Im vorangegangenen Film "Thor: Ragnarok" (2017) begeisterte Waititi Zuschauer*innen und Kritiker*innen, indem er der Reihe und ihrem Helden zu einer augenzwinkernden Leichtigkeit verhalf. Auch der aktuelle vierte Teil bringt wieder viel Humor und einen hohen Unterhaltungswert mit. Doch während "Thor: Ragnarok" noch universelle Antworten auf die Frage fand, was eigentlich "Zuhause" bedeutet, bietet die Handlung in "Thor: Love and Thunder" weniger Offenheit und Identifikationspotenzial.
Der Film beginnt mit viel Selbstironie und kreativen Rückblenden. Schnell ist man mitten im Geschehen und bereit, sich zusammen mit der Crew in ein neues Abenteuer zu stürzen. Mit dem God Butcher, gespielt von Christian Bale, hat Thor (Chris Hemsworth) einen würdigen Gegenspieler. An Thors Seite kämpft seine Ex-Freundin Dr. Jane Foster (Natalie Portman), die in diesem Film ebenfalls zur Mighty Thor wird. In einem stylishen, einfallsreich inszenierten Showdown versuchen sie, sich selbst und andere vor dem God Butcher zu retten. Auch Korg (Taika Waititi) und King Valkyrie (Tessa Thompson) sind wieder mit von der Partie.
Keine Romantik für Valkyrie
Tessa Thompson glänzt als King Valkyrie in jeder Szene, in der sie auftritt, mit jedem Blick und mit jedem Outfit. Doch während die pansexuelle Schauspielerin und der Regisseur in Interviews angedeutet hatten, dass Valkyrie eine eigene queere Storyline bekommen könnte, geht sie in dieser Hinsicht leer aus. Valkyries bereits bekannte romantische Beziehung zu einer verstorbenen Mitkämpferin wird zwar offen benannt, doch dabei bleibt es.
Die angekündigte queere Storyline für Valkyrie fiel aus (Bild: Disney+)
Sie und der Stein-Alien Korg, der hier ebenfalls seine Queerness zeigen darf, werden mit dem Fortschreiten des Plots zunehmend an den Rand gedrängt. In einem Film wie diesem, der sich um Liebe und Familie dreht, wirkt der Kontrast zur alles überschattenden Heteronormativität von Hemsworth' und Portmans Figuren umso größer.
Gekonnt, aber nicht gewollt
Gäbe es andere Superheld*innen-Blockbuster, in denen queere Fans sich besser wiederfinden können, wäre das weniger dramatisch. Aber Marvel und Disney sind dafür bekannt, Liebe und Familienformen abseits der Heteronorm so lange wie möglich aus ihren Filmen herauszuhalten. Das Publikum ist es bereits gewöhnt, kleinste Fortschritte zu zelebrieren, wie die schwule Paarbeziehung des Charakters Phastos in Marvels "Eternals".
Die knappe Handvoll queerer Figuren in "Love and Thunder", darunter ein junger trans Charakter, werden in ihren Nebenrollen gekonnt und sorgfältig dargestellt. Allerdings besteht ihre einzige Aufgabe darin, den Mighty Thors den Weg zum Finale freizuräumen und ihnen dabei nicht in die Quere zu kommen. Anhand dieser Figuren beweist der Film immer wieder, dass er das Potential für eine vielseitigere Plotline gehabt hätte, sich aber im entscheidenden Moment jedes Mal dagegen entscheidet.
Thor mal zwei
"Thor: Love and Thunder" ist der erste Film, in dem die Gottheit des Donners nicht nur durch Chris Hemsworth verkörpert wird, sondern auch durch Natalie Portmans Jane Foster. Als Mighty Thor hat Jane die gleichen Superkräfte und nutzt den Hammer, um Bösewichte zu besiegen. Muskulös und normschön kann sie dabei als feministisches Motiv der starken Frau fungieren, ohne die Sehgewohnheiten des Publikums herauszufordern.
Trotz ihrer ähnlichen Rüstungen und Kräfte bedienen die Thors als Liebespaar heterosexuelle Klischees, anstatt sie zu hinterfragen. Diese Tropes, die am Anfang noch ironisch überspitzt waren, wiederholen sich später ohne jede Brechung. Durch diesen einseitigen Fokus verliert der Film an Spannung und Abwechslung.
Ein glitzerndes Fest, aber nur für manche
So entsteht in dem ganzen bunten Spektakel zwischen Weltraumdelfinen und Götter-Orgien der Eindruck, das bisexuellste Element des ganzen Films sei vielleicht der Bifrost – die regenbogenfarben glitzernde Brücke zwischen den Welten. Aber auch sie dient letztlich nur dazu, unsere heterosexuellen Held*innen möglichst schnell an ihr Ziel zu bringen, damit sie für alle anderen die Welt retten können.
Was am Ende bleibt, ist der Eindruck, dass queere Superheld*innen für Marvel nach wie vor kaum vorstellbar sind. Und wenn es sie schon gibt, sollen sie und ihre Fans wenigstens für die Krümel der Repräsentation dankbar sein, anstatt sich ein eigenes Stück vom Kuchen zu wünschen. Dabei hätten Queers eine ebenso epische, kitschige Liebes- und Weltrettungsgeschichte auf der großen Leinwand verdient wie die Thors. Oder warum nicht beides? In jedem Fall hätte der Film ohne diese Einschränkungen nicht nur ein besseres Gefühl hinterlassen, sondern wäre auch interessanter und runder geworden. Da hätten dann alle etwas von gehabt.
Infos zum Film
Thor: Love and Thunder. Science-Fiction-Actionkomödie. USA 2022. Regie: Taika Waititi. Cast: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Tessa Thompson, Christian Bale, Taika Waititi. Laufzeit: 119 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung, FSK 12. Verleih: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany. Kinostart: 6. Juli 2022
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