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Russland
Duma stimmt für Komplett-Verbot von "LGBT-Propaganda"
In erster Lesung stimmte das russische Unterhaus einstimmig für eine Verschärfung der queerfeindlichen Gesetzgebung. Nun soll selbst die "Leugnung familiärer Werte" unter Strafe stehen.

Symbolbild: Festnahme von LGBTI-Aktivist*innen 2012 in Moskau (Bild: IMAGO / Russian Look)
- 27. Oktober 2022, 10:41h 3 Min.
Das russische Unterhaus hat sich in erster Lesung für eine Verschärfung des Gesetzes gegen "LGBT-Propaganda" ausgesprochen. Das Votum "über Änderungen an der Gesetzgebung in Bezug auf die Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" sei einstimmig ausgefallen, teilte das Parlament am Donnerstag auf seiner Webseite mit. Künftig soll nach Agenturangaben damit unter anderem auch die "Leugnung familiärer Werte" unter Strafe stehen.
Die Duma muss nun noch zwei weitere Lesungen abhalten und danach das Oberhaus zustimmen, bevor Präsident Wladimir Putin das neue Gesetz unterzeichnet. Diese Schritte sind gewöhnlich reine Formsache.
Auch "Informationen, die zum Wunsch einer Geschlechtsänderung" führen könnten, untersagt
Das Gesetz zum Verbot von "LGBT-Propaganda" gegenüber Minderjährigen war 2013 in Kraft getreten. Es sieht hohe Geldstrafen vor, falls sich im Beisein von Minderjährigen positiv über Homosexuelle geäußert wird. Nun soll dies unter anderem auch für die "Förderung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen und Präferenzen" bei Erwachsenen gelten sowie bei der "Leugnung familiärer Werte". Untersagt werden sollen auch "Informationen, die zum Wunsch einer Geschlechtsänderung" bei Minderjährigen führen könnten.
Für Medien, Internet, Literatur, Kino und Werbung wird das "Propaganda"-Verbot in zusätzlichen Gesetzen festgelegt. "Filme, die nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen promoten, werden kein Zulassungszertifikat bekommen", warnte die Duma.
Willkürliche Zensur und Verbot von Kundgebungen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 2017 regionale Vorläufer des "Propaganda"-Gesetzes – wie auch diverse CSD-Verbote – für illegal erklärt (queer.de berichtete). Russland zahlte den jeweiligen Klägern Schadenersatz, ignorierte die Urteile allerdings ansonsten. Nach dem Ausschluss und Austritt des Landes aus dem Europarat fällt diese internationale Gerichtsbarkeit weg.
In der Praxis führte das bisherige Gesetz bislang zu wenigen Prozessen und Verurteilungen nach den entsprechenden Paragrafen, sondern wurde in einer sehr ausufernden Auslegung unter anderem zum konstanten Vorab-Verbot von queeren Kundgebungen genutzt, deren Teilnehmende dann nach allgemeineren Bestimmungen des Versammlungsrechts festgenommen und teilweise bestraft wurden. Genutzt wurde es auch zum Vorgehen gegen queere Organisationen und Einzelpersonen wie Julia Zwetkowa, zur ebenfalls teils willkürlichen Zensur und Verbannung einiger LGBT-Medien oder queerer Gruppen in sozialen Netzwerken durch die Medienaufaufsicht, zur Förderung von Selbstzensur und zu politischer und medialer Stimmungsmache.
Starker Anstieg queerfeindlicher Gewalttaten
So kam es in den Jahren nach Verabschiedung des Gesetzes zu einem starken Anstieg von schweren Gewalttaten gegenüber Homo- und Transsexuellen (queer.de berichtete). Letztlich führte die Stimmungsmache mit zu den tödlichen Verfolgungswellen gegen queere Menschen in Tschetschenien und der kompletten Weigerung russischer Behörden und Politik, diese Verbrechen zu benennen und zu verurteilen, einzustellen und aufzuklären (queer.de berichtete). Durch den Ukraine-Krieg ist der Einfluss des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, in dessen Region ein unter anderem für Minderheiten bedrohliches Klima der Rechtlosigkeit herrscht, noch gestiegen. Dass Kadyrow wie Putin oder Kyrill I. den Ukraine-Krieg auch als Kampf gegen die "westliche" Homosexualität darstellen, lässt nichts Gutes für die Zukunft von LGBTI im Inland vermuten.
In den letzten Monaten hatte die russische Regierung zudem bereits mehrere queere Organisationen (und gar einzelne queere Aktivist*innen) als "internationale Agenten" eingestuft und teilweise aufgelöst, darunter die Dachorganisation des LGBT Network, das die anti-queere Verfolgung in Tschetschenien publik machte und Menschen aus der Region bei der Flucht ins Ausland half (queer.de berichtete). Mehrere Organisationen wie "Wychod" / "Coming out" haben ihre Teams inzwischen ins Ausland verlegt und arbeiten nun – wie praktisch alle unabhängigen russischen Medien – von dort aus (queer.de berichtete). Mit dem neuen "Propaganda"-Gesetz dürfte der Spielraum für queeren Aktivismus, für Support und Aufklärung und letztlich für Sichtbarkeit und Existenz, im Inland weiter sinken. (cw/AFP)















Wenn Russland eines Tages "entputinazifiziert" sein sollte, wills natürlich keiner gewesen sein.