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Interview
"Ich mach ja keine Fotos, um das Internet vollzustellen"
Der Berliner Fotograf Andreas Fux im Interview über seinen neuen Bildband "Innocence", das Atelier als heiliger Tempel, seine Liebe zur analogen Fotografie und die Zeitlosigkeit des Nonkonformismus.

Andreas Fux, Jahrgang 1964, wuchs als Bürger der DDR in Ost-Berlin auf
- 23. Juli 2022, 06:40h 7 Min.
Andreas Fux ist neben Berghain-Türsteher Sven Marquardt einer der prominenten Vertreter einer ostdeutschen Riege von Fotografen, die dadurch bekannt wurden, dass sie der Berliner Subkultur der Nachwende ein Gesicht gaben. Für seinen neuen Fotoband "Innocence" hat Fux Porträts junger Männer aus knapp 30 Jahren zusammengestellt, die mit ihren Tattoos, Cockringen und Fetisch-Accessoires einerseits ostentativ dem Körperkult frönen, aber gleichzeitig ganz bei sich selbst zu sein scheinen (queer.de berichtete).
Ein Gespräch über Schuld, Unschuld und Identitäten im Spiegel des Zeitgeists.

Eines der jungen Modelle aus "Innocence" (Bild: Andreas Fux)
Andreas, unter einem queer.de-Tweet über dein neues Fotobuchprojekt "Innocence" war sinngemäß der Kommentar zu lesen: "Uff, 'unschuldig' finde ich jetzt aber unpassend gewählt". Was antwortest du auf sowas?
Na ja, als ich 2005 "Die Süße Haut" veröffentlicht habe, kamen deutlich heftigere Kommentare. Da haben sich die Leute bei Amazon richtig ausgetobt. Wenn man keine Kritik ertragen kann, darf man seine Bilder nicht veröffentlichen. Aber der "Innocence"-Titel ist natürlich auch ironisch. Ich hab das Buch selbst schon ein paarmal verschenkt und beim Signieren ein Fragezeichen hinter das "Innocence" gemacht und "Nein, guilty" drunter geschrieben. Unschuldig sind die Foto-Abende in meinem Atelier ja nicht unbedingt. Da passiert schon allerhand.
Was denn zum Beispiel?
Das kommt auf die Modelle an, und worauf sie sich einlassen. Die Fotos in diesem Buch sind fast alle nachts in meinem Atelier entstanden, ohne großes Team, nur mit mir, den Modellen und manchmal noch einer dritten Person. Es geht darum, das Studio für die Dauer der Nacht zu einem kleinen Tempel zu machen, das hat tatsächlich ein bisschen was Heiliges. Aber wir haben keinen Auftrag. Wenn nichts dabei rauskommt, können wir die Kamera meinetwegen auch wieder einpacken und weiter trinken, Drogen nehmen oder ein andermal fotografieren.
Wo findest du deine Modelle?
Als ich 1996 mit den Fotoserien angefangen habe, hab ich sie vor allem im Berliner Tätowierladen Blut & Eisen gefunden. Da steckte die Idee hinter, dass ich mich mit den Leuten öfter mal treffe, um zu sehen, wie's mit ihnen weitergeht und wie die Körpermodifikationen voranschreiten. Den jungen Mann, der sich am Anfang des Buches auf der Terrasse räkelt, hab ich zum Beispiel über einen Zeitraum von 15 Jahren immer wieder fotografiert. Einmal brachte er seinen Bruder mit, dann haben wir eine Serie gemacht, wo er von oben bis unten mit Ölfarbe angemalt war, dann war er verkleidet wie eine Puppe, dann wieder einfach nur nackt. Im Grunde stand mir jedes Mal ein fremder Mann gegenüber. Dieser Aspekt macht die Fotos in "Innocence" aus. Es geht es um Identität und Persönlichkeit. Die Spannung der Bilder kommt von den Models.
Du hast Ende der Achtziger in der DDR angefangen zu fotografieren. Beobachtest du, wie sich Identitäten und Persönlichkeiten im Laufe der Zeit verändert haben?
Ja, auf jeden Fall. Damals war eine Tätowierung zum Beispiel etwas viel Besondereres. Da gab es Leute, die fingen mit einer Idee an und haben damit drei, vier Jahre gearbeitet. Heute lerne ich 19-Jährige kennen, die sind schon von oben bis unten behackt. Der Stil und die Art, wie Tätowierungen gemacht werden haben sich völlig verändert. Auch das Tattoo-Studio als Heiligtum hat nicht mehr den früheren Status. Heut gucken sich die Leute auf Youtube an, wie man Tätowierungen macht, und stechen sie sich gegenseitig selbst. Ein anderer Punkt ist dieses Internet und Instagram. Da ist mir bei vielen Leuten selbst nicht mehr klar, ob die nun schwul oder hetero oder was auch immer sind. Vordergründig spielt das heute gar keine Rolle mehr. Außerdem gibt es auf einmal tierisch viele Leute, die sich fotografieren lassen oder selbst fotografieren wollen. Wenn ich einen Account eröffnen würde, könnte ich permanent Leute anfragen, die mitmachen würden. Aber ich mach ja keine Fotos, um das Internet vollzustellen. Ich hab nicht mal einen Instagram-Account.

Der Bildband "Innocence" ist bei Salzgeber erschienen
Hat sich dein Verhältnis zum Wert von Fotos durch die Verbreitung der digitalen Fotografie verändert?
Nein, eigentlich nicht. Trends haben mich nie wirklich interessiert. Ich find das zwar toll, wenn Fotografen heute durch Berlin laufen und so frei sind, bei Sachen, die sie beobachten, jederzeit abzudrücken, aber ich selbst hab so nie gearbeitet. Das wäre nicht mein Stil. Ich bin eher derjenige, der nie eine Kamera dabeihat, sondern immer verabredete Termine macht. Ich hab auch am Anfang von Photoshop, wo auf einmal alle meinten, ich müsse mich für die Karriere an Photoshop ranmachen, nicht mitgezogen. Ich komm halt aus der uralten Schule, entwickle meine Filme selber und mache Papierabzüge. Das war gerade bei dem neuen Buch noch mal ein großes Thema.
Inwiefern?
Als wegen Corona keiner vorbeikommen konnte oder wollte, habe ich die Zeit genutzt, um meine Ordner durchzugehen und Negative aus den letzten 30 Jahren rauszusuchen, die ich noch nie vergrößert oder veröffentlicht hatte. Während viele andere mit ihren Fotoapparaten durchs leergefegte Berlin liefen und es überall hieß "Ah, das ist jetzt die Zeit der Fotografen", bin ich zurück in meine Dunkelkammer und hab mich mit Sachen beschäftigt, die mir Freude machen. Ein Negativ nach dem anderen hab ich durchgekloppt, bis keins mehr übrig war, das noch nicht vergrößert wurde. Danach war ich teilweise selbst überrascht, wie gut viele Motive zusammenpassen. Manche Bilder von Mitte der Neunziger kannst du neben Bilder von heute stellen, und sie hätten auch am gleichen Tag entstanden sein können. Es war schnell klar, dass daraus ein Buch werden musste.
Neben deiner künstlerischen Arbeit machst du ab und zu Mode-Fotos für Fetisch-Unternehmer wie SAR und Rubbergear. Worin unterscheiden sich solche Aufträge von den heiligen Nächten?
Mit den Latex-Shootings ging es Anfang der Neunziger los. Damals fing Blackstyle bei mir um die Ecke im Prenzlauer Berg an. In dem Laden wurde Tag und Nacht gearbeitet, da hab ich mal geklopft und gefragt, wer bist du denn. Dann kam: "Ich hab hier so Latex-Sachen, da kannst du ja mal zwei, drei Sachen fotografieren." Damit fing es an. Das Latex hat also quasi mich gefangen, ich hab es nicht gesucht. Bei den Mode-Shootings geht es eher um tolle Körper und professionelle Darstellung der Klamotten, weniger um Identität und Persönlichkeit.
Die Nähe, die die Fotos in "Innocence" auszeichnen, fehlt bei Mode-Shootings also?
Ja, die entsteht erst dadurch, dass ich in meinem Atelier einen Raum schaffe, wo die Modelle und ich uns völlig aufeinander einlassen. Das ist was anderes, als wenn es zusätzlich um Klamotten oder ein bestimmtes Umfeld geht. Es ist auch was anderes, als wenn du zu den Leuten nach Hause gehst und sie in ihrer eigenen Privatsphäre fotografierst. Da entstehen völlig andere Bilder. Ich hab das früher mal probiert, war mit den Ergebnissen aber überhaupt nicht einverstanden. Seitdem finden die Shootings bei mir im Studio statt. Diese Herangehensweise war immer der Unterschied zwischen mir und Sven Marquardt, der die Modelle nie in seiner Wohnung haben wollte, sondern immer mit ihnen an bestimmte Orte ging.
Du hast in der Vergangenheit mehrfach in Russland fotografiert, hast dich bei Facebook auch schon oft über den Ukraine-Krieg geäußert. Bekommt ein Projekt wie "Innocence" unter den Vorzeichen der instabilen politischen Weltlage eine neue, gegebenenfalls politischere Aussage?
Nee, mit dem Ukrainekrieg bringe ich das Buch nun wirklich nicht in Verbindung. Ich will da auch nicht im Nachherein eine politische Komponente reinholen, auch wenn sie in meinem Alltag spürbar ist. Ich kenne viele Leute, die in den letzten Jahren aus Moskau und St. Petersburg weg sind, weil sie dort unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr leben wollten. Viele Schwule sind nach Finnland, teilweise auch nach Berlin gegangen. Die leiden wie verrückt unter dem russischen Überfall auf die Ukraine. Andere Bekloppte finden das toll.
Ich persönlich hab aber keine Angst vor Moskau. Meine Meinung ist: Wenn's knallt, dann knallt's. Diese Situation hatten wir schon in den Achtzigern. Da war auch immer das Grundgefühl, dass jederzeit irgendwo was hochgehen kann, daran fühle ich mich gerade sehr erinnert. Aber als Fotograf bin ich eher mit mir selbst beschäftigt. Da darf von mir aus gerne der Betrachter der Kurator sein und Bezüge zu Dingen herstellen, die gerade aktuell sind.
Das Erscheinen von "Innocence" wird begleitet von einer Andreas-Fux-Ausstellung, die vom 23. Juli bis 6. August in der Berliner Galerie Semjon Contemporary zu sehen ist (queer.de berichtete). Der Fotoband ist unter anderem erhältlich im Salzgeber.Shop.
Andreas Fux: Innocence. Bildband. 128 Seiten. Ca. 78 Fotografien in Duoton/Farbe. Salzgeber Buchverlage. Berlin 2022, Gebundene Ausgabe: 49 € (ISBN 978-3-95985-639-3)

Links zum Thema:
» Mehr Infos zum Bildband und Bestellmöglichkeit im Salzgeber.Shop
» Ausstellung in der Berliner Galerie Semjon Contemporary
» Homepage von Andreas Fux
Ach, das ist schon gut so. Durch das niedrigere Gatekeeping in dem Bereich konnte sogar ich mir was stechen lassen. Und mit sowas wie mir würden sich Menschen, die diese Art Heiligtum verteidigen, nie abgegeben haben. Dank der Trendwende war der Level an Abfälligkeit und Verachtung aushaltbar.
"Ich hab nicht mal einen Instagram-Account."
Ist auch besser so, ist zu fast 100% ein Überwachungstool, wird aber wohl noch ein paar Jahre dauern, bis mehr als einer Handvoll Nerds dämmert, dass das ein Problem sein könnte.
"Ich persönlich hab aber keine Angst vor Moskau. Meine Meinung ist: Wenn's knallt, dann knallt's. Diese Situation hatten wir schon in den Achtzigern. Da war auch immer das Grundgefühl, dass jederzeit irgendwo was hochgehen kann, daran fühle ich mich gerade sehr erinnert."
Und ganz ehrlich... das Leben als marginalisierter Mensch funktioniert jeden Tag so, aber jeden Tag vor Angst handlungsunfähig zu sein, ist halt einfach nicht gesund. Über die teils hochgradig irrationalen Reaktionen der Normalos kann man stellenweise echt nur den Kopf schütteln.