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Roman

Schwule Liebe zwischen Demo und Hausbesetzung

Holger Brüns' neuer Roman "Felix" lässt die linksalternative Szene der 1980er Jahre auferstehen. Ein lesenswert schönes Zeitgemälde um eine nicht ganz einfache Beziehung zweier Aktivisten!


Symbolbild: Hausbesetzer*innen 1981 in Berlin-Kreuzberg (Bild: Tom Ordelman / wikipedia)

Göttingen im Jahr 1984: Tom, gerade frisch in seinen Zwanzigern angekommen, leistet seinen Zivildienst ab, als er Felix kennenlernt. Der ist mit Katja zusammen und gibt sich ziemlich unnahbar. Schnell werden die beiden Freunde, und es kommt, wie es kommen muss: Tom verliebt sich in Felix und alles wird komplizierter. Zwischen den politischen Themen der Zeit – der Anti-Atomkraft-Bewegung, Hausbesetzungen und der beginnenden Aids-Krise – entspinnt sich eine Geschichte um Liebe und Ideale, die der heutigen Gegenwart auf den Leib geschrieben zu sein scheint.

Die Geschichte wird oft als Geschichte der großen Männer mit großen Ideen wahrgenommen und erzählt, die in den Epizentren und den großen Städten allein den Fortgang der Ereignisse vorantrieben. Und auch in der Literatur wird häufiger auf all die Hamburgs, Westberlins und Kaliforniens der Welt fokussiert, als auf die scheinbar nebensächlichen Göttingens. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, so konstatiert Tom, der auch der Erzähler in Holger Brüns' neuem Roman ist, mit Blick auf seinen Wohnort Göttingen: "Nicht anders als in Freiburg oder Heidelberg, Tübingen oder Marburg."

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Wie politisch ist das Private?


Holger Brüns' Roman "Felix" ist im September 2022 im Albino Verlag erschienen

Und doch ist sie etwas Besonderes, die linke Szene der 1980er Jahre, die Brüns in "Felix" (Amazon-Affiliate-Link ) zum Leben erweckt. Das hat zweierlei Gründe: zum einen die Sprache, zu der wir weiter unten noch genauer kommen, zum anderen die zwischen aufdringlicher Nebensächlichkeit und unaufgeregter Zentralität oszillierende Bedeutung des Politischen im Leben der Figuren.

Göttingen liegt etwas in der Peripherie und doch mittendrin. Denn die politischen Fragen der Zeit sind für Felix, Tom und ihr soziales Umfeld eben keine lebensferne Hauptstadtpolitik, sondern reichen bis tief ins Private. Das geht bis zu den eigenen Gefühlen, die durchsetzt sind von den Ideologien der Gesellschaft, die sie mit geformt hat. Die Eifersucht in einer Beziehung, befindet Tom mehrfach, ist nur "eine bürgerliche Erfindung". Dadurch, dass er die Romangeschichte auf Ebene der Figurenpsychologie so eng mit der Zeitgeschichte verknüpft, gelingt es Brüns, den Bogen zu spannen von den großen Ideen zu den "normalen Menschen".

Direkt auf den ersten Seiten besitzt der Roman eine besonders starke, weil knappe und geraffte Sprache. Wie schon erwähnt, sorgt diese dafür, dass das geschilderte Milieu bzw. vor allem die Figuren in ihrem Denken und Fühlen, so eindrucksvoll erfahrbar sind. In sehr kurzen Sätzen, die teilweise gar stenographisch wirken, packt dieser Stil, der die Ruhelosigkeit der Zeit widerspiegelt, und zieht in die Handlung rein. Wenn Tom zum Beispiel ein Café beschreibt, dann sind seine Eindrücke genauso unausweichlich wie suggestiv. Von der Farbe der Wände zum Mobiliar zum "Duft von Kaffee und Zigaretten" braucht es nur zwei nicht lange Sätze.

Gehetzte Kälte und ie Zärtlichkeit der kleinen Momente


Holger Brüns (Bild: privat)

Brüns hatte bereits mit seinem Debüt "Vierzehn Tage" bewiesen, dass er gekonnt und einfühlsam erzählen kann (Kritik auf queer.de). Es ist daher nicht überraschend, dass er dies in "Felix" fortsetzt. Dennoch ist es beachtlich, dass sich dann aus der Knappheit, die die Dringlichkeit und Getriebenheit der politisch aktivistischen Raumzeit, in der Tom und Felix sich bewegen, einfängt, auch immer wieder Momente anrührender Zärtlichkeit entstehen. Die kleinen Beobachtungen, die Nebensächlichkeiten, die Tom immer wieder und nur ganz kurz nennt, klingen tief an. Vom Bellen der Hunde, das er vermutet, aber über die Musik nicht hört, bis zur von der Sonne aufgeheizten Teerpappe, die die darauf Sitzenden bis in die Nacht hinein wärmt. Die Sprache des Anfangs des Romans schafft es, sowohl die gehetzte Kälte als auch die Zärtlichkeit der kleinen Momente einzufangen.

Doch leider hält "Felix" das Tempo nicht. Etwa das erste Drittel des Romans ist von der beschriebenen Knappheit und zieht atemlos durch die Handlung. Dann lässt die Disziplin der Knappheit jedoch etwas nach und Tom verfällt in ein etwas ruhigeres, gesetzteres Erzählen. Seine Sätze werden etwas länger und verlieren insgesamt die Unruhe und den Drang des Anfangs. Nicht dass die Sprache völlig verdirbt, auch der Rest des Romans erfreut weiterhin; und auch von zum Beispiel einer reinen Mitteilungsprosa ist es weit entfernt. Es ist nur etwas schade, dass die wirklich überzeugende und mitreißende Sprache nicht konsequent durchgezogen wurde.

Liebe, Liebe, ewig gleich

"Felix" behandelt die Frage nach Freiheit. Auf der einen Seite geht es um die gesellschaftliche Freiheit, für die die linken Aktivisten auf die Straße gehen, um derentwillen Tom und Felix Demonstrationen organisieren. Auf dieser Ebene mag der Roman als Vergleichsfolie für aktuelle politische und gesellschaftliche Phänomene gelesen werden. Jedoch dürfte die Kontinuität des Kampfes ziemlich ernüchternd sein. Die Skepsis und der Zweifel, die in Toms Reaktionen auf viele der steilen Thesen um ihn herum mitschwingen, werden noch multipliziert, wenn alles bis in die Gegenwart und bis zu den wenig anderen Diskussionen und dringend notwendigen Wandel gedacht wird.

Auf der anderen Seite geht es aber auch um die Freiheit auf individueller Ebene, die Freiheit in der Liebe und in Beziehungen. Von der bürgerlichen Eifersucht bis zum Misstrauen, das als manipulierendes Gift des Kapitalismus wahrgenommen wird, sind die Figuren in "Felix" sich der Unausweichlichkeit sozialer Einflüsse stets bewusst und kämpfen gegen diese Zwänge an. Dass sich dabei auch wieder Parallelen zur Gegenwart ziehen lassen und Beziehungen in immer ähnlichen Bahnen verlaufen, sorgt aber für eine gewisse Beruhigung. So scheinen es gerade kulturell anthropologische Konstanten zu sein, die unsere Liebesbeziehungen prägen. Ob wir uns nun während der Anti-Atombewegung der 1980er Jahren geliebt haben – oder ob wir das während der Klimakrise der Gegenwart tun.

Infos zum Buch

Holger Brüns: Felix. Roman. 190 Seiten. Albino Verlag. Berlin 2022. Gebundenes Buch: 22 € (ISBN 978-3-86300-345-6).

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