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Slowakei
Bratislava: Zwei Tote nach Schüssen vor queerer Bar
Bei dem Angriff durch einen Unbekannten wurde auch eine Angestellte der Bar verletzt.

Die Polizei Bratislavas veröffentlichte dieses Bild ihres Einsatzes
- 12. Oktober 2022, 23:02h 5 Min.
Zu Updates springen: Mutmaßlicher Angreifer tot, Politik verurteilt Tat
In der Innenstadt der slowakischen Hauptstadt Bratislava ist es am Mittwochabend gegen 19 Uhr zu einem Schuss-Angriff vor – oder nach manchen Berichten auch in – einer queeren Bar gekommen. Nach Angaben der Polizei wurden zwei junge Männer unter 30, die Besucher der Bar waren, durch die Schüsse verletzt und starben noch vor Ort.
Eine dritte Person, offenbar eine Barangestellte, wurde ebenfalls verletzt und mit einer Schusswunde in ein Krankenhaus gebracht. Ihr Leben gilt nicht als gefährdet. Augenzeug*innen zufolge sollen bis zu zehn Schüsse gefallen sein. Der Angreifer, Berichten zufolge ein junger Mann, konnte fliehen.

Galerie des Portals aktuality.sk. Aktuelle Infos zu der Tat in den Updates unter diesem Artikel Blumen am Tatort am Donnerstagmorgen in einer
Die Bar Tepláren liegt in direkter Nähe der historischen Burg in der Altstadt. Die Polizei sperrte große Teile der Innenstadt ab und setzte einen Helikopter ein, konnte den unbekannten Täter aber zunächst nicht stellen.
Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Ein Sprecher der Polizei sagte, man prüfe derzeit vor allem ein Hassverbrechen oder ein persönliches Motiv als Hintergrund der Tat.
Queere Organisationen des Landes wie die Iniciatíva Inakosť oder der CSD der Hauptstadt änderten am Abend ihr Probilbild in sozialen Netzwerken in Schwarz. "Wir sind schockiert über die Nachricht über den Schussangriff und die Opfer in der Bar Tepláren, wo wir uns regelmäßig treffen", schrieb der CSD. (cw)
Update 13.10., 08.30h: Mutmaßlicher Angreifer tot
Die Polizei gab am Donnerstagmorgen bekannt, dass sie den mutmaßlichen Angreifer auf die Bar aufgespürt habe. Er sei tot. Weitere Details sollen folgen, Gefahr für die Öffentlichkeit bestehe nicht mehr.
Bei Twitter hatten Nutzer*innen in der Nacht auf ein inzwischen gesperrtes Konto hingewiesen, das den mutmaßlichen Inhaber, einen jungen Mann, auf einem Bild vor wenigen Wochen vor der Bar zeigte. In Tweets vor und nach der Tat scheint der Mann direkt auf den Angriff einzugehen.
Kurz vor der Tat wurde in dem Profil ein rechtsextremes Manifest mit antisemitischen und anti-LGBTI-Inhalten gepostet. Das 65-seitige Manifest und Tweets enthielten auch Verweise auf die Verschwörungstheorie des "Great Reset"; unter anderem Anders Breivik und Adolf Eichmann wurden als Vorbilder benannt. Eine offizielle Bestätigung, dass es sich um das Profil des mutmaßlichen Täters handelt, gab es zunächst nicht.
Update 10.40h: Präsidentin: Aus Worten werden Taten
Die linksliberale slowakische Präsidentin Zuzana Caputová betonte am Donnerstagmorgen, sie habe schon seit Jahren davor gewarnt, dass hasserfüllte Sprache zu Taten führen könne. Bei dem Angriff handle es sich nach aktuellen Erkenntnissen um ein Verbrechen aus Hass gegen die Minderheit der LGBTI-Community. "Um Hass, der lange Zeit durch dumme und unverantwortliche Äußerungen von Politikern geschürt wurde. Dieser Hass kostete unschuldige Menschenleben. Hört auf, bevor er mehr kostet."
Ministerpräsident Eduard Heger von der konservativen Protestpartei OLaNO schrieb am Morgen bei Twitter: "Ich verurteile aufs Schärfste einen Mord an zwei jungen unschuldigen Menschen, die letzte Nacht in der Hauptstadt #Bratislava von einem Teenager erschossen wurden. Keine Form von #Extremismus darf toleriert werden. #Demokratien sind ständigen Angriffen ausgesetzt, sowohl von außen als auch von innen. Wir müssen unser Möglichstes tun, um sie zu #schützen."

Die queere Iniciatíva Inakost hat inzwischen für Freitagnachmittag zu einem Trauermarsch zur Verurteilung von Hass gegen die LGBTI-Community aufgerufen
Laut diversen Medienberichten soll es sich bei dem mutmaßlichen Angreifer um einen 19-Jährigen, Juraj K., und um den Inhaber des rechtsextremen Twitter-Accounts handeln. Die Tatwaffe habe sein Vater, ein früherer Parlamentskandidat der inzwischen insolventen und aufgelösten rechten Kleinpartei "Heimatland", legal besessen. Im Forum 4Chan habe der mutmaßliche Angreifer in der Nacht geschrieben, dass er ein Attentat auf Heger habe durchführen wollen. Bilder und Ortsangaben legten nahe, dass er länger vergeblich auf den Ministerpräsidenten vor dessen Wohnhaus wartete.
Letzte Nachrichten des Mannes deuteten an, dass er sich das Leben nehmen wollte. Medienberichten zufolge fand die Polizei seine Leiche. Die nationale Polizeibehörde hat die Ermittlungen übernommen, sie werden geführt zu vorsätzlichem Mord mit einem besonderen Hassmotiv gegen eine Personengruppe. (cw)
Update 11.40h: LSVD-Reaktion
"Unsere Community ist erneut Ziel eines grausamen Terroranschlags geworden", schrieb der Lesben- und Schwulenverband am Donnerstagmittag. "Wir sind entsetzt und erschüttert. Unsere Gedanken sind bei den Opfern, der Verwundeten und allen Angehörigen und Freund*innen."
Die Tat habe sich an einem Ort ereignet, an dem sich LGBTI "besonders sicher fühlen sollten", so Bundesvorstand Alfonso Pantisani. "In solchen Situationen sagen wir immer wieder: Dieser Anschlag galt uns allen. Und das stimmt auch. Orlando, Dresden, Oslo und jetzt Bratislava: Wir werden wieder ermordet – und das mitten in Europa."
Unter Verweis auf Medienberichte zum mutmaßlichen Täter ergänzte Pantisano: "Rechter Hass und menschenfeindliche Ideologien sind in Europa wieder im Aufwind." Man erwarte, dass sich "jetzt Gewerkschaften, Unternehmen, Personen des öffentlichen Lebens und die gesamte Zivilgesellschaft" zu Wort meldeten. "Wir, die Community, brauchen jetzt diese Solidarität. Nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass LSBTI in Europa und auch in Deutschland sicher leben können."
Update 12.30h: Staatsanwaltschaft verspricht umfassende Aufklärung
Die Staatsanwaltschaft hat eine umfangreiche Aufklärung der Tat versprochen. "In diesem Moment werden andere Personen verhört, Beweise gesichert", sagte Sonderstaatsanwalt Daniel Lipšic. "Es werden weitere invasive und verfahrensrechtliche Maßnahmen ergriffen, damit diese Tat so umfassend wie möglich untersucht werden kann." Man gehe von einem Hassverbrechen aus; es gebe kein Indiz, dass der Mann seine Opfer gekannt habe.
Die Leiche des mutmaßlichen Angreifers sei von einem Spaziergänger gefunden worden, man gehe von einem Suizid aus, so Lipšic weiter. Weitere Details nannte er mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht.
Aktuellen Medienberichten zufolge zeigten Aufnahmen einer Videokamera, wie der Attentäter eine längere Zeit in der Nähe der queeren Bar gestanden habe. Dann habe er mit der Waffe, offenbar einer Pistole mit Laserpointer, auf die beiden Männer geschossen, die auf einer Bank vor der Bar saßen. Danach traf er die Barmitarbeiterin in einem Bein und flüchtete.

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