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Frist verlängert

Verurteilte Homo­sexuelle können noch bis 2027 Anträge auf Entschädigung stellen

Am Donnerstag wäre eigentlich die Antragsfrist für eine Entschädigung von wegen Homosexualität verurteilten Menschen ausgelaufen. Jetzt haben Opfer des deutschen Justiz aber fünf weitere Jahre Zeit.


Justizminister Marco Buschmann erkennt an, dass die Homosexuellenverfolgung in beiden deutschen Staaten "viel Leid verursacht" habe (Bild: Laurence Chaperon)
  • 22. Juli 2022, 09:39h - 3 Min.

Die Frist für die Beantragung von Entschädigungszahlungen für Homosexuelle, die in der Nachkriegszeit aufgrund der damaligen Strafrechtsparagrafen verurteilt worden waren, gilt nun bis zum 21. Juli 2027. Das teilte das Bundesjustizministerium am Freitag mit. Die Verfolgung sei aus heutiger Sicht "grobes Unrecht" gewesen, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Der Bundestag hatte die Fristverlängerung um fünf Jahre im Juni per Änderungsantrag in den Gesetzentwurf zur Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen eingefügt – Union und AfD stimmten dagegen (queer.de berichtete).

Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen waren in der Zeit von 1945 bis 1994 nach den damaligen Strafrechtsparagrafen 175 in der Bundesrepublik und 151 in der DDR unter Strafe gestellt. In Westdeutschland wurden ausschließlich schwule Männer mit diesem Gesetz verfolgt, in der DDR zeitweise auch lesbische Frauen. Da dieses Verbot aus heutiger Sicht in besonderem Maße grundrechts-und menschenrechtswidrig war, wurden 2017 strafgerichtliche Urteile dazu aufgehoben. Zugleich erhielten betroffene Männer und Frauen wegen ihrer Verurteilung und einer möglicherweise erlittenen Freiheitsentziehung einen Entschädigungsanspruch.

Die Verurteilten können eine Entschädigung beantragen, die 3.000 Euro je aufgehobener Verurteilung plus 1.500 Euro je angefangenem Jahr in Haft beträgt. Seit März 2019 gilt eine zusätzliche Richtlinie, die es auch Verfolgten ohne Urteil möglich macht, eine einmalige Entschädigung für die negativen Beeinträchtigungen – beispielsweise einen Jobverlust – zu beantragen (queer.de berichtete).

Buschmann: Paragraf 175 hat "ganze Leben zerstört"

"Das Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen hat bei den Betroffenen viel Leid verursacht und ganze Leben zerstört", erklärte Buschmann. "Die strafrechtliche Verfolgung war aus heutiger Sicht grobes Unrecht." Deshalb werde die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf eine Entschädigungszahlung nun um fünf weitere Jahre verlängert. "Das ist der Rechtsstaat den Betroffenen schuldig", so der Minister.

Die bisherige Antragsfrist für Entschädigungszahlungen war am Donnerstag dieser Woche abgelaufen. "Es ist derzeit aber nicht auszuschließen, dass entschädigungsberechtigte Personen einen Antrag auf Entschädigung erst nach diesem Datum stellen werden", so das Ministerium. "Daher wurde die Antragsfrist nunmehr um weitere fünf Jahre verlängert." Anträge auf Entschädigung können Betroffene weiterhin beim Bundesamt für Justiz (BfJ) stellen.

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Bislang nur wenige Anträge

Schätzungen zufolge ergingen zwischen 1945 und 1994 etwa 69.000 Urteile nach den damaligen Verbotsvorschriften. Bis Mitte Juli 2022 beantragten dem Ministerium zufolge 335 Menschen eine Entschädigung beim Bundesamt für Justiz. Von diesen seien 259 tatsächlich entschädigt worden. 44 Anträge wurden zurückgenommen. Sechs Anträge seien derzeit noch in Bearbeitung. 26 Anträge seien abgelehnt worden. Insgesamt wurden bislang 885.500 Euro ausgezahlt, wie das Ministerium weiter mitteilte. Ursprünglich rechnete das Justizministerium mit Auszahlungen in Höhe von 30 Millionen Euro.

Als Grund für das ungewöhnlich niedrige Interesse wird Scham vermutet: Aus der Forschung zur Homosexuellenverfolgung ist bekannt, dass sich viele Betroffene auch heute noch für die strafrechtliche Verfolgung schämen und einige von ihnen heterosexuelle Ehen eingingen, um dem weiteren Verfolgungsdruck zu entgehen. Daher sei zu vermuten, dass diese Betroffenen erst dann einen Antrag stellen würden, wenn ihre Ehepartnerin verstorben ist, um sich nicht im hohen Alter zu outen. Andere haben möglicherweise von der Antragsberechtigung nichts erfahren. (AFP/dk)

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