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Sachbuch

Von Grindr-Fallen in Ägypten bis zu queeren Orgien in Marokko

Der Journalist Mohammad Amjahid widmet sich in seinem neuen Buch "Let's Talk About Sex, Habibi" dem (nicht nur heterosexuellen) Liebes- und Sexleben in Nordafrika – und räumt dabei mit vielen Klischees auf.


Szene aus dem Spielfilm "Salvation Army" von Abdellah Taia über eine jungen Schwulen in Marokko (Bild: Venice Film Festival)

"Drei der schlimmsten Stereotype über das Liebesleben in Nordafrika: Die Menschen haben gar keinen Sex. Sie haben nur Sex: Und: Nordafrikaner*innen wollen unbedingt unsere Frauen oder Männer ins Bett bringen", sagte der aus Marokko stammende Autor und Journalist Mohammad Amjahid kürzlich auf einer Lesung seines neuen Buches. Mal abgesehen, ob das so stimmt, geistern doch noch immer tatsächlich viele Klischeevorstellungen über Nordafrika und Nordafrikaner*innen durch die westlichen Gesellschaften. Manchmal werden auch üble Klischees verbreitet, etwa nach der Silvesternacht 2015/16 am Kölner Hauptbahnhof, als es zu sexuellen Übergriffen durch nordafrikanische Männer kam. Schnell hieß es: "Typisch Nafri", kurz für Nordafrikaner. Diesem Ereignis widmet Amjahid ein eigenes Kapitel in seinem Buch.

Wenn es um Liebe und Sex in Nordafrika geht, tauchen jedenfalls schnell Vorstellungen auf, die nicht mit der widersprüchlichen Realität übereinstimmen. Dagegen will Journalist Mohamed Amjahid anschreiben. Der Autor liefert mit "Let's Talk About Sex, Habibi" (Amazon-Affiliate-Link ) eine tagebuchhafte Sammlung aus Anekdoten zum nordafrikanischen Liebesleben. Dabei geht seine Reise von Marokko über Tunesien bis nach Kairo, wo Amjahid einige Zeit lebte.

Penetration unter Jungs als "Strafe"


"Let's Talk About Sex" ist Ende September 2022 im Piper Verlag erschienen

Das Buch ist weitgehend in einem leichten, witzigen Ton geschrieben, vielerlei Absurditäten des nordafrikanischen Liebeslebens greift der Autor auf. Wenn Amjahid in mehrere Apotheken geht, um Kondome zu kaufen, dann ist das Ganze eine äußerst schräge Angelegenheit, denn die Gespräche schwanken zwischen offenherzigem Erzählen über die Unterschiede, Vor- und Nachteile der Präservative und verschämten Andeutungen durch die Apotheker*­innen.

Sämtliche Kapitel sind von einem Gedanken durchzogen: Sex findet auch in Nordafrika statt, allerdings dann doch oft anders als bei uns. Etwa haben viele Menschen Probleme, einen geeigneten Ort fürs Liebesspiel zu finden, denn Familie und Nachbarn sitzen gleich im Zimmer nebenan und hören und sehen alles. Von daher müssen ob der beengten Verhältnisse Alternativen her, etwa wenn mal niemand zu Hause ist. An anderer Stelle beschreibt Amjahid, dass regelmäßig das Netz zusammenbricht, wenn abends ab 22 Uhr mal wieder alle Männer in der Nachbarschaft vor den Laptops hängen und Pornos gucken. Oder aber, wieder eine andere Geschichte, dass es unter (hetero) Jungs in der Pubertät durchaus üblich ist, sich als "Strafe" zu penetrieren oder sich gegenseitig einen zu blasen. Wo keine Frau in der Nähe ist, weiß Mann sich zu helfen.

An solchen Stellen bietet das Buch dann doch wieder Raum für manche Klischeevorstellung nordafrikanischen Sexualverhaltens, denn die (Wunsch-)Vorstellung, dass viele Nordafrikaner zumindest bisexuell sind, hat schon vor vielen Jahrzehnten schwule Autoren wie William Bourroughs, Jean Genet, Andre Gide, Tennessee Williams, Truman Capote oder Gore Vidal ins marrokanische Tanger gezogen. Manche von ihnen blieben jahrelang.

Rituelle Massenorgie in Meknes

Am überraschendsten in Amjahids Buch ist vielleicht ein Kapitel, in dem es um eine Art rituelle Massenorgie geht, die jedes Jahr im marrokkanischen Ort Meknes stattfindet und dann weiterzieht in andere Städte. Das Ganze ist eine Art religiös konnotierte Massenorgie, die mit Kirmes und vielen Zelten zum Trinken, Ficken und Spaß haben aufruft. Und zwar queerbeet – hetero, bi, schwul oder lesbisch, alles geht während dieses Festes. Und das sogar vor den Augen der Polizei. "Jeder aus dem Westen, der nun meint dahinzufahren, sei gewarnt: Da kommt man als Westler nicht so einfach rein", sagte Amjahid in einem Interview.

Doch das Buch handelt nicht nur von den sexuellen Freiheiten hinter verschlossenen Türen, sondern behandelt am Schluss auch die Bedrohungen der queeren Community, etwa in Ägypten. Amjahid hat in Kairo mit einem Polizisten gesprochen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, via Dating-Apps Schwule in eine Falle zu locken. In Ägypten ist es durchaus üblich, dass homo- und bisexuelle Männer vor laufender Kamera aus einem Hamam abgeführt werden. All das betrübe ihn sehr und habe auch schon mal bei einer Lesung dazu geführt, dass er in Tränen ausgebrochen sei, so der Autor.

Insgesamt ist "Let's Talk About Sex, Habibi" aber ein Buch, das Hoffnung macht. Die Veränderungen in Nordafrika gehen langsam voran, aber es gibt sie, so die positive Grundstimmung des Buches, das sich absolut zu lesen lohnt.

Infos zum Buch

Mohammad Amjahid: Let's Talk About Sex, Habibi. Liebe und Begehren von Casablanca bis Kairo. Sachbuch. 224 Seiten. Piper Verlag. München 2022. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-492-06316-6). E-Book: 17,99 €

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#1 LothiAnonym
  • 16.10.2022, 07:25h
  • Whow, der Autor dieses Sachbuches erklärt und bestätigt zugleich, was ich schon immer zumindest über viele junge Marokkaner gehört hatte von schwulen Bekannten die dort ihren Urlaub regelmäßig verbracht hatten.
    Und es tauchen bei mir sofort wunderschöne Bilder aus dem Film: Der Himmel über die Wüste auf.
    Auch im grandiosen Film: Babel gibt es eine kleine eher unbedeutende Szene mit dem Jungen Gewehrschützen, wie er alleine hinter einen Felsen sitzt um sich einen runter zu holen.
    Wollte uns damit der Regisseur durch die Blume etwas mitteilen?
    All dies verbindet mich nun mit diesem wie ich finde sehr,sehr aufschlussreichen Sachbuch.
    Zudem diese Verlogenheit der Justiz in Ägypten, wo ja in der Vergangenheit ca. 30 Landsleute bei einer Orgie, ich glaube mich zu erinnern auf einem Schiff festgenommen wurden um dann vor Gericht gestellt zu werden.
    Und wieder ein sehr lesenswerter und wie ich finde wichtiger Artikel. Danke dafür.
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#2 Livio2022Anonym
  • 16.10.2022, 13:44h
  • Meine allerschönsten Liebeserlebnisse hatte ich stets in Agadir wo ich regelmäßig Urlaub mache, vor allem in der kälteren Jahreszeit. Diese amourösen Affären waren von einer solchen Intensität, wie ich sie bei uns leider nie erleben durfte trotz zweier längeren festen Beziehungen. Natürlich spielt auch das Geld bei ü35 eine Rolle. Ist aber bei uns nichts anderes. Ich bin Investmentbanker und wieviel Verkaufsberater und Barpersonal fragten nach meiner Nummer. Da finde ich das bunte Treiben in den Souks doch wesentlich interessanter. Eigentlich sollte auch ich über 1001 Nacht ein Buch verfassen - oder waren es schon 1002 Nächte? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Fliegt bitte selbst hin. Ein Flug von Frankfurt nach Agadir dauert nicht länger wie ein ICE von Frankfurt nach Hamburg braucht.:-))
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#3 WanndererAnonym
  • 16.10.2022, 17:22h
  • Bei den Kommentaren hier kann man sich auch nur #Kolonialismus denken...
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