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Eckpunkte vorgestellt

Geplantes Selbst­bestimmungs­gesetz enttäuscht Hoffnungen

In Berlin wurden die Eckpunkte des kommenden Selbstbestimmungsgesetzes vorgestellt. Das Vorhaben beschränkt sich jedoch auf verwaltungsrechtliche Angelegenheiten und enttäuscht Hoffnungen.


Stellten die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes bei der Bundespressekonferenz vor: Marco Buschman (li.) und Lisa Paus (Bild: IMAGO / photothek)

Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) haben am Donnerstag Eckpunkte des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes (PDF) vorgestellt. Die Regelungen bleiben allerdings hinter früheren Gesetzesentwürfen der damaligen Oppositionsparteien und den Wünschen queerer Verbände zurück.

Der ausgehandelte Kompromiss beschränkt sich ausschließlich auf die verwaltungsrechtlichen Aspekte bei der Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags, wie er für viele trans- und intergeschlechtliche Personen wichtig ist. Hier soll zukünftig eine Selbstauskunft vor dem Standesamt genügen. Aufwändige und kostspielige Gutachten und ein Gerichtsentscheid, wie bisher gehandhabt, sollen dann entfallen.

Gesetz verzögert sich

Das Gesetzesvorhaben war von der Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten und dann von den beiden Ministerien ausgearbeitet worden. Ursprünglich war geplant gewesen, dass vor Beginn der Sommerpause ein fertiger Gesetzesentwurf vorliegen sollte. Doch im Rahmen der Abstimmung über die letztendlich enthaltenen Regelungen wurde davon offenbar Abstand genommen. Stattdessen sollen die vorgestellten Eckpunkte nun als zivilgesellschaftliche Diskussionsgrundlage dienen, im vierten Quartal solle dann ein Entwurf, der als nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat gilt, im Kabinett landen. In einer vom Queerbeauftragen Sven Lehmann verschickten Pressemitteilung heißt es zudem, dass das Inkrafttreten des Gesetzes erst für Mitte 2023 geplant sei.

Zwei Gesetzesentwürfe von Grünen und FDP, die im Mai vergangenen Jahres im Bundestag gescheitert waren, hatten neben den Regelungen zur Änderung des Namens- und Personenstandes noch die Verankerung der medizinischen Leistungsansprüche trans- und intergeschlechtlicher Menschen im Sozialgesetzbuch vorgesehen (queer.de berichtete). Der gesundheitspolitische Aspekt ist in dem nun rein verwaltungsrechtlichen Vorhaben nicht mehr enthalten.

Im Koalitionsvertrag hatte es geheißen: "Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden." Justizminister Marco Buschmann betonte, dass es im Gesetz um den Personenstand und den Namen gehe, nicht um medizinische Fragen. Das sei eben "etwas völlig anderes als die Frage einer geschlechtsangleichenden Operation". Familienministerin Lisa Paus verwies darauf, dass Fragen nach medizinischen Maßnahmen weiterhin auf Grundlage fachmedizinischer Regelungen entschieden würden.

Auf Nachfrage, was mit den medizinischen Aspekten und der Kostenübernahme medizinischer Maßnahmen sei, verwies Buschmann auf den Kompetenzbereich des Gesundheitsministers Karl Lauterbach und versuchte, die Nichtberücksichtigung kleinzureden: "Auch dieses Projekt wird die Koalition zügig angehen und ich bin mir sehr sicher, dass Karl Lauterbach uns da auch beizeiten einen Entwurf vorlegen wird." Dass der Aspekt nicht im Selbstbestimmungsgesetz enthalten ist, sei "nichts ungewöhnliches", immerhin liege die Federführung für solche Fragen gar nicht bei den beiden Ministerien. Es sei auch keine "Vorentscheidung für irgendwas".

Nichtbinäre werden bedacht, Offenbarungsverbot erweitert

Mit Einführung des als sogenannte "Dritte Option" bekanntgewordenen Geschlechtseintrags "divers" hatte die vorherige Bundesregierung unter Federführung des von Horst Seehofer (CSU) geführten Bundesinnenministeriums ein personenstandsrechtliches Verfahren parallel zu demjenigen im Transsexuellengesetz geschaffen, das dann nur für intergeschlechtliche Menschen gelten sollte. Die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes sehen nun vor, dass für alle trans- und intergeschlechtlichen Menschen inklusive nichtbinärer Personen der selbe, auf der Selbstauskunft beruhende Verfahrensweg gelten werde. Damit haben auch die Versuche der früheren Bundesregierung, den Geschlechtsintrag "divers" nur auf intergeschlechtliche Menschen zu beschränken, ein Ende.

Das Transsexuellengesetz, das seit 1981 transgeschlechtlichen Menschen hohe und menschenrechtswidrige Hürden zur Änderung ihres Namens- und Personenstands auferlegt hat, beinhaltet auch ein sogenanntes Offenbarungsverbot. Es sieht jedoch nur vor, dass Behörden den abgelegten Vornamen keinem Dritten mitteilen dürfen. Auf die Änderung des Geschlechtseintrags erstreckt sich die bisherige Schutzregel genau so wenig wie auf Privatpersonen. Und: Wird gegen das Offenbarungsverbot des TSG verstoßen, folgt bisher keinerlei Sanktion.

Darum hatten die Koalitionäre bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags festgelegt, dass ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot Teil des Selbstbestimmungsgesetzes sein müsse. Die Eckpunkte sehen nun auch vor, dass ein Bußgeld verhängt werden kann, wenn vorsätzlich der Wechsel des Geschlechtseintrags oder des Vornamens einer Person ausgeforscht und gegen ihren Willen offenbart wird. Das soll sich laut Paus nicht mehr nur auf Behörden, sondern auch auf Privatpersonen beziehen. Menschen, deren früherer Name öffentlich bekannt ist, sind durch die Regelung aber nicht davor geschützt, mit diesem Namen angesprochen zu werden. Auch sieht das Gesetz keine Regelung für das absichtliche Misgendern von Menschen vor.

Regelungen für Jugendliche und Sperrfrist von einem Jahr

Umstritten war zuletzt noch der Status von Jugendlichen im Gesetz. Die Eckpunkte sehen nun vor, dass Jugendliche und Kinder unter 14 Jahren die Erlaubnis ihrer Eltern benötigen. Bei 14- bis 17-jährigen sehen die Eckpunkte eine Zustimmung der Sorgeberechtigten vor. Stimmen sie nicht zu, könne das Familiengericht die Entscheidung der Eltern auf Antrag der Minderjährigen ersetzen. Es orientiere sich dabei am Kindeswohl.

Außerdem sehen die Eckpunkte allgemein vor, dass nach einer Änderung der Einträge eine Sperrfrist von einem Jahr für eine erneute Änderung eingeführt wird. Damit wolle man, so Paus, "die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherstellen".

Nicht Teil der Regelung soll die Frage sein, mit welchen Bezeichnungen Eltern nach der Änderung des Geschlechtseintrages in den Geburtsurkunden ihrer Kinder auftauchen sollen. Dies wolle man mit der Abstammungsrechtsreform regeln. Für die Zwischenzeit solle es aber eine Interimslösung für diejenigen geben, die davon betroffen sind.

Paus: "Guter Tag für Freiheitsrechte"

Familienministerin Lisa Paus sagte, dass heute "ein guter Tag für die Freiheitsrechte in unserem Land" sei. Das bestehende Gesetz verletzte seit über 40 Jahren die Rechte und die Würde transgeschlechtlicher Menschen. Diese würden zudem noch immer von vielen Menschen in unserer Gesellschaft verhöhnt, so dass sie zu einer besonders vulnerablen Gruppe gehörten. Im Alltag seien sie häufig Diskriminierungen ausgesetzt, und zwar auch durch die Hürden und die Verfahrensdauer des bislang geltenden TSG. Paus nannte als Beispiele das Bezahlen mit der EC-Karte oder Besuche in Arztpraxen, was für Menschen ohne Anpassung der Einträge zum Spießrutenlauf werden könne.

Durch das TSG sei viel Unrecht geschehen. Paus nannte dazu Zwangssterilisierungen, Zwangsoperationen und Zwangsscheidungen, die früher Grundlage dafür waren, dass Menschen ihre Einträge ändern durften. Es sei daher an der Zeit, dass sich der Staat bei den davon Betroffenen entschuldigt und sie für das durch das Transsexuellengesetz entstandene Unrecht entschädigt.

Aufgeheizter Diskurs

Damals habe der Staat mit jenem Gesetz Menschen helfen wollen, die er für psychisch krank gehalten hat. Es werde Zeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen an die gesellschaftliche Realität anzupassen. Auch Justizminister Marco Buschmann wies darauf hin, dass die wissenschaftliche Debatte um die Pathologisierung transgeschlechtlicher Menschen längst abgeschlossen sei.

Der FDP-Politiker referierte noch einmal den aufgeheizten Diskurs rund um das Gesetz. Man habe von "Umerziehungsprogrammen", "Gender-Ideologie" und "Kulturrevolution" lesen können. Stattdessen löse man mit dem Gesetz "ein Stück weit ein Versprechen unserer Verfassung ein", und zwar "jedem Menschen die Würde und die gleiche Freiheit zu geben, die eben jeder Mensch kraft seiner Individualität verdient". Freiheit heiße auch die Freiheit, man selbst sein zu können, zitierte Buschmann den ersten Bundesjustizminister Thomas Dehler.

Die geschlechtliche Identität von Menschen gehöre zu ihrer Identität, auch wenn die von ihrem biologischen Geschlecht abweiche. Auch diese Menschen hätten den selben Anspruch auf Würde und Freiheit und müssten vom Staat mit Respekt, Anstand und dem Anspruch gleicher Freiheit für alle behandelt werden. Das sei eben der Unterschied zwischen einem Land mit einer humanistischen Tradition zu anderen Staaten, so Buschmann.

Man wisse zwar, dass transgeschlechtliche Menschen nicht der statistische Normalfall seien, aber dass es trotzdem "ein Stück weit normal" sei, dass es Menschen gibt, "deren sexuelle Identität von ihrem biologischen Geschlecht abweicht". Es verwundere ihn, dass er immer wieder gefragt werde, ob das Anliegen denn wirklich so wichtig sei. Er finde es falsch, so zu denken. Den Anspruch auf gleiche Freiheit und Würde habe jeder einzelne Mensch. In einer liberalen Demokratie hätten eben nicht nur Mehrheiten und große Gruppen einen Anspruch auf Freiheit und Würde.

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#1 MaybemeProfil
  • 30.06.2022, 12:05hBochum
  • lese ich den Artikel so, und was sonst so geschrieben wird, denke ich wer heute die Änderung nach TSG beantragt ist schneller als das Gesetz.
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#2 War klarAnonym
  • 30.06.2022, 12:05h
  • Also genau wie erwartet: Viel versprechen, wenig halten. Schuld sind "die anderen(TM)". Und immerhin löse man ja "ein Stück weit ein Versprechen unserer Verfassung ein".

    Ein Stück weit reicht aber nicht.
    Aber schön zu sehen, dass man nicht willens ist, die Verfassung für alle Menschen gelten zu lassen.

    Aber hey, dafür hat man doch jetzt schön die Regenbogenfarben gehisst, das ist doch auch schon mal was ¯\_()_/¯
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#3 andreAnonym

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