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Ampel-Vorhaben

Lehmann stellt Aktionsplan gegen Queer­feindlichkeit vor

Die Bundesregierung bündelt ihre Maßnahmen gegen LGBTI-Feindlichkeit in einem Aktionsplan. Am Freitag stellte der Queerbeauftragte das Dokument in Berlin vor.


Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne) (Bild: Deutscher Bundestag / Thomas Köhler)

Zu Update springen: Kritik von SPD-Abgeordnetem und Hirschfeld-Stiftung

Einen 70 Millionen Euro schweren Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt hatte die Ampel-Regierung zu ihrem Antritt versprochen (queer.de berichtete). Nun endlich, ein Jahr später, wird es konkreter.

Am Freitag stellte Sven Lehmann das Vorhaben, das unter das Motto "Queer leben" gestellt ist und am Vormittag im Bundeskabinett beschlossen worden war, bei der Bundespressekonferenz in Berlin vor. Mit dem Kabinettsbeschluss sei "heute ein historischer Tag", so Lehmann. Erstmals sei ein solcher Aktionsplan, den es bislang nur bei den Ländern gegeben hatte, auf Bundesebene verabschiedet worden.

Der Plan zeige auch das Leitbild der Ampelkoalition in ihrer Gesellschaftspolitik. Demnach seien alle Menschen in der Gesellschaft selbstbestimmt, frei und gleichberechtigt und müssten "vor allem sicher leben können". Die Stärke einer Demokratie messe sich, so Lehmann, im Umgang mit Minderheiten.

Entwurf wurde seit Sommer diskutiert

Seit dem Sommer waren die für den Plan gesammelten Vorschläge zusammen mit Verbänden und Ministerien abgestimmt worden (queer.de berichtete). Die Dringlichkeit eines solchen Plans indes war in den vergangenen Monaten auch in der breiteren Öffentlichkeit klarer geworden.

So hatten Gewalttaten wie die gegen Malte C. in Münster (queer.de berichtete) oder gegen eine Frau in einer Bremer Straßenbahn (queer.de berichtete) viele Menschen bewegt. Auch hatten zuletzt die häufigeren Meldungen von Polizeibehörden, die queerfeindliche Motive von Gewalt- und Straftaten zunehmend gesondert ausweisen, mit zu einer wachsenden Besorgnis in der Community beigetragen.

In Deutschland komme es jeden Tag zu mindestens drei bis vier Übergriffen auf queere Menschen allein im Hellfeld, erklärte Lehmann denn auch in Berlin. Menschen würden bespuckt und beleidigt, sie würden im Internet und auf der Straße angegriffen. Es gebe ein Problem mit Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen. Zuletzt sei vor allem eine vermehrte Diskriminierung gegenüber transgeschlechtlichen Menschen zu sehen gewesen. So viel zur Lage, an der der Aktionsplan der Bundesregierung etwas ändern soll.

Sechs Handlungsfelder

Der Plan ist aufgeteilt in sechs verschiedene Handlungsfelder. Die Sicherheit steht dabei jedoch, das könnte verwundern, nicht an erster Stelle, sondern im dritten Kapitel. Vielmehr haben es die Verantwortlichen darauf abgesehen, queere Menschen durch eine umfassendere gesellschaftliche Integration vor Übergriffen und Hass zu schützen – ein Anliegen, dem eben nicht allein strafrechtlich nachzukommen ist.

Twitter / svenlehmann

So widmet sich ein Kapitel weiteren ausstehenden Formen der rechtlichen Anerkennung, etwa bei der Aufnahme des Diskriminierungsverbotes queerer Menschen in das Grundgesetz, der Verabschiedung eines Selbstbestimmungsgesetzes für Trans und Inter und Verbesserungen der Situation queerer Geflüchteter.

Unter "Teilhabe" geht es um Fragen der Datenerhebung und Erforschung der Leben queerer Menschen, über die man, wie Lehmann betonte, letztlich noch immer wenig wisse. Zudem werden Maßnahmen zu queeren Themen in Bildungseinrichtungen und an Arbeitsplätzen angesprochen und auch um geschlechtergerechte Sprache geht es dort etwa.

Gesundheitsthemen, etwa das umfassende Verbot von sogenannten Konversionstherapien und Verbote von geschlechtszuweisenden OPs bei intergeschlechtlichen Kindern, haben im Plan außerdem ihren eigenen Platz. Auch der Abbau von Zugangshürden zur regulären Gesundheitsversorgung gehört hier dazu wie die Themen Blutspende, trans- und interspezifische Gesundheitsversorgung sowie Reproduktionsmedizin gehören dazu.

Der Plan widmet sich gesondert den Beratungs- und Communitystrukturen in Deutschland, die man stärken und ausbauen möchte, und internationalen queerpolitischen Fragen etwa in der Entwicklungszusammenarbeit und der menschenrechtsorientierten Außenpolitik.

So wies Lehmann auf der Konferenz darauf hin, dass bei der Veränderung von Demokratien in Richtung autoritärer Gesellschaften stets die queeren Menschen die ersten seien, die von diesen ins Visier genommen würden. Ein Beispiel sei Russland, dessen heutige Entwicklung man schon vor zehn Jahren an der Einschränkung der Freiheiten queerer Menschen habe ablesen können.

Doch auch die Sicherheit im engen Sinne ist im Plan berücksichtigt. Hier gehe es "ganz fundamental um den besseren Schutz vor Gewalt, vor Übergriffen und Anfeindungen". Solche Straftaten sollten besser erfasst werden.

Um das aber zu können, müsse die Anzeigenbereitschaft der Opfer erhöht werden. Leider sei es oft so, dass sich LGBTI an Beschimpfungen auf der Straße gewöhnt hätten. Hier sei es zwar letztlich Aufgabe der Polizei und damit der Länder, das Dunkelfeld aufzuhellen. Die Bundesregierung wolle das aber mit dem Aktionsplan aktiv unterstützen.

Koordination soll bei Lehmann liegen

Die Umsetzung der Maßnahmen stellen sich die Verantwortlichen in einem ressortübergreifenden Arbeitsprozess vor, der gemeinsam mit den Verbänden der queeren Selbstorganisation und den Bundesländern erfolgen und vom Queerbeauftragten der Bundesregierung koordiniert werden soll.

Der Prozess sei dabei, so Lehmann, verbindlich ausgestaltet. Man fange nicht irgendwie an zu arbeiten, wobei dann unklar wäre, was wann umgesetzt würde. Vielmehr werde er selbst darauf achten, dass die vereinbarten Ergebnisse auch erzielt würden. Den Bundestag werde man dann im Jahr 2024 über die Fortschritte auf dem Feld informieren.

In dem gesetzten Zeitfenster von drei Jahren würden die gesetzgeberischen Aspekte des Plans umgesetzt. Der Text beinhalte jedoch auch Regelungen zu langfristigen Finanzierungen in Strukturen, die über die folgenden drei Jahre hinaus gingen.

Überhaupt, Finanzierung: Erst auf Nachfrage äußert sich der Queerbeauftragte zum Umfang des Aktionsplans. Immerhin hatte es diesbezüglich vor einem Jahr ja eine Hausnummer gegeben.

Weil der Umsetzungsprozess jedoch einer sei, der nicht allein bei ihm oder im Familienministerium, bei dem er als Staatssekretär angestellt ist, liegt, müssten die Ministerien ihre Finanzbedarfe jeweils eigenständig ermitteln. Die würden sie dann bei den Haushaltsanmeldungen geltend machen.

Es kommt also darauf an, wie ernst die Ministerien die Anliegen nehmen. Immerhin sollen sich wirklich alle verpflichtet haben. Es sei der Plan der gesamten Bundesregierung.

Doch wieder kann der Queerbeauftragte Nachfragen, welche Gesetze wann genau kommen sollten, nur ausweichend beantworten. Die Umsetzung des Aktionsplan beginne eben im nächsten Jahr nach einer großen Auftaktsitzung. Er hoffe, "dass wir 2024 sagen können, wir haben die Punkte dann auch abgehakt".

Und: Das Selbstbestimmungsgesetz sei ja auch bereits in Arbeit. Auch hier wieder Hoffnung: "Ich hoffe sehr, dass nächstes Jahr nach Beschluss des Bundestages und Verkündigung durch den Bundespräsidenten dann auch das Gesetz in Kraft treten kann", sagt Lehmann.

Das Familienministerium nannte übrigens jüngst das erste Quartal 2023 als Zeitpunkt für den Beschluss des Kabinetts, hüllte sich aber ansonsten ebenfalls in Schweigen, was das Inkrafttreten angeht (queer.de berichtete).

Lob von Paus, Kritik vom LSVD

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) lobte den Plan, der federführend in ihrem Haus entstanden ist. Der Aktionsplan sei "ein Meilenstein, um die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen entschieden voranzubringen".

Twitter / BMFSFJ
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Helmut Metzner, Vorsitzender der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, kommentierte das Vorhaben im Sender Phoenix leicht kritisch. Die Regierung habe sich mit dem Aktionsplan ein Hausaufgabenheft geschrieben, in dem von Empfehlungen die Rede sei. Man müsse also erst abwarten, wie die Umsetzung erfolge.

Der LSVD hatte bereits im Sommer gefordert, dass der Aktionsplan nicht nur eine Ansammlung von Vorhaben sein dürfe. Stattdessen müssten etwa eindeutige Zielvereinbarungen und belastbare Selbstverpflichtungen enthalten sein.

Zudem sollten die Maßnahmen in engem Zusammenhang mit der Bekämpfung anderer Erscheinungsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen – nicht zuletzt, um der Intersektionalität queerer Menschen, also ihrer Mehrfachzugehörigkeit zu marginalisierten Gruppen, gerecht zu werden. Das sah man nur teilweise erfüllt.

Und auch nun kommt vom LSVD abseits der grundsätzlichen Begrüßung des Plans wieder Kritik: "Für den Erfolg des Aktionsplans ist eine auskömmliche Finanzierung für die Umsetzung der Maßnahmen in den einzelnen Ministerien entscheidend." Bedauerlicherweise habe die Bundesregierung die angekündigten Maßnahmen jedoch nicht mit ausreichenden neuen finanziellen Mittel unterlegt, heißt es in einer ersten Reaktion des Verbands.

 Update  16:20h: Kritik von SPD-Abgeordnetem und Hirschfeld-Stiftung

Kritisch reagierte auch der SPD-Abgeordnete Jan Plobner, der im September im Bundestag eindrucksvoll an den beim Münsteraner CSD getöteten Malte C. erinnert hatte. Inhaltlich bedauere er, dass "streckenweise
nicht mehr Mut aufgebracht wurde". Themen wie das Abstammungsrecht,
die Hasskriminalität oder auch der ganze Bildungsbereich seien im Aktionsplan
"nur zögerlich aufgearbeitet". Zudem müsse man es schaffen, aus vorgeschlagenen Maßnahmen verbindliche Vorgaben zu machen.

Die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, fand lobende Worte für den Plan. Er sei ein "wichtiges Zeichen für den Zusammenhalt und ein weiterer Schritt hin zu einer Gesellschaft frei von Diskriminierung".

Twitter / ReemAlabali
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Eine weitere Kritik, neben allem Lob, von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld: Im Plan sei es auch in Details zu Rückschritten gekommen. Beispielhaft erwähnte die Stiftung in ihrer Pressemitteilung den Schutz vor Konversionsmaßnahmen: "Warum die Strafrechtsausnahme für Fürsorge- und Erziehungsberechtigte nun doch erst noch einmal geprüft werden soll, erschließt sich uns nicht. Hier war der Text des Koalitionsvertrags bereits weiter."

Wöchentliche Umfrage

» Seit fast einem Jahr regiert die Ampel. Welche Schulnote gibst du der Politik von SPD, Grünen und FDP?
    Ergebnis der Umfrage vom 14.11.2022 bis 21.11.2022

#1 PrideProfil
  • 18.11.2022, 16:39h...
  • Der Bundestag werde 2024 informiert, die "gesetzgeberischen Aspekte" innerhalb von drei Jahren umgesetzt. Angesagte Sanktionen angesichts immens gestiegener antiqueerer Gewalt sind Fehlanzeige, stattdessen unverbindliches Integrationsgelaber. Die Verarsche soll sich über die ganze Legislaturperiode bis zur nächsten hinziehen, damit queerpolitisch auch wirklich nichts passiert.
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#2 KilianEhemaliges Profil
  • 18.11.2022, 17:04h
  • Dass man diese Verarsche auch noch mit >BÄM!< ankündigt, zeigt auf unverwechselbare Art und Weise die Kluft zwischen Realität und der Selbstwahrnehmung von Politdarsteller:innen wie Herrn Lehmann auf. Man könnte annehmen, dass man sich angesichts der Demontage der Wahlversprechen, einem abgewrackten Koalitionsvertrag und der größtmöglichen, zeitlichen Verschleppung vor Scham nicht vor die Kameras traut, stattdessen setzt man sich freudetrunken vor das versammelte Berliner Pressekorps und schwurbelt sein kolossales Versagen zu einem bahnbrechenden Ereignis um. Ich möchte nur noch brechen, im Ernst.
  • Direktlink »
#3 RebeccaProfil
  • 18.11.2022, 19:46hBerlin
  • Antwort auf #1 von Pride
  • Völlig verkehrt. Es soll bis 2024 im Grunde erst einmal erforscht werden, ob überhaupt etwas nötig ist. Wenn überhaupt, wichtig ist allein, es darf nichts kosten.
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