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Ausstellung in Berlin

Donatellos queerer Bronzedavid

Mit seinem Bronzedavid revolutionierte Donatello in der Frührenaissance die Kunstgeschichte. Florenz war damals das schwule Mekka Europas. Die Berliner Gemäldegalerie feiert den Künstler mit einer Ausstellung.


Donatellos Bronzedavid, von hinten und von vorn

Man beachte die linke Hand. Sie umklammert jenen kleinen Stein, der soeben den Gegner mit Hilfe einer Schleuder zu Fall brachte. Doch sie ist auch kokett in die Hüfte gestützt, das Gewicht aufs rechte Bein verlagert, das andere nach innen eingeknickt: eine sehr grazile, feminine Haltung. Zumindest sieht eine brachial-männliche Heldenpose anders aus. Die andere Hand hält das gegnerische Schwert, ohne mit großspuriger Geste aufzutrumpfen, während der Fuß des Spielbeins eher beiläufig auf dem abgetrennten Kopf von Goliath ruht. Doch so drastisch die Geschichte aus der Bibel, die hier erzählt wird, auch sein mag: Donatellos Skulptur lässt die Betrachtenden nicht wirklich erschaudern. Die Szene kommt eher leicht und spielerisch daher. Etwas bleibt rätselhaft.

Trägt David einen Helm? Es scheint wohl eher ein Schlapphut zu sein. Darunter quillt eine lockige Haarpracht hervor, die Krempe über die Stirn gezogen, den Kopf leicht nach unten geneigt, der Gesichtsausdruck verführerisch. Die Pose wirkt so, als hätte sich Randy Newman von ihr zu seinem Striptease-Song "You Can Leave Your Hat On" inspirieren lassen. Dass sich der junge David hier splitternackt zeigt, wird von der exzentrischen Kopfbedeckung und den Stiefeln in aufreizender Art noch hervorgehoben.

Bemerkenswert: Kurz zuvor fand ein Kampf auf Leben und Tod statt, doch dieser selbstbewusste Sieger weist nicht den Hauch einer muskulösen Statur auf; sein Körper zeichnet sich vielmehr durch zarte, weiche Rundungen aus. Von hinten lässt sich ihm kein eindeutiges Geschlecht zuweisen. Von vorne entpuppt er sich auf eine so individuell-moderne Art als androgyn wie kaum eine andere Skulptur der Kunstgeschichte. Dabei entstand dieser Bronzedavid bereits vor weit mehr als fünfhundert Jahren, nach neuesten Erkenntnisseen ungefähr um das Jahr 1445. Doch dazu später mehr.

Skulpturen, in denen sich queere Fantasien spiegeln

Donatellos Meisterwerk aus der Frührenaissance sollte nicht die einzige David-Skulptur bleiben, in der sich homoerotische oder in heutigem Wortsinne auch queere Fantasien spiegeln. Das nachfolgende Modell, das für die Kunstgeschichte von Belang war, wurde rund zwanzig Jahre später von dem – sehr wahrscheinlich homosexuellen – Künstler Andrea de Verrocchio gestaltet: auch ein sehr androgyner David, aber etwas muskulöser – nicht nackt, doch interessanterweise weist das Gewand an der Stelle der Brustwarzen Rosetten auf. Dabei dürfte es sich um ein extravagantes Alleinstellungsmerkmal handeln.


David-Skulpturen von Donatello, Verrocchio, Michelangelo und Bernini

Noch einmal rund vierzig Jahre später entstand die berühmteste aller David-Skulpturen: Michelangelos Monumentalstatue, die mehr als jedes andere Motiv im kollektiven Bildgedächtnis schwuler Männer verankert ist. Von körperlicher Ambiguität ist nichts mehr übrig: Dieser David strotzt nur so vor Muskeln und Virilität. Und auch bei ihm dominiert die erotische Ausstrahlung, nur verkörperte er eben einen rundum kernigen Typus von Männlichkeit.

Allein diese Bandbreite von David-Darstellungen vermittelt eine Ahnung davon, wie divers die Männerideale sowie die ausdifferenzierten sexuellen Präferenzen waren, die die Renaissance hervorbrachte. Ein Jahrhundert später, im Jahr 1623 (der Zeitpunkt wird bereits dem Barock zugeordnet), entwirft Gianlorenzo Bernini einen durch und durch kantigen David, der von sexueller Zweideutigkeit nichts mehr an sich hat. Die Angriffshaltung macht deutlich, dass hier allein das Ringen um den Sieg bedeutsam ist.

Das schwule Mekka Florenz

Bernini ist bis dahin übrigens der einzige Künstler in der Serie bedeutender David-Schöpfungen, dem zweifelsfrei eine heterosexuelle Orientierung zugesprochen werden kann. Bernini lebte und wirkte im barocken Rom – all seine Vorgänger jedoch im Florenz der Renaissance, dem damaligen schwulen Mekka. Das Adjektiv "schwul" sei hier verwendet, auch wenn der Begriff missverständlich ist, da es zu damaliger Zeit noch keine schwule Identität gab. Homosexualität wurde dennoch gelebt, wenngleich eher versteckt und kaum in langfristigen Beziehungen. Dennoch blühte eine Subkultur, gegen die sich gleichwohl eine Gegenbewegung formierte.

Von beidem legt eine 1492 durch das städtische Strafgericht durchgeführte "Säuberung gegen das Laster der Sodomie" Zeugnis ab: In einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren wurden in Florenz 44 Männer wegen homosexueller Beziehungen verurteilt – die entsprechenden Kontakte hatten sich laut Gerichtsakten in Tavernen, Bädern oder Kasinos angebahnt. In Europa war eine solche Subkultur einzigartig.

Noch bis vor einem Jahrhundert galt Florenz in der gesamten westlichen Hemisphäre als Inbegriff für mann-männlichen Sex. Oscar Wilde ließ in seinem Drama "Eine florentinische Tragödie" seinen inneren Clinch zwischen homosexuellem Begehren und dem Selbstanspruch auf Erfüllung heteronormativer Erwartungshaltungen austragen. Im altdeutschen Sprachgebrauch war das Wort "florenzen" ein Synonym für Analverkehr unter Männern. Doch vor allem in der Kunst der Renaissance lässt sich seit jeher die Freiheit homoerotischer Lust entdecken – wenngleich in sublimierter Form, meist nur für Eingeweihte erkennbar.

Eine Feder schmiegt sich Richtung Hinterteil


Eine Feder, die Fantasien weckt

Als die Familie Medici den Bronzedavid bei Donatello in Auftrag gab, sollte es selbstverständlich nicht vordergründig um Homosexualität gehen, sondern um Kunst, die sich mit politischer Symbolik verband: David als Allegorie für die Stadt Florenz, die sich gegen Großmächte wie Mailand und Neapel zu behaupten hatte. Dass es Donatello dennoch gelang, seine Skulptur unterschwellig mit homo­erotischer Bedeutung aufzuladen, kommt einer einzigartigen kulturellen Leistung gleich – mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass er mit seinem David die erste frei stehende Statue seit der Antike schuf, die einen männlichen Akt in Lebensgröße zeigt.

Ob vom Künstler so beabsichtigt oder nicht: Die zahlreichen homo­erotischen Interpretationen des Kunstwerks sind nicht nur gewitzt, sondern wirken allesamt auch plausibel. Als besonders gewagt – aber keineswegs unwahrscheinlich – gilt die Annahme, dass Donatello die biblische Geschichte mit der Vorstellung von deftigem Sex unter Männern verband. Eine Anspielung darauf lässt sich auf dem Helm des Goliath zu Füßen Davids finden: von dort schmiegt sich eine Feder zwischen den Unterschenkeln des Siegers in Richtung Hinterteil empor. Die Feder wird zudem auch als ein Hinweis auf die homo­erotische Verbindung von Zeus in Gestalt eines Adlers mit dem Jüngling Ganymed gedeutet.

Der New Yorker Kunsthistoriker James Saslow interpretiert an Donatellos Skulptur wiederum das abgetrennte Haupt Goliaths als Metapher dafür, dass dieser aufgrund seiner Verliebtheit in den viel jüngeren und körperlich unterlegeneren David "den Kopf verloren habe". Davids suggestive Pose scheint in der Tat zu bestätigen, dass er Goliath schlichtweg durch Verführung besiegt haben könnte.

Michael Rocke vom Harvard University Center for Italian Renaissance Studies sieht in Davids Schlapphut einen kodierten Verweis auf das in der florentinischen Subkultur beliebte "Hutspiel". Dabei handelte es sich um ein Cruising-Ritual in einer einschlägigen Gegend, bei dem Florentiner die Hüte von jungen Männern stahlen und diese erst wieder zurückgaben, wenn sie von deren Besitzern befriedigt wurden.

Ausstellung ignoriert queere Bezüge

Die queere Geschichte von Florenz und der Renaissance ist vielfältig, ihre Fäden ziehen sich bis in die Gegenwart – es ließe sich sicher auch für die aktuelle globale Lage aus der Vergangenheit einiges lernen. Doch aufgrund der Knappheit der Ressourcen können die einzelnen Facetten dieser Epoche nur mühselig herausgearbeitet werden. Es ist bedauerlich, dass sich das Interesse daran sehr in Grenzen hält und selbst queere Historiker*­innen sich in ihrem Blickfeld weitgehend auf die Zeit ab dem späten 19. Jahrhundert beschränken.

Daran vermag nun leider auch eine aktuelle Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie nichts ändern, die Donatello als "Erfinder der Renaissance" feiert, ohne dessen Sexualität oder das queere Leben seiner Zeit auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Es muss wohl schon als Fortschritt betrachtet werden, dass Donatello von dem Kurator Francesco Caglioti erstmals in einem Ausstellungskatalog als "nicht heterosexuell" bezeichnet wird – allerdings nur in der englischsprachigen Ausgabe der Distributed Art Press zur Schau im Bargello Museum Florenz. Dort nahm die gemeinschaftliche Aktion mit der Berliner Gemäldegalerie und dem Londoner Victoria and Albert Museum ihren Ausgang. Der im E.A. Seemann-Verlag auf Deutsch und Englisch erschienene Katalog ist gegenüber der italienischen Ausgabe weit weniger umfangreich.

Lange wurde in der Forschung mit Donatellos Homosexualität gehadert und auf fehlende Belege verwiesen. Historische Klatschgeschichten gab es indes genug. Im Jahr 1548 erschien ein Buch mit Anekdoten über den florentinischen Kreis von Cosimo de' Medici, dem Mäzen und Freund des Künstlers. Daraus ließ sich u.a. schließen, dass Donatello nicht nur homo­sexuell war – sondern auch berüchtigt dafür, sich in seine männlichen Models zu verlieben und sie wütend durch Italien zu verfolgen, wenn sie ihn verließen. Der Kunsthistoriker H.W. Janson hatte das Buch entdeckt und 1957 veröffentlicht. Auch wenn einzelne Details aufgrund der mangelnden Seriosität der Quellen übertrieben oder vielleicht sogar unwahr erscheinen – zumindest liefern sie Anhaltspunkte zum gesellschaftlichen Leben und zur öffentlichen Haltung gegenüber Homosexualität in dieser Zeit. Es hätte die Ausstellung in Florenz, Berlin und London bereichert und aufgewertet, wenn in den erläuternden Texten ein paar Hinweise zum queeren Leben in der Renaissance Platz gefunden hätten.

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In Berlin ist nur ein Gips-Abdruck zu sehen


Donatellos "Amor Attis"

Ein weiteres Defizit der Berliner Ausstellung ist, dass der Bronzedavid das Museum Bargello offenbar nicht verlassen durfte, weswegen in der Berliner Schau lediglich ein historischer Abdruck der berühmten Figur aus der Gipsabformerei der Staatlichen Museen zu sehen ist. Das kommt, wenn man das Original aus Florenz kennt und dann die vergleichsweise dürftige Kopie vor sich sieht, einer herben Enttäuschung gleich. Die zahlreichen Details zu den Interpretation des Werks lassen sich daran nur sehr schwer nachvollziehen.

Und dennoch ist die Ausstellung, die noch bis Anfang Januar 2023 läuft, äußerst sehenswert, schon allein aufgrund der zahlreichen Exponate aus dem Bestand von Museen aus aller Welt und selbst einiger Kirchen, die sich erstmals bereit zeigten, ihre Werke für eine Ausstellung herauszurücken. Es handelt sich um nicht weniger als die größte Donatello-Schau, die je in Deutschland gezeigt wurde. Sie liefert einen einzigartigen Einblick in das Gesamtwerk des Künstlers. Dieser hat sich in den unterschiedlichsten Techniken und Materialien probierte und war u. a. Wegbereiter für die Darstellung des individualisierten Gesichtsausdrucks: also des modernen Porträts.

Rund neunzig Originalwerke werden gezeigt, darunter ein jugendlicher Johannes der Täufer – so verletzlich, wie man ihn noch nie gesehen hat. Ein weiterer Höhepunkt ist der famose "Amor Attis" mit am Gürtel befestigten Hosenbeinen, das Geschlechsteil frei – doch was oder wen dieser singende und tanzende Knabe mit den Flügeln überhaupt darstellt, bleibt nebulös. Genauer muss man es vielleicht aber auch nicht wissen. Auch diese Ambivalenz hat etwas mit Queerness zu tun.

-w-

#1 GhibertiAnonym
  • 12.09.2022, 15:27h
  • Im Film zur Ausstellung, der denselben Titel trägt und auf arte.tv noch bis 2. Dezember zu sehen ist, wird recht freimütig über ein Liebesverhältnis zwischen Donatello und Brunelleschi spekuliert.
  • Direktlink »

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