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Richtigstellung

Die Kampagne gegen Rüdiger Lautmann attackiert das liberale Denken und Forschen

Über den Soziologen Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann werden schwerwiegende Falschinformationen verbreitet. Wir dokumentieren eine Protestnote von Unterstützer*innen aus dem akademischen Feld.


Rüdiger Lautmann 2012 in seinem Arbeitszimmer (Bild: James Steakley / wikipedia)
  • 14. November 2022, 06:35h 32 4 Min.

Aktuell ist der Soziologe und Jurist Rüdiger Lautmann, emeritierter Professor an der Universität Bremen, massiv ins Kreuzfeuer medialer Hetzkampagnen geraten. Begonnen haben die Anwürfe gegen ihn mit einer Initiative der Arbeitsgemeinschaft SPDqueer Tempelhof-Schöneberg in Berlin, die Geschlechtsanpassung vor dem Standesamt bereits für 7-Jährige zu ermöglichen (ab 2023 wird dies Personen ab 14 Jahren zugestanden). Lautmann, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft, hat diesen Antrag aber deutlich kritisiert und sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Ein weiterer medialer Aufhänger für eine fortdauernde Kritik ist das schwul-lesbische Kita-Projekt in Berlin-Schöneberg, das von der Schwulenberatung Berlin initiiert wurde. Rüdiger Lautmann saß im Vorstand der Schwulenberatung, ist von diesem Posten aber aufgrund des massiven öffentlichen Drucks inzwischen zurückgetreten (queer.de berichtete).

In beiden Empörungswellen werden die Person Lautmann und das von ihm verfasste Buch aus dem Jahr 1994 ("Die Lust am Kind") ins Zentrum gerückt. Hierin sind die Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojekts zusammenfasst, in welchem auf der Grundlage von Interviews die Lebenswelt der Minderheit von Pädophilen untersucht wurde, die ausschließlich auf Minderjährige orientiert und nicht vorbestraft waren. Mit Fortdauer der medialen Erregung wurden immer weitere vermeintliche Belege angeführt, mit dem einzigen Ziel, Rüdiger Lautmann zum Verharmloser, Versteher oder Förderer der Pädophilie zu verunglimpfen. So wird etwa wahrheitswidrig behauptet, er habe 1979 die Streichung des § 176 zur Strafbarkeit sexueller Handlungen an Kindern gefordert. Angelastet wird ihm außerdem die Mitwirkung an der Broschüre "Kind und Sexualität" der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität aus dem Jahr 1997, an der Lautmann tatsächlich nicht beteiligt war.

Nebulöse Andeutungen und uninformierte Behauptungen

Die Fabrikation der Vorwürfe erweitert das Skandalisierungsspektrum erheblich. Nebulöse Andeutungen, uninformierte Behauptungen, fehlendes Nachschlagen u.dgl. durchziehen die Veröffentlichungen. Mit der Geschlechtsidentität von Kindern/Heranwachsenden und mit dem Berliner Kita-Projekt haben diese Unterstellungen inhaltlich nichts zu tun. Sie dienen aber dazu, die Initiativen als anstößig zu darzustellen, allein schon indem medial geraunt wird, Lautmanns Mitwirkung daran sei "pikant" und "brisant", wie es in verschiedenen Texten heißt.

In diffusen Andeutungen und expliziert in rechtspopulistischen Blättern und evangelikalen oder katholisch-radikalen Verlautbarungen klingt die Sorge vor Frühsexualisierung und einer dominierenden "Gender-Gaga"-Ideologie an, die bis hin zum rechten Verschwörungsnarrativ einer gesellschaftlichen Unterwanderung durch eine "Pädophilenlobby" führt, deren Einfluss bis in die höchsten Ebenen der Politik reiche. Die sexualpolitische Dynamik ist seit Jahrzehnten bekannt: Liberaldemokratische Positionen werden desavouiert, indem sie mit "Kinderschändern" und Vergewaltigern in Zusammenhang gebracht werden, wohingegen die eigene Ideologie als redlicher Opferschutz ausgegeben wird.

Der Großteil der Artikel, die sich mit der vermeintlichen "Causa Lautmann" seit September online beschäftigt, entstammt Veröffentlichungskanälen rechter bzw. radikal-religiöser Zirkel. Eine in dieser Hinsicht propagandistisch engagierte Journalistin wurde zwischenzeitlich wegen ihrer verleumderischen Behauptungen zu Lautmann der Twitteraccount aufgrund "Hass schürenden Verhaltens" gesperrt. Dass die Schmutzkampagne ihre Spuren hinterlassen wird und schon jetzt die Person Lautmann und ihr Umfeld verletzt, steht außer Frage. Dagegen sprechen sich die Unterzeichnenden in solidarischer Verbundenheit aus. Es geht hier nicht schlichtweg um Meinungsvielfalt, sondern um handfeste Bedrohungen, die sich nur vordergründig gegen eine Person richten, im Kern aber das liberale Denken und Forschen attackieren.

Erstunterzeichner*innen:

Joachim Bartholomae M.A. (Hamburg)
Dr. Thorsten Benkel (Passau)
Prof. Dr. Lorenz Böllinger (Bremen)
Prof. Dr. Helga Cremer-Schäfer (Frankfurt/M.)
Prof. Dr. Johannes Feest (Bremen)
Prof. Dr. Pamela Feldman-Savelsberg (Northfield)
Detlef Grumbach M.A. (Hamburg)
Dr. Ulrike Heider (Berlin)
Prof. Dr. Susanne Karstedt (Queensland)
Dr. Marita Keilson-Lauritz
Prof. Dr. Daniela Klimke (Nienburg)
PD Dr. Reinhard Kreissl (Wien)
Dr. Jenny Künkel (Dresden)
Prof. Dr. Helmut Kury (Freiburg)
Prof. Dr. Karl Lenz (Dresden)
Dr. Sven Lewandowski (Bielefeld)
Prof. Dr. Gesa Lindemann (Oldenburg)
Matthias Meitzler M.A. (Passau)
Prof. Dr. Florian Mildenberger (Frankfurt/Oder)
Prof. Dr. Helge Peters (Oldenburg)
Prof. Dr. Stephan Quensel (Bremen)
Prof. Dr. Susanne Regener (Siegen)
Prof. Dr. Fritz Sack (Hamburg)
Prof. Dr. Joachim S. Savelsberg (Minneapolis)
Prof. Dr. Sebastian Scheerer (Hamburg)
Dr. Wolfram Setz (Hamburg)
Prof. Dr. Kurt Starke (Leipzig)
Prof. Dr. Hubert Treiber (Hannover)
Prof. Dr. Hanns Wienold (Münster)

Personen, die die Stellungnahme mit ihrer Unterschrift unterstützen möchten, können sich per E-Mail an Dr. Daniela Klimke wenden: klimke@uni-bremen.de.

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#1 Meine GüteAnonym
  • 14.11.2022, 09:57h
  • Hier in der Kommentarspalte ist es doch fröhlich weitergegangen...Schnellschüsse statt ernsthaftes Auseinanderzusetzen.
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#2 TribadeProfil
  • 14.11.2022, 12:28hHannover
  • Die betreffende Kindertagesstätte als Pädo-Kita zu diffamieren, ist typisch für solche AfD- und anderen rechten, teils auch rechtsreligiösen Agitator:innen. Deshalb war die Gegendemonstration gegen die von der AfD durchgeführten Demo auch absolut richtig und notwendig, um gegen das widerliche alte Stereotyp von Schwulen als kriminelle Pädophile anzugehen.

    Die Berichterstattung über Lautmanns Aussagen zur Pädophilie bzw. zu sexualisierter Gewalt an Kindern ist jedoch nicht neu. Das hätte im obigen Artikel deshalb auch nicht verschwiegen werden dürfen.

    Denn bereits 2013 berichteten die Journalistinnen Cordula Eubel und Sarah Kramer über Lautmann im Tagesspiegel: Lautmann war im April 1979 auf dem Kongress der deutschen Soziologen in Berlin maßgeblich an einem Antrag beteiligt, der forderte, den Paragrafen 176 aus dem Strafrecht zu streichen, der sexuelle Handlungen an Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellte.

    Außerdem haben Eubel und Kramer hierbei erwähnt, dass Lautmann im Kontext von sexualisierter Gewalt an Kindern den Begriff Verbrechen ohne Opfer (!!!) prägte. Ich zitiere weiter: Er habe den Eindruck, dass es so etwas wie eine natürliche Willensübereinstimmung zwischen Erwachsenen und Kindern gebe, argumentierte Lautmann. Dies bedeute nicht, dass beide in dasselbe eingewilligt hätten, wohl aber, dass das Kind den zurückgenommenen Formen des pädophilen Wünschens zugestimmt hat und dann mit sich einiges machen lässt, was ihm selber Spaß verschafft. Zum Machtgefüge zwischen Kindern und Erwachsenen schrieb Lautmann: Offensichtlich verfügen die Kinder auch über Mittel, den Mann auf Abstand zu halten und damit das Verhältnis auf gewisse Weise gleichgewichtig zu gestalten. Jeder der für die Untersuchung befragten Pädophilen fürchte, so der Soziologe, dass das Kind ausbleibe. Er zog daraus den Schluss: Sie fiebern von einem zu anderen Mal. Sie haben also nicht wirklich Macht über das Kind. "(
    www.tagesspiegel.de/politik/die-probleme-von-pro-familia-mit
    -der-distanz-6933151.html)


    Und das, also die Machtposition von Erwachsenen über Kinder sowie den Schaden, den Kinder durch sexualisierte Gewalt nehmen, zu leugnen, ist ein Skandal und krass widerlich.
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#3 swimniAnonym
  • 14.11.2022, 13:44h
  • nicht wenige treibende kräfte der 70er und 80er jahre, die heute bei u.a. den grünen sind haben sich in losen gruppen für die abschaffung des § 174 eingesetzt. und zwar in unglaublich vehementer weise---- als zeitzeuge darf ich das wohl hier anmerken. was lautmann betrifft ist mir hierzu nichts bekannt.
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