Sollten politische Parteien an CSDs teilnehmen dürfen? Veranstalter*innen einzelner CSDs haben sich dagegen entschieden. Es gibt viele Argumente, kritisch gegenüber Parteien aufzutreten. Doch ein Ausschluss von Parteien kann nicht die Lösung sein.
Dass CSDs schon immer in einer gewissen Distanz zu Parteien standen, hat mit ihrem Charakter zu tun. Denn zivilgesellschaftliche Bewegungen kommen nicht aus den Parteien selbst heraus. Sie entstehen vielmehr dann, wenn Parteien sich um diese Anliegen zu wenig gekümmert haben. Dies gilt für "Fridays for Future", es galt für die Student*innenbewegung der 1960er Jahre und für die kurzlebigen kapitalismuskritischen "Occupy"-Proteste.
Nun sind queere Akteur*innen in Deutschland viel komplexer strukturiert und länger existent, als die anderen genannten Bewegungen. Aber auch wenn diese zivilgesellschaftlichen Proteste nicht aus Parteien heraus entstanden sind, sollten Parteien dennoch Teil von jenen sein dürfen.
Parteiwerbung wird als solche erkannt
CSDs sollten die Vielfalt des queeren gesellschaftlichen Lebens abbilden. Dazu gehören auch Parteien. Immer wieder wird gegen die Teilnahme von Parteien argumentiert, dass sie für sich keine Werbung machen sollten. Damit unterstellt man aber den teilnehmenden Menschen unterschwellig, man halte sie nicht für fähig, Werbung einzelner Organisationen kritisch zu betrachten. Wenn jemand eine Fahne einer Partei sieht oder eine Rede hört, führt das noch längst nicht zur Wahl dieser Partei. Auch wissen die meisten queeren Menschen zwischen parteilicher Werbung und gesellschaftlicher Realität zu unterscheiden.
Es gibt zu Recht viel Kritik an der Kluft zwischen parteilichen Versprechungen und dem Handeln der einzelnen Parteien. Dass es in den Parteien queere Vorfeldorganisationen gibt, bedeutet aber nicht, dass diese in einem vielstimmigen Konzert einer Partei automatisch den Ton angeben. Denn Parteien, so sie denn nicht Klientelparteien sind, versammeln viele unterschiedliche gesellschaftliche Interessen in sich. Sie müssen im Inneren einen Kompromiss der Positionen finden und schaffen so gesellschaftliche Rückbindung.
Auch wenn Parteien in ihren Programmen queerfreundliche Positionen haben, können sie diese manchmal ohne parlamentarische Mehrheiten nicht umsetzen. Das soll nicht berechtigte Kritik gegenüber Parteien neutralisieren. Aber es ist wichtig, die Funktionsweisen von Parteien in dieser Debatte nicht außen vor zu lassen. Durch einen Ausschluss von einem CSD werden Parteien queeren Positionen jedenfalls nicht schneller durchsetzen können.
Nur Verfassungsfeinde haben auf dem CSD nichts zu suchen
Parteien vertreten gelegentlich auch Positionen, die einzelne Teilnehmende eines CSD nicht teilen. Doch das liegt im Wesen einer Partei, die immer nur einen Ausschnitt einer Gesellschaft abbilden kann. Sie deswegen auszuschließen ist ebenfalls schwierig. Sicherlich endet die Toleranz dort, wo die verfassungsmäßige Ordnung nicht mehr gilt.
Dass die AfD im Vergleich zu den anderen demokratischen Parteien in Deutschland einen gesonderten Fall darstellt, ist offensichtlich. Sie ist in Teilen ein Fall für den Verfassungsschutz und vertritt unter anderem auch eindeutig queerfeindliche Positionen. Sie selbst erweckt oft den Eindruck, gar nicht an einer offenen Diskussion interessiert zu sein. Eine Teilnahme an einer Veranstaltung, die sich durch Freigeistigkeit auszeichnen sollte, erübrigt sich damit von selbst. Dennoch bleibt in Bezug zu anderen Parteien dann die Frage, wer entscheidet, welche Parteien ausgeschlossen werden sollen.
Ergebnis der queer.de-Wochenumfrage vom 4. bis 11. Juli 2022
Die Frage eines generellen Ausschlusses von Teilnehmenden von einer Veranstaltung ist der härteste Schritt im Umgang miteinander. Dadurch wird eine Diskussion unmöglich gemacht. Und dies besonders bei Veranstaltungen, die darauf stolz sind, offen und einladend sein zu wollen. Es darf überdies nicht vergessen werden, dass der Ausschluss von politischen Parteien nicht etwa eine "Politik-freie" Zone schafft. Solch ein Ausschluss stellt an sich schon eine politische Aussage dar. Sie hat ebenfalls politische Folgen für alle, die mitlaufen und sich so mit Ausschlüssen von Akteur*innen solidarisieren.
Es ist ebenfalls nicht zielführend, wenn Menschen, die auf einem CSD für eine Partei auftreten wollen, stattdessen teilnehmen, ohne dass ihre Parteimitgliedschaft erkennbar wird. Denn diese Menschen müssen gerade als Parteimitglieder sichtbar, ansprechbar und letztlich verantwortlich für die Politik ihrer Parteien sein. Wenn auf CSDs verlangt wird, dass Parteivertreter*innen keinerlei Zeichen ihrer Partei tragen dürfen, stellt sich die Frage, ob dies auch für andere teilnehmenden Gruppen oder Organisationen gilt, mit dem einzelne Besucher*innen eines CSDs ein Problem haben könnten, weil sie in bestimmten Fragen eine andere Meinung haben.
Parlamentarische Demokratie braucht Parteien
Dies führt zu einem anderen gewichtigen Argument. Nämlich der Frage, welchen Charakter CSDs eigentlich haben sollen. Sind sie reine Spaßveranstaltung oder politische Paraden? Beides ist möglich und legitim. Wenn es vorrangig um Spaß ginge, bräuchte es keinen Ausschluss von Parteien. Dann wäre es ohnehin sinnlos, wenn sie teilnehmen würden. CSDs sollten jedoch zumindest teilweise auch politisch sein. Denn es gibt noch zu viele ungelöste Probleme für queere Menschen in der Gesellschaft, die nur durch politische Regelungen zu lösen sind. Dann sollten doch aber erst recht Parteien als politische Akteur*innen an CSDs teilnehmen.
Gesellschaftliche Veränderungen im parlamentarischen System können einzig und allein durch Parteien umgesetzt werden – solange man nicht ein anderes System durchgesetzt hat. Sie sind die Membran, durch die gesellschaftlicher Wandel, zumindest jenseits lokaler Aktivitäten, erst möglich wird. Daher ist es wenig zielführend, Vertreter*innen dieser Organisationen vom Geschehen des CSD von vornherein auszuschließen.
Vielmehr sind Parteien und die Zivilgesellschaft gesellschaftliche Player mit einer Wechselwirkung. Beide senden und empfangen Signale. Daher sollte die Existenz von Parteien auf solchen Veranstaltungen dazu genutzt werden, diese möglichst zu sensibilisieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei liegt es schon im Eigeninteresse der Parteien, dass ihre Vertreter*innen auf einem CSD eher als Zuhörende denn als Verkündende auftreten sollten. Alles andere erhöht ihre Sympathie in der Wähler*innenschaft ohnehin kaum.
Teilnahme heißt nicht Verzicht auf Widerspruch
Der Wert einer Teilnahme an einer Veranstaltung ergibt sich aus der Begegnung mit anderen. Dies gilt für Zuschauende, die sich bisher wenig mit queeren Fragestellungen befasst haben, wie auch für Parteien. Es ist für eine Partei, die möglicherweise noch Schwierigkeiten damit hat, Diversität in all ihren Formen sehen zu können, sinnvoll, damit im echten Leben in Kontakt zu kommen. Es ist allemal besser, als nur in ihren Hinterzimmern im eigenen Saft schmorend an Programmen zu feilen, die nur die eigene Klientel sich gegenseitig unterhakend liest. Selbsteinkapselung scheint zwar die eigenen inneren Kräfte zu stärken. Doch sie isoliert von gesellschaftlichen Realitäten. In umkämpfte Bereiche, in denen Minderheiten leiden, wagt man sich so ohnehin kaum vor.
CSDs sollten eigentlich Ausdruck einer kritischen und lebendigen Zivilgesellschaft sein. Sie sollten ein Ort sein, an dem Parteien eine Reaktion aus erster Hand auf ihr Verhalten bekommen. Eine Berechtigung zur Teilnahme bedeutet für Parteien nicht, dass dort unkritisch mit ihnen umgegangen werden soll. Wer sich als Partei auf einen CSD begibt, muss mit Widerspruch rechnen.
Kontra: Keine Parteien auf dem CSD! (31.07.2022)