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Kommentar

Richter Gegenwart urteilte wie ein Strafgericht der Vergangenheit

Das Urteil gegen den schwulen geflüchteten Algerier Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari ist dazu geeignet, den Glauben an den Rechtsstaat zu erschüttern – weit über die LGBTI-Community hinaus.


Symbolbild: Richter mit traditionellem Richterhammer in den USA (Bild: ekaterina-bolovtsova / pexels)
  • Von Thomas Kolb
    24. August 2022, 13:05h 31 5 Min.

Die Klage des schwulen geflüchteten Algeriers Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (nach Ablehnung seines Antrags auf Asyl durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, im ersten Verfahren) ist am Dienstag durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main abgewiesen worden (queer.de berichtete).

Richter Andreas Gegenwart macht seinem Familiennamen weder mit dem Urteil noch mit der Art, wie es zustande kam, eine Ehre. Seine Art zu verhandeln hat mit Gegenwart wenig zu tun. Finstere Vergangenheit würde es eher treffen. Man wähnt sich vor einem Strafgericht im Kaiserreich, nicht vor einem deutschen Verwaltungsgericht im Sommer 2022. Die Übergänge zwischen Urteilen und Aburteilen sind bei Richter Gegenwart fließend. Doch der Reihe nach.

Ein voreingenommener Richter

Die Voreingenommenheit des Richters offenbart sich, wenn er im Urteil und der dazu gehörenden Pressemitteilung den Klagenden zum notorischen Asylbetrüger stempelt, indem er anführt, dieser habe "als Minderjähriger erfolglos mehrere Asylanträge gestellt, die sämtlich erfolglos geblieben waren". Er verschweigt dabei bewusst, dass dieser Umstand dem Geflüchteten gar nicht zugeschrieben werden kann, da damals seine Eltern für ihn entschieden hatten. Abdelkarim kam im Alter von fünf Jahren erstmals nach Deutschland! Keinesfalls ein Versehen des Richters – der Anwalt des Algeriers musste ihm das Zugeständnis dieses Umstands in der Verhandlung in einer zähen Diskussion abringen. Nun unterschlägt das Gericht diesen Umstand in Urteil und Pressemitteilung erneut. Wie kann jemand dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Eltern für einen Asyl beantragen, wenn man selbst noch ein fünfjähriges Kind war (bzw. zum Zeitpunkt der Abschiebung zehnjährig)?

Seine Unzugänglichkeit für gute Argumente verdeutlichte Richter Gegenwart auch gleich zu Beginn mit seiner Ablehnung, die Verhandlung in einen größeren Saal zu verlegen, damit alle Interessierten zuhören können. Die Öffentlichkeit sei durch die bereits Anwesenden gewahrt – mehrere Interessierte durften nicht in den Saal mit seinen begrenzten Sitzplätzen.

Das Urteil stand von vornherein fest

Gegenwart gab sich aber auch danach keine Mühe, den Eindruck zu entkräften, das Urteil stünde von vornherein fest. Er machte und macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Ihm lägen schon genug Berichte und Gutachten vor, allesamt von 2020 und früher, u.a. vom Auswärtigen Amt – mit diesem Argument wischte er einen Antrag des Klägeranwalts vom Tisch, einen hochangesehenen Rechtsprofessor aus Gießen als Gutachter zu beauftragen, ebenso Algerien-Berichte neueren Datums des GIGA Instituts und des britischen Foreign Office.

Reiner Zufall natürlich, dass die älteren (besser: veralteten) Berichte alle zu Ungunsten des Algeriers sprechen, die aktuellen Berichte, die den Richter nicht interessieren, dagegen eher zu dessen Gunsten. Sonst hätte er vielleicht die Massenverhaftungen queerer Menschen bei einer als schwulen Hochzeit beschriebenen Feier sowie anschließende Verurteilungen zu Haftstrafen in Algerien im Jahr 2020 berücksichtigen müssen. Der Kläger habe ja nicht vor, in Algerien eine "homosexuelle Hochzeit" in Algerien zu feiern, also gäbe es auch kein Problem, schreibt der Richter dem jungen Algerier sinngemäß ins Stammbuch. Dabei hatte dieser ausdrücklich erklärt, er werde sich mit seiner Homosexualität nie wieder verstecken. Gehören Feiern mit schwulen Freunden nicht zum offen schwulen Leben?

Von einer heteronormativen Gesellschaft, "bei der die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigungen auch unter heterosexuellen Paaren unüblich und verpönt sei", spricht das Gericht, um zu begründen, warum man die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nicht heranziehen könne, die für den Geflüchteten sprechen würde. Das heißt das EUGH-Urteil könne man nur heranziehen, wenn der Geflüchtete mit seiner Sexualität eine größere Zurückhaltung üben müsse als heterosexuelle Paare, was nicht der Fall sei. Aber auch hier werden wieder wichtige Aspekte unterschlagen, nämlich dass heterosexuelle Paare in Algerien ihre Zuneigung durch Heirat legalisieren können und es dort keine Gesetze gibt, die spezifisch Heterosexualität unter Strafe stellen. Bei heterosexuellen Hochzeitsfeiern kommt es zu keinen Polizeirazzien mit Verhaftungen, bei queeren Feiern sehr wohl! Wir wiederholen uns: Urteilsfindung allein auf Grund von Tatsachen, die gerade in den Kram passen!

Ein Richter als selbsternannter Algerien-Experte

Als wäre das nicht genug, schwingt sich Richter Gegenwart zum selbsternannten Algerien-Experten auf, indem er behauptet, in dem Land würde schon auf Grund fehlender Deutschkenntnisse kaum jemand mitbekommen, dass der Kläger inzwischen im Fernsehen, auf CSDs und bei anderen Gelegenheiten als offen schwuler Mann in Erscheinung getreten und dabei für queere Rechte in Algerien eingetreten ist. Worauf sich seine Annahme stützt, diese Erklärung bleibt der Richter schuldig. Dass autoritäre Regime systematisch über ihre Botschaften kritische Staatsbürger*innen überwachen und die Medien diesbezüglich akribisch auswerten, dass in Algerien Tausende ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter*innen leben, die fließend sächseln – geschenkt! Die Gefährdung des Geflüchteten durch die eigene Familie in Algerien, die Deutsch spricht und mit Sicherheit die Berichte über sein Auftreten als schwuler Mann und Kritik an der Homophobie in Algerien mit all ihren Auswüchsen mitbekommen hat, wäre ein Aspekt, auf den der Richter freiwillig nie kommen würde. Sonst würde ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2019 zugunsten des Algeriers greifen.

Doch warum sich auf Fakten berufen, wenn man auch das eigene Unwissen heranziehen kann? Wenn sich Gerichte auf freie Spekulation ohne jeglichen Beleg stützen, verfließen jedoch die Grenzen zwischen Recht und Willkür.

Die Bundesinnenministerin muss endlich handeln

Vor diesem Richter Gnadenlos (seine Ablehnungsquote bei Asylklagen liegt ähnlich hoch wie die Verurteilungsquote in Strafprozessen in Nordkorea) hatte Bendjeriou-Sedjerari zu keinem Zeitpunkt eine Chance. Nicht unwesentlich ist dabei der Umstand, dass er in dieser Sache bereits das zweite Mal vor demselben Richter saß und dieser offenbar nicht bereit war, seine vorgefertigte Meinung anhand weiterer und neuerer Tatsachen zu verändern.

Das Urteil von Frankfurt ist dazu geeignet, den Glauben an den Rechtsstaat zu erschüttern – weit über die LGBTI-Community hinaus.

Aber auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) muss sich fragen lassen, warum das ihr unterstelle BAMF weiterhin queeren Flüchtlingen zumutet, in Verfolgerstaaten ihre Sexualität in ständiger Angst, Gefahr und im Verborgenen zu leben. Wie lange könnten Sie Ihre Sexualität verbergen, Frau Faeser? Ihre scheinbare Absicht, beim BAMF zu Gunsten von queeren Geflüchteten nichts zu verbessern, haben Sie vor der Bundestagswahl jedenfalls recht gut verborgen!

#1 FtheSystemAnonym
  • 24.08.2022, 13:29h
  • Es ist zum Haareraufen. Es sei der Hinweis erlaubt, wer das durchsetzen wird. Nämlich die Polizei. Ohne Fragen zu stellen. Und wenn, dann machen sie es trotzdem. Aber solange Regenbogenfahnen vor Ministerien und Polizeistationen wehen, ist ja alles gut. Gays dürfen schließlich heiraten und es gibt queere Politiker*innen. /s Gleichzeitig schickt das System queere Menschen in die Lebensgefahr oder den sicheren Tod. Fundamentale Staats- und Polizeikritik gehört sowas von auf Pride-Demos, erzählt mir keinen Mist.
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#2 UnerträglichAnonym
  • 24.08.2022, 14:40h
  • Deshalb bleibe ich dabei, auch wenn es gleich wieder gebetsmühlenartig kommt, es ändere sich ja was und bla bla bla: Weder Parteien, noch die Rechtsprechung, noch die Polizei (und Kirchen oder religiöse Verbände schon gar nicht) haben auf dem CSD eine Bühne zu bekommen. Und zwar solange nicht, bis Menschenrechte nicht nur als Marketing-Deckmäntelchen missbraucht, sondern als das angesehen und durchgesetzt werden, was sie sind und als was sie gelten müssen: Universell.
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#3 TimonAnonym
  • 24.08.2022, 14:45h
  • "dazu geeignet, den Glauben an den Rechtsstaat zu erschüttern"

    Glaubt denn noch irgendwer an den Rechtsstaat?

    Herr Scholz, immerhin unser Bundeskanzler, hat in einem der größten Finanzskandale der Geschichte, der den Steuerzahler viel Geld kostet, seltsame Erinnerungslücken.

    Frau von der Leyen löscht Nachrichten, die ihr offenbar unangenehm sind.

    Herr Lindner feiert eine mehrtägige Prunk-Hochzeit auf Sylt mit der gesamten Polit-Elite, während die Bürger zum Sparen aufgefordert werden und laut den Grünen nicht mal mehr jeden Tag duschen dürfen.

    Frau Roth rechtfertigt zuerst antisemitische Machwerke der documenta mit dem Verweis auf Kunstfreiheit (und kapiert nicht, dass alle Freiheitsrechte dort enden, wo andere in ihren Freiheiten eingeschränkt werden). Und wenn der Shitstorm zu groß wird, ist plötzlich alles nicht so gemeint.

    Alle Parteien, die uns die letzten 20 Jahre in die Gasabhängigkeit geführt haben und dafür sogar die deutsche Solarindustrie mit tausenden zukunftssicheren Jobs zerstört hat (CDU, CSU, SPD, FDP und auch Grüne) tun jetzt auf einmal alle so, als hätten sie nichts damit zu tun gehabt und erklären, was jetzt zu tun sei und wie viel Einschnitte die Bürger dafür ertragen müssten.

    Etc etc etc

    Sorry, aber was hat das alles noch mit Rechtsstaatlichkeit zu tun?
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