, die nur auf einen Teil der Kinder zutrifft.
Viele andere zeigen in der Kindheit das weit verbreitete, mehrdeutige geschlechtliche Verhalten oder erleben ihr inneres Coming-out selber erst im Jugendalter. Für sie kommt die Erklärung für ihre Gefühle, transgeschlechtlich zu sein, also genau so "plötzlich" wie für die Eltern im Modell der Rapid Onset Gender Dysphoria – und für die meisten Eltern.
Aber kann es nicht umgekehrt auch genau so sein, dass Kinder sehr früh die Botschaften ihrer Eltern erspüren, ob die das Erkunden der eigenen geschlechtlichen Identität dulden würden? Oder, ob es für sie nicht vielleicht besser wäre, den vergeschlechtlichten Wünschen der Eltern hinsichtlich des Rollenverhaltens zu entsprechen und widerstrebende Impulse still zu stellen?
Tatsächlich suggerieren sowohl die Erzählungen der Mutter als auch die im Film drumherum gruppierten Expert*innenstatements, dass die umstrittene Transgeschlechtlichkeit von Annas Kind irgendwie "von außen" gekommen sein muss und darum nicht als authentischer Ausdruck des Charakters akzeptiert werden dürfe. Man könnte den Abschnitt mit der anonymen Mutter Anna also auch als klassisches Henne-Ei-Problem begreifen, bei dem bereits in der Ausgangsannahme steckt, was am Ende gezeigt werden soll: Annas Kind ist nur "scheinbar" trans.
Natürlich kann alles auch ganz anders gewesen sein. Aber Annas Erzählungen passen eben gut in die Rahmenerzählung eines Films, der mit wenig seriösen Motiven gegen die Rechte transgeschlechtlicher Kinder arbeitet. Sich aber frei über solche Themen informieren zu können und über das Internet Kontakt zu anderen transgeschlechtlichen Jugendlichen aufzunehmen, gehört zu eben jenen unveräußerlichen Rechten. Schließlich ist es schrecklich, in einer insgesamt ziemlich feindlichen Welt auch noch allein zu sein.
Über "trans" gestolpert
Die Idee einer plötzlichen Infektion mit Transgeschlechtlichkeit bestätigt dann noch die 28-jährige Sabeth, mit der es im Erzählstrang weitergeht. Sabeth ist nach einer Transition zum Mann, inklusive Hormoneinnahme und der operativen Formung einer flachen Brust, zurück in die weibliche Identität gewechselt und wird als eines von vier Beispielen transgeschlechtlicher Kinder und Jugendlicher portraitiert.
Doch Sabeth ist nicht nur nicht, wie die anderen, eine Jugendliche. Sie erzählt, wie sie mit 19 Jahren, also als Erwachsene, nach Berlin gezogen und dort "eigentlich nach einer toleranten Lesbengruppe gesucht" habe. Stattdessen sei sie dann jedoch unversehens in einer "sympathischen Selbsthilfegruppe für trans Männer gelandet". Wie sie dort "gelandet" sein will, das bleibt der Phantasie der Zuschauer*innen überlassen.
Sabeth, die über ihre eigenen Erfahrungen meistens mit "man" berichtet, statt das Wort "Ich" zu nutzen, erklärt, es gehe "einem nicht gut" und "man" sei "auf der Suche nach Besserung" und dann "stolpert man halt plötzlich bei trans". "Man" sei dann sehr begeistert von dem Trans-Thema, weil es verspreche, dass danach alles besser werde.
Doch pünktlich zu dem Moment, an dem Sabeth nach der operativen Gestaltung einer männlichen Brust im Aufwachraum des Krankenhauses wieder zu sich kommt, will die Detransitionierte angeblich gemerkt haben, dass ihr "scheinbar totaler Schrott" über den Eingriff erzählt worden sei und dass es "mich da halt nicht weiterbringt". Über den "Schrott" erfahren die Zuschauer*innen ebenfalls nichts.
Sie habe in dem Moment festgestellt, dass sie Dinge überdenken müsse, die sie vorher als selbstverständlich "hingenommen" habe. Sie darf sogar in Zweifel ziehen, dass operative Veränderungen des Körpers überhaupt jemanden glücklicher machen. Man merke "aber nach so einer Operation: Man selbst ist halt der Körper", man könne da nicht "einfach irgendwas wegschneiden und halt woanders wieder hinsetzen zum Beispiel", sagt sie.
Gehe es dem Körper nicht gut, gehe es, so Sabeth, auch der Seele nicht gut – eine verdruckste Anspielung darauf, dass hinter dem Wunsch, einen veränderten Körper zu haben, in Wahrheit ein zumal auflösbares psychisches Leiden stehe. Das ist kurz vor der Idee, die Transgeschlechtlichkeit von Menschen, ihr Einvernehmen vorausgesetzt, einfach "wegzutherapieren".
Doch Behandlungsrichtlinien wie die S3-Richtlinie zu "Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung" zeigen, dass der Kritik an schlechten Resultaten der OPs ein überwältigender Fachkonsens gegenüber steht. Erst dieser wissenschaftliche Konsens war dann die Grundlage, auf der die Richtlinien beraten und beschlossen worden sind. Er besagt, dass die Verbesserung des allgemeinen Befindens und der Linderung des Leidensdrucks, der aus dem als inkongruent empfundenen Körper resultiert, durch solche Operationen durchaus erzielt wird – nicht immer, klar, aber eben so häufig, dass eine Indikation der natürlich mit Risiken verbundenen Eingriffe angezeigt ist.
Dann darf Sabeth noch die kaum haltbare Behauptung aufstellen, dass Testosteron so, wie man sich Anti-Depressiva vorstelle, die Gefühle dämpfe. Sabeth habe zum Beispiel durch die Einnahme der Hormone nicht mehr bei Filmen geweint. Erst durch das Absetzen sei das wieder passiert: "Man hat sich plötzlich halt wieder lebendiger gefühlt, also man hat plötzlich wieder überhaupt irgendwas gefühlt".
Kein*e endokrinologische*r Expert*in ist zur Stelle, die Behauptung fachlich einzuordnen. Das Take-away für besorgte Eltern von Kindern, die sich in männliche Richtung verändern wollen: Tesosteron ist ein brandgefährliches Teufelszeug, das das Kind auch noch dagegen abstumpft, zu merken, wenn sich der Körper in die falsche Richtung entwickelt. All die wissenschaftlichen Daten dazu, wie ungemein lebensrettend die Hormongaben in den allermeisten Fällen wirken, sind hier hinfällig.
In der Hass-Bubble rekrutiert
Natürlich gibt es, wenn auch sehr sehr wenige, Personen, die eine Transitionsentscheidung rückgängig machen und auch sie gehören angemessen angehört und repräsentiert. Doch der transfeindliche Diskurs dreht sich schon seit Jahrzehnten um genau dieses Thema. Und: Er hat sich das "Detrans"-Phänomen auch dann als Begründung herangezogen, wenn überhaupt keine Stimmen detransitionierter Personen zur Verfügung gestanden haben. Die Phantasie, dass es sie da draußen irgendwo geben könnte, reichte stets aus.
Hinzu kommt: Wenn für den Einwand gegen die Forderung, Menschen transitionieren zu lassen, das Bedenken zu gelten hat, dass es detransitionierende Menschen wie Sabeth gibt, muss das selbe Bedenken natürlich auch für diese Menschen gelten. Anders ausgedrückt: Auch von der Detransition lässt sich ja noch zurücktreten.
So widmete sich eine Studie im Journal "LGBT Health" im vergangenen Jahr den Gründen, aus denen Menschen eine Transition rückgängig machen. Die Autor*innen beklagten, dass es ansonsten überhaupt keine Überblicksstudien zum Phänomen gäbe. Hingegen lägen allein Einzelfallstudien vor. Und mit Einzelfällen wie mit dem von Sabeth lassen sich gut Stimmung und False Balances in den Medien erzeugen.
Die Arbeit der LGBT-Health-Forscher*innen sei hingegen die erste Überblicksstudie zum Thema. Und: Ihre Befunde zeigen, dass die überwiegende Mehrzahl der detransitionierenden Menschen dies gar nicht aus einer inneren Korrektur des Geschlechtsidentitätsempfindens tun, sondern aus sozialem Druck. Die Aufrechterhaltung der transgeschlechtlichen Identität war für sie schlicht aufgrund der resultierenden Diskriminierung und Gewaltbedrohung nicht realistisch gewesen (queer.de berichtete). Gut möglich also, dass die, die heute ihre Transition bereuen, schon bald bereuen, ihre Transition bereut zu haben.
Ungeachtet solcher Einwände heißt es im Film über Sabeth, sie werde zwar ihre tiefe Stimme ihr Leben lang behalten, habe als Frau aber "Frieden mit sich gefunden". Doch eine einfache Netzrecherche nach Sabeth zeigt bereits, dass sie mitnichten so im Frieden lebt, wie im Film suggeriert. Sabeth ist nämlich nicht nur eine offensiv als Detrans-Person auftretende Aktivistin, sondern im Internet auch in aggressiv-transfeindlichen Communities unterwegs, die Stimmung gegen die Rechte transgeschlechtlicher Menschen machen.
Reihenweise finden sich auf Sabeths Twitter-Account Retweets von transfeindlichen Stimmen der "Gender Critical"-Bewegung. Sogar bis hin zu Julian Reichelt und Birgit Kelle reichen die immer wieder nach weit rechtsaußen ausholenden, verbreiteten Botschaften. Geteilt wird beispielsweise ein Artikel darüber, wie der britische Premier Boris Johnson sagt, dass Frauen nicht mit einem Penis geboren sein könnten. Anders ausgedrückt: Transitionen sind Hirngespinste und unmöglich. Man bleibe eben ein "Mann", auch, wenn man als Frau lebt oder sich sogar operieren lässt.
Über den Koalitionsvertrag der kommenden Landesregierung von Schleswig-Holstein, in dem der affirmative Umgang mit transgeschlechtlichen Schüler*innen als Ziel festgehalten ist, schreibt Sabeth, dass Menschen "in die Medikalisierung getrieben" würden, die "auch gut ohne Medikalisierung, stattdessen aber mit einer kompetenten Psychotherapie klargekommen wären". Botschaft: Die Geschlechtsidentität von transgeschlechtlichen Jugendlichen sollte nicht angenommen und affirmiert, sondern möglichst wegtherapiert werden.
Über transgeschlechtliche Personen heißt es an anderer Stelle mit Bezug auf das von Sabeth ebenfalls bekämpfte Selbstbestimmungsgesetz, diese seien eben "die lauteste schreiende Minderheit" – wobei Sabeth hinter das Wort "Minderheit" noch ein Clown-Emoticon setzt. Letztlich schade das Gesetz jedoch nicht-transgeschlechtlichen, "geschlechterrollen-nicht-konformen Personen". Zu Deutsch: Wer bisher als Mädchen oder Junge nicht ganz der entsprechenden Geschlechterrolle gelebt hat, wird zukünftig gleich in eine Transition getrieben, damit rückschrittliche Geschlechterrollen bewahrt bleiben können. Und so geht es im täglichen Hass-Stakkato auf Sabeths Twitter-Account mehrmals am Tag fast immer nur um das selbe Thema.
Das ist natürlich das gute Recht der Doku-Protagonistin. Und nur dort, wo etwa transgeschlechtliche Menschen absichtlich misgendert werden, sollte es beschnitten werden. Doch zu einer authentischen Stimme, die in einem Dokufilm des Öffentlich-Rechtlichen politisch verzerrte Einblicke in ihre Detransitionserfahrungen gibt, sollte sie der hasserfüllte Output nicht qualifizieren. Leider scheint in der deutschen Medienlandschaft momentan eher das Gegenteil der Fall zu sein.
Und letztendlich wird das alles vor allem nicht den drei transgeschlechtlichen Jugendlichen gerecht, die sich für den Film in teils sehr intimen und für sie sehr existentiellen Situationen vom Kamerateam haben begleiten lassen. Ein weiteres Beispiel, warum es Kampagnen wie Trans Medien Watch braucht.
Die Story, Trans*: Der schwierige Weg ins eigene Geschlecht, Mittwoch, 22.15 Uhr, WDR

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