Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?43813

Britische Untersuchung

Wie lange kann man trans Menschen auf ihre medizinische Transition warten lassen?

Das britische Gesundheitssystem kann die Bedarfe von trans Menschen nicht decken. In der Folge warten Viele jahrelang auf ihre Behandlungen. Welche Auswirkungen das hat, untersuchte nun ein Bericht.


Spritzen mit Testosteron – auf den britischen NHS warten oder im Internet beschaffen? (Bild: Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection)
  • 17. November 2022, 07:35h 9 5 Min.

Von den transgeschlechtlichen Erwachsenen, die in Großbritannien im Jahr 2017 oder später eine Überweisung an eine Gender-Identity-Klinik erhalten haben, sind erst 15 Prozent überhaupt zu einem Erstgespräch vorgelassen worden. Der Rest befindet sich nach wie vor auf der Warteliste – und damit in einer Art Pausierung des Lebens, die gefährliche Konsequenzen haben kann.

Schockierende Befunde wie diesen über die Lage der transgeschlechtlichen Bevölkerung im Vereinigten Königreich enthält eine Untersuchung des Verbands TransAdvocacy. Sie basiert auf der Befragung von über 1.000 Brit*innen und wurde nun veröffentlicht.

Konsequenzen für psychisches Wohl

Im Fokus der Umfrage stehen die Erfahrungen, die die Menschen beim Zugang zur britischen Gesundheitsversorgung in Bezug auf ihre Transitionsbedürfnisse gemacht haben. Und die sind oft sehr schlecht.

Denn nach der jahrelangen Wartezeit bis zur Vorstellung in einer Gender-Identity-Klinik folgen weitere Verzögerungen. Die durchschnittliche Dauer zwischen dem Erstgespräch in einer Gender-Identity-Klinik bis zum ersten operativen Eingriff betrug in der Befragung mehr als drei Jahre. Geschlechtshormone wurden den Befragten im Schnitt nach knapp einem Jahr verschrieben.

Die lange Zeit bis zu den Pillen, Gels oder Spritzen, mit denen sich der Körper langsam verändert, schlug sich bei 87 Prozent negativ auf die psychische Gesundheit nieder. Bei 78 Prozent war auch die physische Gesundheit beeinträchtigt. Betroffene berichteten etwa davon, wie das ständige Abbinden der Brüste zu körperlichen Schmerzen geführt oder wie die anhaltenden Dysphoriegefühle zu häufigeren epileptischen Anfällen geführt hatten. Ebenfalls etwa zwei Drittel gingen davon aus, dass die Wartezeit Konsequenzen für ihr Sozialleben und ihre persönlichen Beziehungen hat oder hatte. Und auch die Rate derjenigen, die Abstriche im beruflichen Leben machen mussten, ist vergleichbar hoch. Viele fühlten sich, als sei ihr Leben in eine Pause eingetreten.

Allein die Sorge um die langen Wartezeiten hatte bei etwa zwei Dritteln der Befragten obendrein dazu geführt, die ersten Schritte hin zu einer medizinischen Transition hinaus zu zögern. Sie suchten also längere Zeit keine Ärzt*innen auf, die ihnen eine Überweisung an die spezialisierten Kliniken des Landes ausstellen könnten, um sich vor der Enttäuschung ihrer Transitionshoffnungen zu schützen.

Denn klar ist: Wer den inneren Schritt hin zu einer medizinischen Transition gegangen ist, braucht die in der Regel möglichst bald. Die Zeit bis dahin bedeutet schließlich, mit körperlichen Eigenschaften wie Gesichts- und Körperbehaarung, Brüsten oder Menstruationsblutungen weiterleben zu müssen – schmerzhafte Erinnerungen an einen geschlechtlichen Zustand, der als nicht mehr stimmig erlebt wird und der die Menschen transfeindlichen Anfeindungen schutzlos ausliefert.

- w -

Alternative: Selber zahlen

Die Konsequenz aus der Situation im öffentlichen Gesundheitssystem ist, dass viele transgeschlechtliche Menschen versuchen, die Behandlungen eigenständig zu finanzieren oder bei unregulierten privaten Anbieter*innen zu erhalten. So hätte etwa die Hälfte der Befragten Hormone abseits des offiziellen Weges bezogen, etwa ein Viertel sogar illegal. Immerhin trugen diese selbst finanzierten Maßnahmen auch dazu bei, so die Befragten, dass das Level an Belästigungen und Attacken gesunken sei.

Ein transmännlicher Befragter etwa erzählte, dass er in der vorangegangenen Woche das erste mal Lebensmittel von einer Abgabestelle bezogen hatte, um sich die Hormone weiter leisten zu können: "Ich kann das Testosteron nicht absetzen, weil es nicht nur phänomenal für meine mentale Gesundheit ist, sondern auch auf meine physische positive Effekte hat. Aber die 90 Pfund im Monat sind eine Menge, wenn wir nicht so viel Geld haben."

Doch wer sich Maßnahmen wie Operationen auch aufgrund der beruflichen Lage nicht leisten kann, ist weiterhin auf das offizielle System angewiesen – das obendrein viele wichtige Eingriffe wie Gesichtsfeminisierungen nicht bezahlt. Insbesondere transweibliche Personen hätten so viele Tausend Pfund aus eigener Tasche bezahlt, um die Behandlungen zu beziehen. Bei ihnen waren es im Schnitt 6.285 Pfund, etwa 1.200 Pfund mehr als bei transmännlichen Personen und etwa 2.000 mehr als nichtbinäre Teilnehmer*innen.

Chay Brown, Direktor von TransActual, sagte zu den Befunden: "Das gezeichnete Bild ist eines von Schmerz, Verzweiflung und gebrochenen Herzen, wenn transgeschlechtliche Personen ihren Zugang zu lebensrettenden Behandlungen zunehmend aufgrund einer Menge an schlechten Gründen blockiert vorfinden." Dies beinhalte fehlende Ressourcen, transphobe Praktiker*innen und ein "abweisendes und bürokratisches System des Gate-Keepings". Das erwecke den Anschein, "eher rund um das Anzweifeln transgeschlechtlicher Personen erbaut worden zu sein", als dazu, ihnen "sehr notwendige Behandlungen" zu ermöglichen.

Um an der Lage etwas zu ändern, sei unter anderem eine Gesetzgebung notwendig, die den zeitnahen Zugang zu der Gesundheitsversorgung garantiert. Vereinigungen von Ärzt*innen wie etwa Chirurg*innen forderte TransActual erneut auf, sicherzustellen, dass die Bedürfnisse transgeschlechtlicher Patient*innen und die entsprechenden Behandlungsmethoden bedarfsgerecht bei der Ausbildung des medizinischen Personals berücksichtigt werden.

Die Untersuchung ist, schränken die Autor*innen selber ein, nicht im strengen Sinne repräsentativ. So hätten etwa Personen, die jünger als 36 Jahre alt sind, häufiger an der Befragung teilgenommen, als dies rechnerisch zu erwarten wäre. Auch seien die Erfahrungen bestimmter marginalisierter ethnischer Gruppen vermindert in die Befragung eingegangen, zu der Teilnehmer*innen über Community-Institutionen und soziale Medien eingeladen worden waren.

In England und Wales zeichnete sich zuletzt eine weitere Verschärfung bei der Situation transgeschlechtlicher Kinder und Jugendlicher ab. Demnach soll der Gesundheitsdienstleister NHS noch seltener Pubertätsblocker bei Jugendlichen verschreiben und die Heranwachsenden häufiger ihrer vom Körper ausgehenden Pubertät aussetzen – jedenfalls, wenn es nach einer bislang nicht offiziell verabschiedeten Behandlungsrichtlinie geht (queer.de berichtete).

Immerhin in Schottland scheinen die Verantwortlichen weniger auf die aktuelle transfeindliche öffentliche Stimmungsmache als auf wissenschaftliche Fakten zu hören. Hier versucht man gegenwärtig, Barrieren im System abzubauen, um einen schnelleren Zugang zu medizinischen Maßnahmen zu ermöglichen.

Über entsprechende Pläne berichtete jüngst exklusiv der Schottland-Korrespondent der "The Times" wutschnaubend. "Gender Critical"-Aktivistinnen sähen demnach ihre Befürchtungen bestätigt, dass der schottische Umgang mit transgeschlechtlichen Personen von einer "extremistischen Ideologie" beeinflusst sein könnte. (jk)

-w-

#1 PeerAnonym
  • 17.11.2022, 09:30h
  • Diesen Bericht sollte man auch mal unserer deutschen Regierung zukommen lassen.

    Laut der Meinung von SPD, FDP und Grünen können Transmenschen ja in Deutschland noch ein wenig länger warten.

    Und außer einem lapidaren "Braucht noch Zeit" (was ja nur eine Beschreibung des Vorgangs ist, aber keine Erklärung der Gründe) kommt nichts von denen.
  • Direktlink »
#2 YannickAnonym
  • 17.11.2022, 10:17h
  • In Großbritannien liegt es wenigstens an den fehlenden Kapazitäten. Das ist für die Betroffenen auch tragisch, finde ich aber dennoch besser nachvollziehbar und weniger verwerflich als die Situation in Deutschland, wo es eigentlich nicht an den Kapazitäten liegt, sondern am Blockieren und Verzögern der Politik.
  • Direktlink »
#3 Pic_Anonym

Kommentieren nicht mehr möglich
nach oben

Newsletter
  • Unsere Newsletter halten Dich täglich oder wöchentlich über die Nachrichten aus der queeren Welt auf dem Laufenden.
    Email: