https://queer.de/?43495
Theater
Deutschland und Thailand im Queer-Vergleich
Nach der Uraufführung im September in Bangkok kommt das Stück "I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" nun ab Freitag nach München. Die gelungene Dokufiktion von Jürgen Berger beruht auf Interviews mit trans Menschen in Thailand und Deutschland.

Starke Darsteller*innen (v.l.): Pathavee Thepkraiwan, Sarut Komalittipong und Mareike Beykirch in "I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" (Bild: Spectrum)
- Von
13. Oktober 2022, 08:11h - 4 Min.
Für die meisten Menschen ist ein Theaterstück in thailändischer, englischer und deutscher Sprache vermutlich etwas gewöhnungsbedürftig. Für mich war es wie gemacht: Seit 17 Jahren wohne ich in Bangkok und habe mir die Premiere von "I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" in der thailändischen Hauptstadt natürlich nicht entgehen lassen. Vielleicht war ich am 15. September der einzige Gast im Jim Thompson Art Center, der nicht dauernd nach oben auf den kleinen Monitor schauen musste, um den Übertiteln der Monologe zu folgen.
Ab Freitag ist die gelungene Dokufiktion von Jürgen Berger im Marstall des Münchner Residenztheaters zu sehen. Und keine Angst, auch ohne Kenntnis aller drei Sprachen lohnt sich der Besuch. Das kluge Stück über trans Biografien in Thailand und Deutschland ist kurzweilig inszeniert, sorgt für viele Lacher und überzeugt vor allem durch seine drei starken Darsteller*innen: Pathavee Thepkraiwan und Sarut Komalittipong vom B-Floor Theatre in Bangkok sowie Mareike Beykirch aus dem Ensemble des Residenztheaters. In meiner Wahlheimat zählt Thepkraiwan als Dragqueen Amadiva und Teilnehmer der ersten Staffel von "Drag Race Thailand" zu den prominenten Vertreter*innen der queeren Szene.
Die Interviewten entwickelten das Stück mit
"I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" beruht auf Interviews, die der Journalist und Autor Jürgen Berger zwischen 2017 und 2022 mit trans Menschen in beiden Ländern geführt hat. Die Gesprächspartner*innen wurden anschließend zu Workshops eingeladen und nahmen aktiv am Entwicklungsprozess teil. Das macht das Stück, das von Coming-out, Ablehnung und Diskriminierung, dem Prozess der Transition, Glück, Liebe und Selbstbestimmung erzählt, so authentisch.

Das Stück beginnt mit dem Urknall (Bild: Micha Schulze)
Vielleicht nicht ganz so gelungen ist der Titel, den sich Berger von Sia geborgt hat, der jedoch eher am Thema vorbeigeht. "Ich verliebe mich wirklich in die Person. Es ist mir egal, ob jemand ein Ding oder ein Dong hat", sagte die queere australische Singer-Songwriterin in einem Interview. Auf der anderen Seite ist "I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" merkwürdigerweise recht "Ding-Dong-fixiert", wenn etwa geschlechtsanpassende Operationen ausführlich medizinisch beleuchtet und damit, so mein spontanes ungutes Gefühl im Theater, vor allem voyeuristische Interessen von cis Menschen befriedigt werden.
Vergleich von Situation und Selbstwahrnehmung
Wobei, das ist auch wieder Ansichtssache und das eigentliche Thema des Stücks. Nämlich der Vergleich der Situation und Selbstwahrnehmung von queeren Menschen in Thailand und Deutschland. Geschlechtsangleichende Maßnahmen sind in meiner Wahlheimat weitaus weniger tabuisiert, in Bangkok sieht man häufig Werbung für private Spezialkliniken und über Trans-Chirurgie wird offen gesprochen. Vor einigen Jahren zwang mich etwa eine stolze trans Freundin mitten in einem queeren Club in Silom, ihre neuen Brüste zu befühlen. Sie selbst bezeichnet sich übrigens als "Ladyboy", was in Deutschland als Unwort gilt.

Queerer Ländervergleich als Gameshow (Bild: Spectrum)
Unter dem binären Geschlechterkorsett leiden Menschen in Thailand und Deutschland gleichermaßen. Doch im queeren Ländervergleich, der im Theaterstück sehr genial als rasante Gameshow dargestellt wird, offenbaren sich weitere Unterschiede. Das Land des Lächelns hat drei trans Abgeordnete im Parlament, die Bundesrepublik nur zwei, dafür aber die Ehe für alle. Während trans Personen in Thailand im alltäglichen Leben viel sichtbarer sind, viel einfacher an Hormone kommen, für umgerechnet nicht mal 1,40 Euro ihren Namen ändern können und deutlich weniger Gewalt befürchten müssen, ist die offizielle Änderung des Geschlechtseintrags noch immer nicht möglich. Und das deutsche Transsexuellengesetz? Wie absurd Gutachtenpflicht und Gerichtszwang sind, zeigt "I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร" in der vielleichten besten Performance des Abends.
Als Expat, der seit 17 Jahren die entspannte Queerfreundlichkeit der Thailänder*innen genießt und gleichzeitig an der unverändert rückschrittlichen und diskriminierenden Rechtslage leidet, hat mir das Stück natürlich besonders aus der Seele gesprochen. Es geht nämlich nicht darum, welches Land nun besser für queere Menschen ist und damit "gewinnt". Jürgen Berger, der sehr gute Zuhörer, zeigt anhand der persönlichen Biografien auf, dass sowohl Thailand als auch Deutschland noch einen weiten Weg vor sich haben, um die Menschenwürde von trans Personen zu achten, und hilft gleichzeitig mit, unterschiedliche kulturelle Perspektiven zu verstehen, deutschzentrierte Sichtweisen zu überwinden und neue Erkenntnisse für den queeren Emanzipationskampf zu gewinnen. Das Anschauen lohnt sich daher für alle!
Setting up at the Marstall Theater / and of course beering in Munich ?? #idontcare????????????? #coproduction #bfloortheatre #bfloor #residenztheater #residenztheatermünchen #koproduktion
Posted by B-floor on Monday, October 10, 2022
|
I Don't Care ไม่ว่าอย่างไร. Dokufiktion von Jürgen Berger. Dramaturgie Jürgen Berger, Almut Wagner. Inszenierung und Choreografie: Anna-Elisabeth Frick, Jarunun Phantachat. Besetzung: Mareike Beykirch, Sarut Komalittipong, Pathavee Thepkraiwan. In thailändischer, englischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln. Deutschland-Premiere am 14. Oktober 2022 um 20 Uhr im Residenztheater München (Marstall). Weitere Aufführungen am 15., 16., 18., 19. und 20. Oktober 2022
Links zum Thema:
» Mehr Infos zum Stück auf der Homepage des Residenztheaters
» Das Programmheft als PDF
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de















