https://queer.de/?43320
Roman
Eine schwule Sommerliebe in Paderborn
In seinem Debütroman "Ein verregneter Sommer" zeichnet Marcello Liscia das Bild des aus Norditalien stammenden Teenagers Luca, der 1958 als Saisonkraft in einer westfälischen Eisdiele arbeitet.

Symbolbild: Luca und Hans lernen sich 1958 in einer Paderborner Eisdiele kennen (Bild: music4life / pixabay)
- Von
25. September 2022, 10:58h 4 Min.
Es ist Anfang März 1958: Der 16-jährige Luca wird in wenigen Tagen für sechs Monate ins ferne Deutschland fahren – jenes Land, das er bis dato "immer nur mit Krieg in Verbindung gebracht" hatte. Dort wird er als Saisonkraft in der vom Ehepaar Signora Colomba und Signor Colombo betriebenen Eisdiele "Gelateria Itailana" arbeiten. Sie stellt mit ihren kulinarischen Spezialitäten im noch jungen und alles andere als multikulturellen Nachkriegsdeutschland eine Art Parallelwelt da: Für die italienischen Gastarbeiter*innen bietet sich hier die Möglichkeit, durch einen Espresso oder Cappuccino ein Stück Vertrautheit inmitten einer fremden und nicht selten feindseligen Kultur wiederzuerlangen. Den einheimischen Deutschen wird hier wiederum die bisher ungeahnte Weite und Vielfältigkeit der Welt vor Augen geführt.
Dieses Jahr aber läuft es denkbar schlecht für die Gelateria Itailana. Ein verregneter Tag folgt dem nächsten, sodass Kund*innen und damit die benötigten Umsätze ausbleiben. Doch des einen Pech ist des anderen Glück, und so bieten sich für Luca als Angestellter aufgrund der ausbleibenden Arbeit plötzlich ungeahnte Freiräume.
Verständigung trotz Sprachbarrieren

Der Roman "Ein verregneter Sommer" ist im September 2022 im Berliner Querverlag erschienen
Eines Nachmittags lernt er den gleichaltrigen Hans kennen, der von den italienischen Angestellten wahlweise "Anze" oder gleich "il bel biondo" – der schöne Blonde – genannt wird. Hans ist mit seiner forschen und unbekümmerten Art charakterlich das genaue Gegenstück zu Luca, der oft unsicher und schüchtern daherkommt. Damit hadert er sehr, ist ihm doch bewusst, wie wenig er damit dem Idealbild eines selbstbewussten und starken Mannes entspricht, dem hier in Deutschland ebenso gefrönt wird wie in der fernen italienischen Heimat.
Doch für Hans stellt Lucas Schüchternheit kein Problem dar, im Gegenteil: Sie scheint ihm sympathisch zu sein, ganz im Gegensatz etwa zum Machismo des Alphamannes Paolo, einem Kollegen Lucas, mit dem dieser sich ein Zimmer teilen muss. Auch wenn Luca und Hans sich aufgrund der Sprachbarrieren anfangs nur mit Händen, Füßen und ein paar Bruchstücken Latein verständigen können, scheint es eine Art nicht-sprachliche Verbindung zwischen ihnen zu geben. Nachdem sie sich über mehrere Wochen hinweg regelmäßig getroffen haben, kommt es schließlich zu ersten zaghaften Annäherungsversuchen zwischen den beiden Teenagern, die Luca zugleich genießt und verabscheut, hat er doch nicht zuletzt im Zuge seiner streng konservativ-katholischen Sozialisation gelernt, dass Zärtlichkeiten zwischen Männern zwangsläufig mit dem Fegefeuer gesühnt werden.
So versucht Luca – immer den internalisierten Blick des eigenen Vaters und des ihn seit der Kindheit begleitenden Priesters vor Augen – sich Hans zu entziehen. Doch dieser lässt nicht locker, sodass Luca letztlich keine Wahl bleibt, als sich mit seinen tiefsitzenden Ängsten auseinanderzusetzen.
Einfühlsames und plastisches Porträt

Marcello Liscia (Bild: Martin Synowzik / Querverlag)
Mit "Ein verregneter Sommer" (Amazon-Affiliate-Link ) ist Marcello Liscia ein gut geschriebenes und über weite Strecken auch spannendes Buch gelungen. Das im Zentrum des Romans stehende Leben der italienischen Arbeitsmigrant*innen wird einfühlsam und zugleich plastisch beschrieben, ebenso wie der konflikthafte und langwierige Prozess von Lucas innerem und schließlich auch äußerem Coming-out.
An manchen Stellen des Buches verliert die Story jedoch etwas an Glaubwürdigkeit und Authentizität: Etwa, wenn Hans nach einem homophob motivierten, gewaltvollen Überfall und einem darauffolgenden mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt offenbar nichts von seiner Frohnatur und Willenskraft eingebüßt hat und auch weiterhin nicht davor zurückschreckt, Luca in der Öffentlichkeit seine Zuneigung zu zeigen. Hier erlag Liscia offenbar zu sehr der Versuchung, aller umschriebenen Widrigkeiten zum Trotz eine letztlich empowernde und ermutigende Geschichte zu erzählen.
Auch ist das Ende der Story arg kitschig geraten, was der Autor eigenen Aussagen gegenüber dem""Westfalen-Blatt" zufolge nicht zuletzt als gesellschaftspolitisches Statement und damit sozusagen als utopischen Gegenentwurf genau so haben wollte.
So ist "Ein verregneter Sommer" aller aufgezeigten Schwächen zum Trotz eine alles in allem schön zu lesende Coming-of-Age-Geschichte geworden, der insbesondere im Bereich der queeren Jugendliteratur eine Leseempfehlung ausgesprochen werden kann.
Marcello Liscia: Ein verregneter Sommer. Roman. 304 Seiten. Querverlag. Berlin 2022. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-89656-319-4). E-Book: 9,99 €
Links zum Thema:
» Mehr Infos zum Buch und Bestellmöglichkeit bei amazon.de
» Leseprobe als PDF
» Homepage von Marcello Liscia
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthält Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de unterstützen: Kommt über einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhöht sich dadurch nicht.
















Viele Grüße
Marcello