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Interview

"Leute, die Homosexualität ablehnen, sollen meine Texte lesen"

Khaled Alesmael über sein neues Buch "Ein Tor zum Meer" mit zehn Geschichten, die auf authentischen Schicksalen schwuler Männer aus verschiedenen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens basieren.


Khaled Alesmael wurde als Sohn eines syrischen Vaters und einer türkischen Mutter in Syrien geboren. 2014 floh er von Damaskus nach Stockholm, heute lebt er in London (Bild: Ben Wilkin)
  • Von Christian Lütjens
    15. Oktober 2022, 06:08h 9 7 Min.

Schreiben im Dienst der Verständigung: Nach seinem autobiografischen Roman "Selamlik" (zur queer.de-Besprechung) liegt nun das zweite Buch des aus Syrien stammenden Autors Khaled Alesmael in deutscher Übersetzung vor. In "Ein Tor zum Meer" (Amazon-Affiliate-Link ) erzählt er zehn, mal drastische, mal poetische Geschichten, die auf authentischen Schicksalen schwuler Männer aus verschiedenen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens basieren. Ein Thema, das uns alle angeht, findet Alesmael. Im Interview verrät er, warum.

Khaled, die Situation von queeren Geflüchteten aus dem Nahen Osten ist in Europa medial spätestens seit Beginn des Krieges in der Ukraine ziemlich in den Hintergrund getreten. Mit deinem neuen Buch "Ein Tor zum Meer" bringst du sie wieder ins öffentliche Bewusstsein. Ein erklärtes Ziel oder nur ein willkommener Nebeneffekt?

Ich begrüße den Effekt, allerdings begann die Arbeit an dem Projekt schon lange, bevor an den Krieg in der Ukraine überhaupt zu denken war. Auch die schwedische Erstausgabe des Buches erschien schon 2020. Ich sehe den inhaltlichen Kern meiner Arbeit auch nicht bei der Geflüchteten-Thematik, sondern bei der Situation von LGBTQ*. Das ist ein globales Thema, über das wir jeden Tag sprechen müssen, wenn wir verhindern wollen, dass sich Dinge zurück entwickeln statt vorwärts. Das heißt, wir LGBTQ* müssen unsere Geschichten öffentlich erzählen und die Allgemeinheit immer wieder daran erinnern, dass es uns gibt. Indem wir über unsere Vergangenheit sprechen, lernen wir alle dazu. Dadurch verstehen wir unsere Gegenwart besser und können unsere Ziele für die Zukunft klarer definieren.

Anders als in deinem Debütroman "Selamlik" verarbeitest du in "Ein Tor zum Meer" nicht in erster Linie eigene Erfahrungen, die du im Zuge der Flucht aus deiner Heimat Syrien nach Europa gemacht hast, sondern erzählst zehn unterschiedliche Geschichten schwuler Männer aus sechs verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas. Wie kamst du zu diesem multiperspektivischen Ansatz?

Ich habe auf "Selamlik" viel Resonanz sowohl von Menschen aus der arabischen wie auch aus der westlichen Welt bekommen. Bei den Leuten aus dem Westen fiel mir häufig auf, dass sie eine ziemlich undifferenzierte Vorstellung vom arabischen Raum haben. Ich erlebe immer wieder, dass Leute denken, sie könnten meinen syrischen Hintergrund verstehen, nur weil sie mal Urlaub oder ein Auslandssemester in Abu Dhabi, Ägypten oder Tunesien gemacht haben. Dabei sind das Länder mit ganz anderen Kulturen als Syrien, wo sich selbst die Formen des Arabischen, die dort gesprochen werden, unterscheiden. Eine solche Aussage ist also ein bisschen, als würde ich als Nicht-Europäer nach einer ersten Europareise nach Spanien behaupten, ich würde Deutschland kennen. Das würden Deutsche sicher auch ignorant empfinden. Von daher war mir wichtig, unterschiedliche Geschichten aus unterschiedlichen Ländern der arabischen Welt, konkret aus Syrien, Ägypten, Marokko, Jemen, Irak und dem Libanon, in einem Buch zusammenzufassen, um zu zeigen, dass sich nicht nur die Kulturen unterscheiden, sondern auch deren Umgang mit LGBTQ*.

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"Ein Tor zum Meer" erscheint am 19. Oktober 2022 im Albino Verlag

Der Titel des Buches ist angelehnt an den Namen des Kairoer Hamams Bab al-Bahr (Tor zum Meer), das im Dezember 2014 weltweit in die Schlagzeilen geriet, weil es Schauplatz einer medial ausgeschlachteten antischwulen Razzia mit anschließendem Prozess wurde (queer.de berichtete). Ein bezeichnender Vorfall für die Situation schwuler Männer in der arabischen Welt?

Mein Arbeitstitel für dieses Buch lautete zunächst schlicht "Briefe schwuler Männer aus der arabischen Welt". Aber dadurch, dass in der Geschichte des Ägypters Sphinx der Vorfall im Bab al-Bahr vorkommt, habe ich mich später für das assoziativere "Ein Tor zum Meer" entschieden. Wenn man den Hintergrund kennt, hat das eine klare Symbolik, aber es hat auch eine poetische Seite, die zu den Themen Flucht und Freiheit passt, und dem Ansatz des Wachhaltens von Erinnerungen, wird der Titel auch gerecht. Die Videoaufnahmen, die damals bei der Razzia gemacht wurden, kann man ja immer noch im Internet sehen. Sie verstören mich bis heute. Ich bin selbst früher mal in diesem Hamam gewesen. Als die Razzia passierte, war ich schon in Schweden, trotzdem fühle ich mich, als wäre ich dabei gewesen, sobald ich die Bilder von den Festnahmen sehe. Da wird mir sehr bewusst, dass auch ich einer der Männer hätte sein können, die in der Nacht verhaftet wurden. Es beschäftigtt mich immer, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Was hätte ich der Polizei erzählt? Wen hätte ich angerufen? Wie wäre mein weiteres Leben verlaufen?

Das Sich-in-die-Lage-anderer-Hineinversetzen fordert auch der persönliche Tonfall der Berichte in "Ein Tor zum Meer" heraus. Grundlage für die Geschichten im Buch waren Interviews, die du über einen Zeitraum von zehn Jahre mit schwulen Männern aus dem arabischen Raum geführt hast. War es schwer, ihre Offenheit zu gewinnen und ihre Einwilligung zur Veröffentlichung der Geschichten zu bekommen?

Eigentlich nicht. Ich bekomme fast täglich Nachrichten von queeren Leuten, die mich anschreiben, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich, oder durch Freunde und in den sozialen Medien mitbekommen haben, dass ich ihre Geschichten verstehen und vermitteln könnte. Es sind aber auch nicht alle Geschichten im Buch eins zu eins aus den Interviews übernommen. Allein aus Platzgründen und wegen Persönlichkeitsrechten musste ich manches zusammenfassen und verfremden. Ich habe dann immer mit den Protagonisten gezoomt und ihnen die Texte vorgelesen, die ich basierend auf ihren Berichten geschrieben hatte. Meist war die Reaktion: "Das ist zwar nicht exakt meine Geschichte, aber das bin trotzdem ich." Damit waren sowohl sie als auch ich zufrieden.

Hast du eine Vorstellung von der Zielgruppe des Buches?

Eigentlich sollen das alle lesen: Eltern, Aktivisten, Journalisten, Wissenschaftler, Menschen, die sich für den Nahen Osten interessieren, LGBTQ*, die den Blick für die Situation von Gleichgesinnten aus anderen Regionen der Welt schärfen wollen… Ich wünsche mir auch, dass Leute, die Homosexualität eigentlich ablehnen, meine Texte lesen. Bei denen ist es ja fast am wichtigsten, sie mit Geschichten wie diesen zu konfrontieren, um ihnen zu verdeutlichen, was sie mit ihrer Ablehnung anrichten.

Gehst du auch im Privatleben konfrontativ mit Gegnern um?

Nicht von vornherein. Früher war ich sogar relativ zurückhaltend damit, Fremden zu erzählen, dass ich schwul bin, gerade wenn ich merkte, dass sie homophob sind. Ich bin der Meinung, dass es nicht viel bringt, konservative Leute vorsätzlich zu schockieren und zu provozieren, das erzeugt nur Abwehr. Meine Methode ist eher, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Wenn ich zum Beispiel in der Asyl-Unterkunft mit konservativen Geflüchteten zu tun hatte, die sich aufgrund der liberalen westeuropäischen Haltung gegenüber Religiosität oder zum Tragen des Hijab diskriminiert fühlten, habe ich denen gesagt: "Jetzt fühlst du das Gleiche, was ich gefühlt habe, als ich noch in Syrien war, denn dort wurde ich vom Regime für meine Lebensführung oder meine Art, mich zu kleiden, verurteilt." Das Aufzeigen solcher Gemeinsamkeiten hilft manchmal, um Leuten zu verdeutlichen, dass es eigentlich darum gehen sollte, gemeinsame Lösungen zu finden, statt gegeneinander zu arbeiten.

Nach einigen Jahren in Stockholm lebst du inzwischen in London. Kannst du dir trotzdem vorstellen, nach Syrien zurückzuziehen?

Ich käme dann wohl in ein völlig anderes Land als ich es 2014 verlassen habe. Inzwischen sind in Syrien zum Beispiel alle Hamams dicht. Weil infolge des Krieges Wasser- und Strompreise so hoch sind, wurden sie geschlossen. Gecruist wird nur noch in Parks. Aber nicht nur das Land, auch ich selbst habe mich verändert durch die internationalen Perspektiven, die ich inzwischen habe. Aber sollten dieser Präsident und dieses Regime irgendwann abtreten, gehe ich definitiv zurück.

Und wirst du weiterschreiben?

Ja, ich arbeite auch schon am nächsten Buch. Wenn ich mir gegenwärtige Entwicklungen in der weltweiten Politik ansehe, macht mich das zwar einerseits unruhig und nervös, aber es treibt mich auch an, mit meiner Arbeit Verbesserungen anzustoßen. "Ein Tor zum Meer" hat deshalb für mich einen hohen Stellenwert, denn das Schreiben stand hier durchgehend im Zeichen der Aufklärung und des Kampfes für die Verbesserung unserer Rechte. Nicht nur für die Community in Syrien, sondern für alle LGBTQ*, die aus nichtdemokratischen Ländern wie Tschetschenien, Iran oder auch aus Russland flüchten müssen.

Infos zum Buch

Khaled Alesmael: Ein Tor zum Meer. Aus dem Arabischen übersetzt von Christine Battermann. 208 Seiten. Albino Verlag. Berlin 2022. Gebundene Ausgabe: 22 € (ISBN 978-3-86300-342-5). E-Book: 15,99 €

Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
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#1 DankeAnonym
  • 15.10.2022, 11:24h
  • Vielen Dank für den Buchtipp und das Interview. Wird gelesen.
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#2 TangrianAnonym
  • 15.10.2022, 14:57h
  • "Ich bin der Meinung, dass es nicht viel bringt, konservative Leute vorsätzlich zu schockieren und zu provozieren, das erzeugt nur Abwehr. Meine Methode ist eher, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen."

    Das ist die platte Realität. Kommt man mit Rechthaberei und Beleidigungen sind die Leute schon aus Prinzip dagegen, egal was man sagt. Es verhärtet sich die Fronten und als Minderheit zieht man bei direkter Konfrontation meist den kürzeren. Es ist allerdings etwas anders im öffentlichen Raum. Extrem Ungewöhnliches und auch Provokantes ist manchmal wichtig, weil es deutlich macht wie breit das Spektrum wirklich ist. Ein csd muss schrill und bunt sein und Komfortzonen anlratzen sonst sorgt er nicht für Sixhtbarkeit. Vieles was wir in unseren Blasen für besonders abgedreht halten ist im Grunde nur Unbekannt aber völlig Harmlos. Was glaube ich nichts bringt ist wenn aus dem Pridemonth dann irgendwann ein Prideyear wird. Dann ist man wieder eher unsichtbar.
  • Direktlink »
#3 nichtbinärePersonAnonym

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