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Ukraine

"Unsere Gegner besitzen nun neben Stöcken und Pfefferspray auch Schusswaffen"

Queere Menschen in der Ukraine kämpfen nicht nur gegen die russischen Invasoren, sondern auch gegen gewaltbereite Queerhasser im eigenen Land. Ein Gespräch mit Yevheniia Kvasnevska vom Odesa Pride.


Die 25-jährige Yevheniia Kvasnevska lebt in Odesa und war mit anderen queeren Aktivist*innen aus der Ukraine auf Einladung des KLUST e.V. zu Gast beim Cologne Pride. Am Rande des CSD ergab sich die Gelegenheit zum Interview (Bild: Sina Vogt)
  • Von Sina Vogt
    10. Juli 2022, 08:50h 11 7 Min.

Yevheniia, du bist Aktivistin in der Ukraine, magst du dich und dein Engagement unseren Leser*innen vorstellen?

Sehr gerne. Ich habe 2015 auf der Suche nach anderen LGBTIQ* über Google die Gay Alliance Ukraine gefunden. Diese arbeitet landesweit in 16 Regionen, und Odesa Pride ist ein Projekt von ihr. Ich repräsentiere auf meiner Deutschland-Reise beide. Wir haben auch ein Community-Center in Odesa, so wie in anderen Städten auch. "Queer Home" heißen sie.

2015 fand der erste Odesa Pride statt, ich bin ein paar Tage später dazu gestoßen. Bei den Maidan-Protesten von 2013/2014 war ich zu jung zum Mitmachen, aber ich erinnere mich gut an die Stimmung von Aufbruch, Revolution und Veränderung. Das hat auch die LGBTIQ*-Bewegung motiviert und ihre Anliegen sichtbarer gemacht. Es ging schon damals um die Frage: westliche oder russische Werte. Religiöse Parteien wollten schon damals das russische Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda" auch in der Ukraine durchsetzen.

Wie arbeitest du als LGBTIQ*-Aktivistin?

Seit dem Kriegsbeginn 2014 durch den russischen Angriff auf die Krim und den Donbass spielt ehrenamtliche Arbeit in der Ukraine eine enorm große Rolle. Ursprünglich, um die Soldat*innen zu unterstützen mit Schutzwesten und warmen Socken, aber die gesamte LGBTIQ*-Community baut fast ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit auf.

Ich habe in einem lesbisch-feministischen Bildungsprojekt ehrenamtlich Workshops zum Beispiel zu Hassverbrechen gegeben und singe im ersten ukrainischen LGBTIQ*-Chor Quwerty Queer. Mit diesem war ich 2016 auch schon einmal in Deutschland, auf einem queeren Chorfestival in München.

Was machst du beruflich, und wie gehst du dort mit deiner Identität um?

Ich arbeite als IT-Spezialistin in einem Unternehmen und kann nun auch von zu Hause arbeiten. Die meisten meiner Kolleg*innen haben Odesa verlassen. Out bin ich nur vor einigen Kolleg*innen, Aber insgesamt gehört die IT-Branche eher zu den LGBTIQ*-freundlichen, auch aufgrund starker Kontakte in den Westen und dadurch entwickelte Nähe zu westlichen Werten. Wobei der Westen der Ukraine eher konservativ und stark katholisch geprägt ist.

Zum Odesa Pride: Wie hat der sich entwickelt, und warum nennsgt du ihn nicht Odessa Pride?

Danke für die Frage. Odessa ist der russische Name der Stadt, Odesa der ukrainische.

Von 2015 bis 2021 gab es jedes Jahr einen Pride in Odesa – gegen den Willen des Bürgermeisters, der hat ihn verboten, obwohl friedliche Demonstrationen seit 2014 gesetzlich erlaubt sind. Letztes Jahr haben wir vor Gericht erreicht, dass er dieses Verbot zurückziehen muss. Seine Position hat den LGBTIQ*-Gegner*innen signalisiert, dass sie seine Billigung haben. 2020 erlangte er traurige Berühmtheit. Wegen der Pandemie gab es nur eine Menschenkette, die aber wurde wie jedes Jahr mit massiver Gewalt von rechten und fundamental-religiösen Gegendemonstranten angegriffen. Die Polizei schaute passiv zu.

Wir mussten in der Folge mit dem Community-Center umziehen, denn dort standen sie jeden Tag, haben Besucher*innen fotografiert und diese Fotos im Internet veröffentlicht. Sie haben auch Menschen gezielt angegriffen. Wir mussten wegen massiver Shitstorms auch alle unsere Social-Media-Kanäle schließen.

Im Moment wissen die homo- und transphoben Kräfte nicht, wo unser neues Community-Center und Büro sind. Leider haben sie ihr Ziel insoweit erreicht, dass sich erneut viele LGBTIQ*-Menschen scheuen, uns zu besuchen.

2021 gab es einen neuen Polizeichef in Odesa, der wollte vieles anders machen, und immerhin wurden im letzten Jahr 60 der Angreifer festgenommen und die Teilnehmenden des Odesa Pride besser geschützt. Ob das eine einmalige Besserung war oder ein Trend, wissen wir durch den Krieg nicht.

Wir müssen auch über die aktuelle Situation im Krieg sprechen. Was sind die drängendsten Fragen, die die in Odesa verbliebenen LGBTIQ* beschäftigen, also auch dich?

Wir versorgen die LGBTIQ*-Menschen, zu denen wir persönliche Kontakte haben, mit lebensnotwendigen Dingen wie Essen und Geld, gerade die, die auf dem Lande leben oder innerhalb der Ukraine geflohen sind. Wir schicken zum Beispiel Essenspakete mit der Post. Das klingt banal, aber wenn dein Job weggebrochen ist und gleichzeitig alles teuer wird, dann wird das ganz schnell existenziell. So sind die Mieten in der westlichen Ukraine um mehr als 100 Prozent gestiegen. Die Post funktioniert zum Glück in vielen Teilen der Region nach wie vor.

Dann versuchen wir auch, LGBTIQ*-Menschen zu Schulungen zu verhelfen, die gerade dringend gebraucht werden. Wir wollen Menschen befähigen wieder Geld zu verdienen. Zum Beispiel als Lagerverwalter*innen oder LKW-Fahrer*innen für Konvois. Diese bringen Flüchtende durchs Land und auch Waren. Manchmal werden sie von russischen Soldaten gezielt angegriffen und getötet. Dann braucht man andere Menschen im Konvoi, die weiterfahren können.

Wir haben wenig zu verlieren außer der Freiheit. Unser Leben ist sowieso in Gefahr. So werden Ukrainer*innen von Russen gefasst, mit einer russischen Uniform versehen und ohne Waffen als menschliche Schutzschilder missbraucht.

Damit sind wir im brutalen Alltag des Krieges angekommen. Wie sieht es mit Gewalt gegen LGBTIQ* aktuell aus?

Ein Problem ist, dass die gewaltbereiten Homo- und Transphoben im Land nun häufig Waffen haben, denn auch sie melden sich zum Heimatschutz. An den Checkpoints können sie jede und jeden anhalten und Handys prüfen. Wenn sie dann auf dem Handy einer Frau Liebesnachrichten einer anderen Frau lesen, kann das zu direkter homophober Gewalt führen. Wir werden von Betroffenen kontaktiert und melden diese Fälle an die Polizei. Aber die sagt: Wir haben gerade genug mit der Aufklärung russischer Kriegsverbrechen zu tun, Hassverbrechen können bis nach dem Krieg warten. Das ist ganz klar ein Rückschritt im Kampf gegen homo- und transfeindliche Gewalt und Diskriminierung.

Den OdesaPride haben wir dieses Jahr nicht nur wegen des Krieges abgesagt, sondern auch, weil unsere Gegner in der Ukraine nun neben Stöcken und Pfefferspray auch Schusswaffen besitzen.

Natürlich sind auch LGBTIQ*-Menschen im Heimatschutz und der Armee. Hier ist es so, dass gleichgeschlechtliche Partner*innen nach dem Tod eines Soldaten, einer Soldatin, nicht über ihren Verlust informiert werden, denn das werden nur Eheleute, Eltern und Kinder. Unter Heterosexuellen gibt es deshalb einen Heiratsboom. Die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist eine Forderung, die wir auch schon Jahre erheben. Nun hoffen wir auf die Ausrichtung der Regierung auf die EU.

Erst warst du in Warschau auf dem Warsaw and Kyiv Pride, nun in Köln und dann wirst du noch nach München reisen und auch dort den Pride besuchen. Wie ist es für dich, in dieser Situation in Polen und Deutschland zu sein?

Es ist Urlaub vom Krieg. Auch wenn ich jedes Mal zucke, wenn ein Flugzeug zu hören ist, es ist sehr erholsam. Zudem kann ich auf den Prides etwas für meine Leute tun, damit wir Spenden bekommen und die Aufmerksamkeit im Westen nicht nachlässt. Jeden Tag nimmt die Spendenbereitschaft ab, das ist existenziell bedrohlich.

Ich will jeden Tag nach Odesa zurück und werde nach dem München Pride wieder heimkehren. Ich werde dort gebraucht, unser Kampf findet vor allem vor Ort statt.

Unsere Regierung ist im Moment sehr Richtung Westen ausgerichtet, hat gerade die Istanbul-Konvention ratifiziert. Endlich, wir haben darauf seit der Unterzeichnung elf Jahre warten müssen. Deshalb müssen wir ihnen weiter auf die Finger gucken, Papier ist geduldig, es braucht weiter massive Veränderungen in Politik und Verwaltung, damit sich die Situation für LGBTIQ* wirklich dauerhaft verbessert, wir unsere Rechte bekommen. Der Kandidatenstatus für die EU kann uns wirklich helfen, aber wir müssen weiter aktiv bleiben.

Was ist deine Botschaft an die Community in Deutschland, wie können wir den LGBTIQ* helfen, die in der Ukraine verblieben sind oder dorthin zurückkehren?

Vergesst uns nicht. Sprecht über den Kampf in der Ukraine, der immer auch ein Kampf für die Rechte von LGBTIQ* ist. Wir erleben, dass die Spendenbereitschaft massiv abgenommen hat. Natürlich wollen die Menschen ihren Alltag weiterleben, das tun wir auch in Odesa, sitzen in der Sonne und trinken Kaffee mit Freund*innen. Aber wir brauchen eure Solidarität, jede Spende wird gebraucht, jede Summe. Bittet spendet an die Gay Alliance Ukraine oder an die Queere Nothilfe Ukraine in Deutschland, die uns und andere Projekte der Community in der Ukraine direkt unterstützt.

#1 Ith_Anonym
  • 10.07.2022, 09:19h
  • Oar, Leute... da liest du die Überschrift und denkst erstmal, "f*ck, haben sie irgendein Reichsbürgernest ausgehoben", und dann raffst du, dass es um die Ukraine geht.

    Und dann denkst du daran zurück, wie regelmäßig die Bilder von Waffen- und Munitionslagern aussehen, die bei Razzien in Reichsbürger- und Nazihaushalten so entstehen und denkst dir... eigentlich hätte man sich nicht schocken lassen brauchen, denn es ist eh so, und nicht erst seit gestern.
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#2 LothiAnonym
  • 10.07.2022, 12:29h
  • Antwort auf #1 von Ith_
  • Mit den großen Unterschied, das Krieg in der Ukraine herrscht und zumindest alle wehrpflichtigen Männer Waffen tragen dürfen.
    Hinzu kommen Gräuel Taten an Zivilisten auf beiden Seiten. Sowohl von den Russischen Soldaten ausgeführt und Ukrainischen. Und da im Land der Krieg tobt, lassen sich sowohl Vergewaltigungen an Frauen, Queere Personen und schlimmer noch Mord schlecht auseinander halten. Insbesondere letzt genannte sitzen dort nun extrem ungemütlich zwischen den Stühlen.
    Ob die Zivilbevölkerung diese armen Geschöpfe schützend die Hände über sie legt, wage ich hier zu bezweifeln. Denn wenn eins beide Agressoren eint, ist es diese beschissene Homophobie.
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#3 PeerAnonym
  • 10.07.2022, 13:57h
  • Wenn die Ukraine in die EU will, muss sie unbedingt mehr gegen LGBTI-Feindlichkeit tun.

    Ich verstehe, dass die im Moment andere Dinge im Kopf haben, aber die müssen aufpassen, dass während des Kriegs nicht der LGBTI-Hass noch zunimmt. Und wenn dieser Krieg dann mal vorbei ist, müssen sie ganz massive Anstrengungen unternehmen, um den LGBTI-Hass zu bekämpfen.
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