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Richtigstellung
Die Kampagne gegen Rüdiger Lautmann attackiert das liberale Denken und Forschen
Über den Soziologen Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann werden schwerwiegende Falschinformationen verbreitet. Wir dokumentieren eine Protestnote von Unterstützer*innen aus dem akademischen Feld.
- 14. November 2022, 06:35h 4 Min.
Aktuell ist der Soziologe und Jurist Rüdiger Lautmann, emeritierter Professor an der Universität Bremen, massiv ins Kreuzfeuer medialer Hetzkampagnen geraten. Begonnen haben die Anwürfe gegen ihn mit einer Initiative der Arbeitsgemeinschaft SPDqueer Tempelhof-Schöneberg in Berlin, die Geschlechtsanpassung vor dem Standesamt bereits für 7-Jährige zu ermöglichen (ab 2023 wird dies Personen ab 14 Jahren zugestanden). Lautmann, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft, hat diesen Antrag aber deutlich kritisiert und sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Ein weiterer medialer Aufhänger für eine fortdauernde Kritik ist das schwul-lesbische Kita-Projekt in Berlin-Schöneberg, das von der Schwulenberatung Berlin initiiert wurde. Rüdiger Lautmann saß im Vorstand der Schwulenberatung, ist von diesem Posten aber aufgrund des massiven öffentlichen Drucks inzwischen zurückgetreten (queer.de berichtete).
In beiden Empörungswellen werden die Person Lautmann und das von ihm verfasste Buch aus dem Jahr 1994 ("Die Lust am Kind") ins Zentrum gerückt. Hierin sind die Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojekts zusammenfasst, in welchem auf der Grundlage von Interviews die Lebenswelt der Minderheit von Pädophilen untersucht wurde, die ausschließlich auf Minderjährige orientiert und nicht vorbestraft waren. Mit Fortdauer der medialen Erregung wurden immer weitere vermeintliche Belege angeführt, mit dem einzigen Ziel, Rüdiger Lautmann zum Verharmloser, Versteher oder Förderer der Pädophilie zu verunglimpfen. So wird etwa wahrheitswidrig behauptet, er habe 1979 die Streichung des § 176 zur Strafbarkeit sexueller Handlungen an Kindern gefordert. Angelastet wird ihm außerdem die Mitwirkung an der Broschüre "Kind und Sexualität" der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität aus dem Jahr 1997, an der Lautmann tatsächlich nicht beteiligt war.
Nebulöse Andeutungen und uninformierte Behauptungen
Die Fabrikation der Vorwürfe erweitert das Skandalisierungsspektrum erheblich. Nebulöse Andeutungen, uninformierte Behauptungen, fehlendes Nachschlagen u.dgl. durchziehen die Veröffentlichungen. Mit der Geschlechtsidentität von Kindern/Heranwachsenden und mit dem Berliner Kita-Projekt haben diese Unterstellungen inhaltlich nichts zu tun. Sie dienen aber dazu, die Initiativen als anstößig zu darzustellen, allein schon indem medial geraunt wird, Lautmanns Mitwirkung daran sei "pikant" und "brisant", wie es in verschiedenen Texten heißt.
In diffusen Andeutungen und expliziert in rechtspopulistischen Blättern und evangelikalen oder katholisch-radikalen Verlautbarungen klingt die Sorge vor Frühsexualisierung und einer dominierenden "Gender-Gaga"-Ideologie an, die bis hin zum rechten Verschwörungsnarrativ einer gesellschaftlichen Unterwanderung durch eine "Pädophilenlobby" führt, deren Einfluss bis in die höchsten Ebenen der Politik reiche. Die sexualpolitische Dynamik ist seit Jahrzehnten bekannt: Liberaldemokratische Positionen werden desavouiert, indem sie mit "Kinderschändern" und Vergewaltigern in Zusammenhang gebracht werden, wohingegen die eigene Ideologie als redlicher Opferschutz ausgegeben wird.
Der Großteil der Artikel, die sich mit der vermeintlichen "Causa Lautmann" seit September online beschäftigt, entstammt Veröffentlichungskanälen rechter bzw. radikal-religiöser Zirkel. Eine in dieser Hinsicht propagandistisch engagierte Journalistin wurde zwischenzeitlich wegen ihrer verleumderischen Behauptungen zu Lautmann der Twitteraccount aufgrund "Hass schürenden Verhaltens" gesperrt. Dass die Schmutzkampagne ihre Spuren hinterlassen wird und schon jetzt die Person Lautmann und ihr Umfeld verletzt, steht außer Frage. Dagegen sprechen sich die Unterzeichnenden in solidarischer Verbundenheit aus. Es geht hier nicht schlichtweg um Meinungsvielfalt, sondern um handfeste Bedrohungen, die sich nur vordergründig gegen eine Person richten, im Kern aber das liberale Denken und Forschen attackieren.
Erstunterzeichner*innen:
Joachim Bartholomae M.A. (Hamburg)
Dr. Thorsten Benkel (Passau)
Prof. Dr. Lorenz Böllinger (Bremen)
Prof. Dr. Helga Cremer-Schäfer (Frankfurt/M.)
Prof. Dr. Johannes Feest (Bremen)
Prof. Dr. Pamela Feldman-Savelsberg (Northfield)
Detlef Grumbach M.A. (Hamburg)
Dr. Ulrike Heider (Berlin)
Prof. Dr. Susanne Karstedt (Queensland)
Dr. Marita Keilson-Lauritz
Prof. Dr. Daniela Klimke (Nienburg)
PD Dr. Reinhard Kreissl (Wien)
Dr. Jenny Künkel (Dresden)
Prof. Dr. Helmut Kury (Freiburg)
Prof. Dr. Karl Lenz (Dresden)
Dr. Sven Lewandowski (Bielefeld)
Prof. Dr. Gesa Lindemann (Oldenburg)
Matthias Meitzler M.A. (Passau)
Prof. Dr. Florian Mildenberger (Frankfurt/Oder)
Prof. Dr. Helge Peters (Oldenburg)
Prof. Dr. Stephan Quensel (Bremen)
Prof. Dr. Susanne Regener (Siegen)
Prof. Dr. Fritz Sack (Hamburg)
Prof. Dr. Joachim S. Savelsberg (Minneapolis)
Prof. Dr. Sebastian Scheerer (Hamburg)
Dr. Wolfram Setz (Hamburg)
Prof. Dr. Kurt Starke (Leipzig)
Prof. Dr. Hubert Treiber (Hannover)
Prof. Dr. Hanns Wienold (Münster)
Personen, die die Stellungnahme mit ihrer Unterschrift unterstützen möchten, können sich per E-Mail an Dr. Daniela Klimke wenden: .
